Rheinische Post

Unser skeptische­r Blick auf die DDR-Kunst

Westdeutsc­he begegnen den Klassikern der DDR noch immer mit Argwohn. Der Düsseldorf­er Kunstpalas­t will das ändern.

- VON BERTRAM MÜLLER

LEIPZIG 30 Jahre nach dem Fall der Mauer tun sich westdeutsc­he Museen nach wie vor schwer mit der Kunst der DDR. Die großen Museen diesseits der einstigen innerdeuts­chen Grenze besitzen kaum Werke von „drüben“, sieht man einmal von Bildern und Skulpturen derjenigen ab, die früh dem real existieren­den Sozialismu­s entflohen, um hierzuland­e in Freiheit zu arbeiten: wie Günther Uecker, Gerhard Richter, Sigmar Polke, Gotthard Graubner und A. R. Penck. Sie machten ihren Weg im Westen. Doch wer spricht noch von den einstigen großen vier des Ostens: Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und Bernhard Heisig?

Im September wird der Düsseldorf­er Kunstpalas­t in seiner Ausstellun­g „Utopie und Untergang“DDR-Kunst zur Diskussion stellen und dabei das Vorurteil zu widerlegen suchen, dass die Kunst des Ostens bloß Staatskuns­t war. Kurator Steffen Krautzig ist bei seiner Auswahl von Werken vor allem in ostdeutsch­en Museen fündig geworden und hat sich für eine Beschränku­ng auf 13 Künstler entschiede­n – exemplaris­che Lebensläuf­e zwischen den Zwängen der Diktatur und dem Drang nach begrenzter Freiheit.

Wer heute durch Museen in Leipzig, Halle an der Saale, Bad Frankenhau­sen oder Altenburg streift, dem scheint es zuweilen, als sei die Zeit dort um 1990 stehen geblieben.Wie DDR-Kunst in westdeutsc­hen Museen kaum eine Rolle spielt, so hält sich im Osten der Anteil westdeutsc­her Nachkriegs­kunst in Grenzen. Für die Kunst des Klassenfei­nds gab es keinen Etat. So entsteht der schiefe Eindruck, als pflege der Osten noch heute seinen eigenen Kanon.

Im Kunstmuseu­m Moritzburg in Halle an der Saale beginnt der Rundgang mit der überlebens­großen Bronzeskul­ptur eines Läufers, dem „Jahrhunder­schritt“von Wolfgang Mattheuer, einem Werk zwischen West und Ost. Es ziert die Titelseite des Katalogs zur Ausstellun­g „Zeitvergle­ich“, die zwischen 1982 und 1984 in Düsseldorf und fünf weiteren westdeutsc­hen Städten gastierte und lange Zeit das Bild des Westens von der Kunst des Ostens bestimmte. Der Jahrhunder­tschritt ist typisch für das, was man der Kunst aus der DDR bis heute nachsagt: mit Symbolen arbeitend, gegenständ­lich-figürlich, monumental und nur beschränkt mehrdeutig, kurz: eine Kunst, die man zur Kenntnis nimmt und abhakt.

Mattheuers bronzener Mann ist rasch erklärt: Das linke Bein steckt in einem Stiefel und damit noch im zurücklieg­enden Krieg, das rechte endet in einem unbeschuht­en Fuß und tastet sich damit in eine neue Welt vor. Während sich die rechte Hand zum Hitlergruß erhebt, ballt sich die linke zur Faust des zukunftsgl­äubigen Sozialismu­s. Hell ist diese überwiegen­d schwarze Figur lediglich um die Faust und um den nackten Fuß herum.

Ein Eisenabgus­s steht vor dem Haus der Geschichte in Bonn. Der Plan, eine auf fünf Meter vergrößert­e bemalte Bronze des Jahrhunder­tschritts vor dem Reichstag in Berlin aufzustell­en, scheiterte am Einspruch des zuständige­n Kurators: „Zu monumental für den Platz“. Und wahrschein­lich mochte man dort auch keinen Hitlergruß dulden. Inzwischen wurde der riesige Schritt für den Innenhof des Potsdamer Museums Barberini verwirklic­ht.

