Wenn Kinder zu Sexualtätern werden
DÜSSELDORF (ham) Immer wieder kommt es zu Gruppenvergewaltigungen durch oft sehr junge Täter. Zuletzt Anfang Juli in Mülheim, wo drei 14-Jährige und zwei Zwölfjährige eine 18-Jährige auf einem Spielplatz vergewaltigten.
Von den fünf mutmaßlichen Tätern sitzt nur ein 14-Jähriger seit Juli in Untersuchungshaft. Er war schon früher wegen sexueller Belästigung auffällig geworden und soll sich sogar an der gleichen Frau schon vorher vergangen haben. Die anderen vier Jungen konnten nach Hause, auch, weil zumindest die Zwölfjährigen nicht straffällig sind. „Das Wichtigste ist, eine schnelle Entscheidung zu treffen, wie gefährlich die Situation ist“, sagt Christina Lenders-Felske. Sie ist die Leiterin der Fachberatungsstelle für Familien mit Gewalterfahrung der Diakonie in Düsseldorf, mit Schwerpunkt auf sexuell übergriffige Kinder und Jugendliche. Kann das Kind nach Hause zurück oder droht ihm dort Gewalt? Ist das Kind weiter eine Gefahr für andere, und welche Faktoren haben zu dem Übergriff geführt? Was fehlt in der Familie? „Die Kinder schämen sich, über so Intimes zu reden, und der Schock bei den Eltern ist groß”, sagt Lenders-Felske.
Welche Möglichkeiten es gibt, zeigt der Fall einer verhinderten Vergewaltigung in Düsseldorf vor einigen Jahren. Drei Jugendliche (zwölf bis 14 Jahre) trafen sich mit einer Mitschülerin an einem Wäldchen und wollten das Mädchen vergewaltigen. Ein Spaziergänger griff ein und rief die Polizei. Die Situation der drei Angreifer war völlig unterschiedlich. In der Familiensituation zweier Kinder gab es zwar Nachholbedarf, Anzeichen von Verwahrlosung oder Gewalt jedoch nicht. „Allen fehlte allerdings eine Bezugsperson, also fanden sie sich stattdessen gegenseitig”, sagt die Expertin. Der hohe Pornokonsum des 14-Jährigen ließ die Sache eskalieren. Er zeigte die Filme seinen Freunden, „auf einmal wurde aus der Sache eine Mutprobe, zu der sie sich verabredeten“.
Gruppendynamik ist das Stichwort. Kinder und Jugendliche, die das Gefühl haben, sich beweisen zu müssen, schaffen es oft nicht, nein zu sagen. Dazu drängt zusätzlich ein Anführer, der idealisiert wird. In diesem Fall der 14-Jährige. Ergebnis: Bei den Zwölf- und 13-Jährigen empfahl die Fachstelle eine ambulante Betreuung.„Eltern und Kinder waren bereit, in eine Therapie zu gehen und Hilfe vom Jugendamt anzunehmen”, sagt Lenders-Felske.
Für den 14-Jährigen kam das nicht in Frage. „Seine Mutter war schwer krank, der Vater nie zu Hause, deshalb litt der Junge unter schwerer emotionaler Vernachlässigung”, sagt Lenders-Felske. Hinzu kam sein hoher Konsum von Porno-und Gewaltvideos. „Die Rückfallgefahr war hoch.“Der Junge kam in eineWohngruppe für sexuell übergriffige Kinder und Jugendliche.
Das Angebot ist eine Besonderheit in NRW. Allerdings werden Kinder laut Jugendamt grundsätzlich nur dann aus der Familie genommen, wenn alle anderen Maßnahmen keinen Sinn machen. War der Jugendliche wie im Fall Mülheim allerdings schon polizeilich auffällig, droht Untersuchungshaft.