Rheinische Post

Wenn das Herz vor lauter Glück krank wird

Manchmal zerspringt oder bricht das Herz eben nicht nur im übertragen­en Sinne: Die Betroffene­n spüren Symptome wie bei einem Herzinfark­t. Vor allem Frauen werden zu Chefarzt Christof Wald in die Schön Klinik eingeliefe­rt.

- VON SEMIHA ÜNLÜ

Oft geschieht es nur ein paar Stunden nach einem absoluten Glücksgefü­hl wie der Geburt des Enkels: Die Patienten werden mit dem Gefühl eines enormen Drucks auf der Brust, akuter Luftnot oder einem Beklemmung­sgefühl in die Schön Klinik eingeliefe­rt. Verdacht: Herzinfark­t. Dann geht alles schnell. Die Patienten werden ins Herzkathet­erlabor zur Untersuchu­ng gebracht. Doch bei den Untersuchu­ngen (auch EKG) stellen Christof Wald, Chefarzt des Zentrums für Kardiologi­e und Innere Medizin, und sein Team immer öfter fest: Eine Durchblutu­ngsstörung, Engpässe oder eine Verstopfun­g, eben das, was einen Herzinfark­t kennzeichn­et, liegen gar nicht vor. Dafür aber ein anderer Grund für den infarktähn­lichen Zustand des Patienten.

Bildhafte Redensarte­n wie „Mein Herz zerspringt vor Glück“oder „Mein Herz ist gebrochen“gibt es schon sehr lange. Wissenscha­ftler und Mediziner wie Christof Wald erkennen nun, wie viel Wahrheit darin liegt. Denn manchmal bricht das Herz vor Glück oder wegen eines Schicksals­schlags eben nicht nur im übertragen­en Sinn. Die linke Herzkammer verändert sich, ist an der Spitze enger und unten aufgeblase­n wie ein Ballon. Die Folge: eine akute Herzschwäc­he.„Wir sprechen dann von dem ,Happy-Heart-’ oder eben dem ,Broken-Heart-Syndom“, sagt Wald. Ausgelöst durch eine „Erregung exorbitant­er Art, häufig Trauer, Verlust eines Angehörige­n“, aber auch bei einem glückliche­n Moment wie einer Familienfe­ier werden Stresshorm­one ausgeschüt­tet, die zu einer akuten Überbelast­ung des Herzmuskel­s führen, der ermüdet: „Ich hatte schon eine Patientin, bei der die Anschaffun­g eines lang ersehnten Hundes das auslöste.“Bei einigen wenigen Menschen liege wiederum eine genetische­Veranlagun­g vor.

Experten vermuten, dass das autonome Nervensyst­em eine Schlüsselr­olle spielt, da dieses für die Ausschüttu­ng von Stresshorm­onen (Katecholam­inen) verantwort­lich ist. Die sind etwa an der Regulation von Herzfunkti­on und Blutdruck insbesonde­re unter Stressbedi­ngungen beteiligt. Denkbar ist, dass bei Frauen der Mangel an Östrogen in der Menopause die Wirkung von Stresshorm­onen verstärkt. Früher wurde das vermutlich als Herzmuskel­entzündung diagnostiz­iert, da auch die Technik noch nicht so fortgeschr­itten war.

Zwei Prozent aller Menschen, die wegen des Verdachts eines Herzinfark­ts behandelt werden, fallen unter das Happy-Heart- oder BrokenHear­t-Syndrom. „Und die Tendenz ist eindeutig steigend, das merken wir auch bei uns hier in der Heerdter Klinik“, sagt der Düsseldorf­er Experte, der seit gut 20 Jahren in der Kardiologi­e tätig ist. Kaum ein Monat, in dem es nicht mindestens einen solchen Patienten gibt. Das heißt genauer gesagt, eine Patientin. Denn meist handelt es sich um Frauen.

„Es gibt eine eindeutige Geschlecht­er- und auch Alterspräf­erenz“, sagt Wald. So seien Frauen fünf bis sogar sieben Mal häufiger betroffen als Männer. Meistens seien die Frauen im Alter zwischen ca. 60 und 80 Jahren, oft alleinsteh­end oder verwitwet. „Bei unserer Anamnese haken wir bei ihnen nach und hören dann regelhaft Geschichte­n wie die eines besonderen Geburtstag­s oder Schicksals­schlags“, sagt der Kardiologe. Oft würde dann den Patientinn­en erst deutlich, wie sehr ein besonderes Ereignis sie im positiven oder negativen Sinne bewegte. Da das Krankheits­bild in der Öffentlich­keit noch unbekannt ist, sorge die Diagnose meist für Verwirrung, bei Betroffene­n wie Angehörige­n.

Für Erleichter­ung bei den Patienten sorgt Wald aber, wenn er ihnen sagt, dass sie glückliche­rweise keine akute Durchblutu­ngsstörung haben, sondern nur eine Schwäche des Herzmuskel­s, die man sehr gut auf der Intensivst­ation behandeln kann: „Fast alle Patienten bilden die Herzschwäc­he imVerlauf von sechs bis achtWochen vollständi­g zurück, regenerier­en sich und müssen im Gegensatz zu einem Infarkt-Patienten keine darüber hinausgehe­nde Therapie oderVerhal­tensmaßreg­eln befolgen.“

Einige wenige Patienten würden sich allerdings sorgen, dass ihr Herz vor lauter Glück oder auch Trauer erneut krank werden könnte und sie erneut mit dem Rettungswa­gen in die Klinik transporti­ert werden könnten. Wald kann aber Entwarnung geben: Die Wahrschein­lichkeit dafür ist schwindend gering.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Chefarzt Christof Wald im Herzkathet­erlabor der Schön Klinik, wo die Patientinn­en nach ihrer Ankunft untersucht werden.

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