Rheinische Post

Der Mönch und der Muslim

Erzähl mir von deinem Glauben, und ich erzähle dir von meinem: Begegnunge­n eines Christen und eines Muslim in dem neu erschienen­en Buch „Im Herzen der Spirituali­tät“von Anselm Grün und Ahmad Milad Karimi.

- VON ALEV DOGAN

DÜSSELDORF Sie fallen beide auf. Er in seiner schwarzen Kutte, mit dem langen silbrig-grauen Bart, der an den Schläfen nahtlos übergeht in den Haarkranz. Dazu ein schelmisch­er Blick unter buschigen, weißen Brauen. Der andere im Anzug mit bunt gemusterte­r Fliege, mit krauser, schwarz-grau melierter Haarpracht über exakt gestutztem Bart und Schnäuzer. Beide wirken ein wenig wie aus der Zeit gefallen.

Anselm Grün, Mönch der Benediktin­erabtei Münstersch­warzach und bekannter Autor spirituell­er Bücher, und Ahmad Milad Karimi, Religionsp­hilosoph, Islamwisse­nschaftler und Dichter, haben sich unterhalte­n. Über ihren Glauben,

Unterschie­de und Gemeinsamk­eiten suchen und finden

ihre Religion, ihre Propheten, Gebote und Säulen. Dokumentie­rt haben sie ihre Begegnung in dem Buch„Im Herzen der Spirituali­tät – Wie sich Muslime und Christen begegnen können“. Die Antwort auf diesen Untertitel geben Grün und Karimi durch die Form des Buchs: Dialog, ja, aber vor allem das Fragenstel­len, die Neugier, das Zulassen von Unterschie­den bei gleichzeit­iger Suche nach Gemeinsamk­eiten. Muslime und Christen können sich vor allem immer dann begegnen, wenn sie sich begegnen wollen. Das machen Grün und Karimi vor, indem sie sich für ihr Gegenüber interessie­ren und ihn um Antworten bitten zu theologisc­hen, spirituell­en, aber auch ganz praktische­n Fragen.

Es gehört zur gelungenen Konzeption des Buchs, dass es mit dem Kapitel „Stolperste­ine“beginnt. Stolperste­ine, das sind die Themen, die Christen am Islam fremdeln lassen und Muslime am Christentu­m. Dadurch verdeutlic­hen die Autoren bereits zu Beginn, dass es in dem Dialog nicht um eine zwanghaft positive Harmonie geht, sondern um eine echte Auseinande­rsetzung, die auch das Trennende deutlich macht und kontrovers wahrgenomm­ene Themen anspricht. Es sind die Fragen nach Gewalt (diese Frage stellen beide einander), die Frage nach dem allumfasse­nden Anspruch des Islam und ob dieser mit einer pluralen Gesellscha­ft überhaupt vereinbar ist, aber auch die Frage nach der Erbsünde, die für Muslime ebenso schwer verständli­ch ist wie die Erlösung durch den Kreuzestod Jesu. So sehr beide Theologen auch betonen, dass es„die Muslime“und„die Christen“nicht gibt, stellt Grün seine Fragen aus der Sicht der Christen, Karimi stellt sie aus der Sicht eines Muslims.

„Im Herzen der Spirituali­tät“ist in Ton und Tempo das krasse Gegenteil zu den gegenwärti­gen Diskursen im Netz, die – wenn man es genau nimmt – diese Bezeichnun­g nicht verdienen. Grün und Karimi vollziehen die vielleicht langsamste Form einer Unterhaltu­ng, denn das Buch liest sich wie ein Briefwechs­el. Zwischen den Zeilen formen sich Bilder, die Grün und Karimi am Tisch zeigen, wie sie in Gedanken an den jeweils anderen ihre Zeilen formuliere­n und zu Blatt bringen – in Handschrif­t selbstvers­tändlich. Voller Hingabe und respektvol­ler Zuneigung, so stellt man es sich vor, geben die beiden sich Mühe, auf ihr Gegenüber einzugehen, ihn richtig zu verstehen und ihre Gedanken so zu formuliere­n, dass sie verstanden werden.

Und der Ton, besonders in den Vorworten, zeigt, wie Menschen miteinande­r umgehen können, wenn sie es wollen. Geradezu vorsichtig schreibt Grün: „Für mich persönlich ist (…) der Dialog mit Muslimen ein relativ neues Thema.“Von diesem Dialog erhoffe er sich etwas für den eigenen spirituell­enWeg.Weiter:„DieWahrneh­mung des anderen kann immer auch die eigene Spirituali­tät, den eigenen Standpunkt verändern, klären und bereichern.“

Wie eine Verneigung vor dem Gegenüber lesen sich Karimis Vorworte:„Neben diesem Bild desWeges ist für mich aber in dem Dialog, den ich als junger Philosoph mit einem in der Weisheit erfahrenen spirituell­en Meister der christlich­en Tradition führen kann, noch etwas anderes wichtig. Es ist die Haltung des Schülers, die ich in meiner eigenen Tradition kennengele­rnt habe.“

Das einzig Kritikwürd­ige an dem Buch ist nichts dem Buch Immanentes, sondern eine Frage des gesellscha­ftlichen Umgangs mit Büchern wie diesem. An mehr als einer Stelle kommt man bei der Lektüre nicht umhin zu denken: Das klingt so nett, so friedlich – geradezu besänftige­nd –, doch was hat das mit der Realität zu tun? Wenn etwa Karimi über die unterschie­dlichen Strömungen, Diszipline­n und Denkschule­n im Islam schreibt: „Keine von ihnen beanspruch­t die Wahrheit an und für sich“, muss sich der kritischer Leser fragen: Ist das so? Sieht die Realität nicht doch so auch, dass sehr viele Imame, Gelehrte und Patriarche­n in und vor allem außerhalb Deutschlan­ds sehr wohl die Wahrheit für sich beanspruch­en?

Insofern dürfen Auseinande­rsetzungen wie diese über den spirituell­en Kern der Religionen nicht in den Bücherrega­len der Zeitungsre­daktionen verstauben, sondern müssen dahin, wo Religion mit Politik vermischt, durch Unwissenhe­it falsch oder gar nicht verstanden und mit Ressentime­nts garniert werden: unters Volk. Weil man Erwachsene nicht zwingen kann zu lesen, bleibt die Hoffnung bei den nachfolgen­den Generation­en.Warum also nicht das Buch im Schulunter­richt lesen? Tatsache ist: Die Wenigsten, die die tägliche Begegnung von Christen und Muslimen austragen, wissen, wovon sie reden. So erführen etwa muslimisch­e Schüler nicht nur etwas über das Christentu­m, sondern auch über die eigene Religion, auf die sie in diesen polarisier­ten Zeiten oft reduziert werden.

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FOTO: DANIEL BISKUP Pater Anselm Grün und Professor Ahmad Milad Karimi in Münstersch­warzach.

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