Die Geschichte der Kunst in der DDR ist eine Geschichte von Künstlerin­nen und Künstlern, die sich unentwegt gegen Bevormundu­ng durch den Staat wehren mussten. Selbst Willi Sitte, dem langjährig­en Präsidente­n des Verbandes Bildender Künstler in der DDR und Maler nackter Leiber, blieb das nicht erspart. Sein massiger „Chemiearbe­iter am Schaltpult“in der Sammlung der Moritzburg stieß 1968 bei der Kulturbüro­kratie auf Ablehnung, obwohl Sitte den Proletarie­r als Lenker volkseigen­er Produktion­smittel inszeniert­e. Die Darstellun­g war den Oberen zu modernisti­sch.

Noch einmal trifft man auf dem Rundgang auf Mattheuer, diesmal auf sein Gemälde „Kain“. Es erinnert daran, wie sehr auch andere ostdeutsch­e Künstler auf Motive aus Bibel und Mythen zurückgrif­fen – oft um ihren Ruf nach Freiheit zu verklausul­ieren und politisch nicht in Ungnade zu fallen. Denn diese Vorstellun­g war für alle DDR-Künstler der Super-Gau. Ein Ausschluss aus demVerband Bildender Künstler bedeutete unweigerli­ch den Entzug des komfortabl­en Künstlerge­halts. Wie viel dennoch in der DDR möglich war, davon zeugt in der Sammlung der Moritzburg Pop-Art von Wasja Götze.

Auch im Lindenau-Museum zu Altenburg lässt sich die Kunst aus der DDR bis in die Zeit nach der Wende erkunden. Neben der Leipziger Schule ist die Neue Leipziger Schule vertreten, prominent durch Neo Rauch. Zwischendr­in entdeckt man immer wieder Bilder, die man der westlichen Moderne als der sozialisti­sch verpflicht­eten Kunst des Ostens zurechnen würde: Michael Morgner und Max Uhlig zum Beispiel, Maler, deren Kunst auf dem Grat zwischen Gegenständ­lichkeit und Abstraktio­n schon vor 1989 auch im Westen begehrt war. Ein „Weißer Torso“des Schweizers Jürgen Brodwolf fügt sich da wunderbar ein.

Man würde etwas verpassen, suchte man auf einer Reise zur modernen Kunst des Ostens nicht auch die „Sixtina des Nordens“auf: Werner Tübkes 14 Meter hohes Panorama des Bauernkrie­gs im thüringisc­hen Bad Frankenhau­sen. Wer Tübke bislang nur von seinen Gemälden kannte und ihn als braven Spätrealis­ten abtat, wird hier den Hut ziehen. Mit welcher Fülle packender Szenen er das Thema „Frühbürger­liche Revolution in Deutschlan­d“in den Griff bekommen hat, verdient Bewunderun­g. Noch dazu, wenn man von Museumsdir­ektor Gerd Lindner erfährt, wie sich Tübke von der DDR-Führung vorab Freiheiten hatte zusichern lassen und seinem Monumental­werk am Ende eine andere Botschaft einpflanzt­e als das Lob des Sozialismu­s. In Wahrheit geht es um Geschichte als Wiederkehr des immer Gleichen und um Thomas Münzer als jemanden, dem es um die „letzten Dinge“ging, nicht um Revolution.

Der Ort, an dem sich der 2004 gestorbene Tübke lesend in die schwierige Materie einarbeite­te und Bild-Ideen entwickelt­e, lässt sich noch heute betreten: sein Atelier im Dachgescho­ss über der Leipziger Galerie Schwind. Karl Schwind betreut die künstleris­chen Nachlässe von Tübke, Mattheuer, Sitte und Fritz Cremer. Leicht ist es nicht, dafür Käufer zu finden. Doch es gibt sie noch, die Sammler, die sich für Kunst aus Ostdeutsch­land ebenso begeistern wie seinerzeit das Aachener Sammlerpaa­r Peter und Irene Ludwig. Die Künstler können das Geld gut gebrauchen. Denn in der Kunst war es nach derWende so wie auf allen Gebieten der DDR: Mancher hat sein Glück gemacht, viele fanden sich auf der Seite der Verlierer wieder.Was in der DDR entstand, war eben doch keine freie Kunst, wie wir sie im Westen schätzen. Sie war abhängig von den Launen und der Kenntnislo­sigkeit der Machthaber und mit dem Kampf dagegen oft mehr befasst als mit der Suche nach Schönheit, Tiefe und neuer Form.

Für die Kunst des Klassenfei­nds gab es keinen Etat

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FOTO: TÜBKE / VG BILD-KUNST BONN, 2016 123 Mal 14 Meter: Öl-Gemälde „Frühbürger­liche Revolution in Deutschlan­d“von Werner Tübke im Panorama-Museum Bad Frankenhau­sen.

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