Türkei hat 300.000 Bücher vernichtet
Mehr als drei Jahre nach dem Putschversuch verschärft sich die Zensur weiter.
ANKARA Die türkische Regierung hat seit dem Putschversuch vor drei Jahren 301.878 Bücher aus Schulen und Bibliotheken entfernen und vernichten lassen. Diese Zahl nannte jetzt Erziehungsminister Ziya Selçuk. Die Internetseite Kronos 27 veröffentlichte Fotos, die Polizisten bei der Verbrennung beschlagnahmter Bücher zeigen. Die Bücher wurden aus dem Verkehr gezogen, weil sie angeblich Hinweise auf Fethullah Gülen enthalten.
Der islamische Geistliche, der seit 1999 in den USA im Exil lebt und von dort ein internationales Netzwerk von Stiftungen und Bildungseinrichtungen steuert, wird von der Regierung für den Putschversuch verantwortlich gemacht. Gülen war Anfang der 2000er Jahre ein engerVerbündeter des heutigen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan. 2012 kam es zum Bruch. Heute gilt Gülen als Staatsfeind Nummer eins, seine Bewegung wird als Terrororganisation eingestuft. Der Geistliche bestreitet jede Beteiligung an dem versuchten Umsturz.
Nach Angaben des internationalen Autorenverbandes Pen haben die türkischen Behörden seit dem Putschversuch 200 Medienunternehmen und Verlage geschlossen. Gegen 80 Schriftsteller wurden Ermittlungsverfahren wegen „Terrorpropaganda“eingeleitet. Über 34.000 Lehrer staatlicher und privater Schulen wurden entlassen. 1284 Privatschulen und 15 private Universitäten, die der Gülen-Bewegung zugerechnet wurden, ließ die Regierung per Dekret schließen.
In einem 2018 veröffentlichten Bericht zur Situation der Autoren und Verlage in der Türkei konstatiert der Pen eine „Krise der Meinungsfreiheit“in der Türkei. „Die Regierung hat ihren Einfluss auf die Medien und den Buchmarkt dramatisch verstärkt und kritische Stimmen zum Schweigen gebracht“, heißt es in dem Bericht. „Wir appellieren an die türkischen Behörden, die Wiederöffnung und unabhängige Arbeit geschlossener Verlage zu erlauben und die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung zu beenden“, fordert der Schriftstellerverband.
Aber die türkische Regierung verschärft die Zensur. Anfang dieser Woche sperrte ein Gericht den Zugang zu 136 Internetseiten und Twitter-Konten. Die Verbote wurden auf Antrag der paramilitärischen Gendarmerie erlassen. Zur Begründung hieß es, die gesperrten Websites und Twitter-Konten stellten eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar. Betroffen ist auch die Website der unabhängigen Istanbuler Nachrichtenagentur Bianet. Die 1998 gegründete Agentur, die vor allem Menschenrechtsverletzungen und Gewalt gegen Frauen dokumentiert, finanziert sich großteils mit Geldern der EU, die über das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte zugewiesen werden. Der Anwalt der Agentur, Meric Eyüpoglu, bezeichnete die Sperrung der Seite von Bianet als „schweren Angriff auf die Freiheit der Presse“.