Rheinische Post

Als die Kö noch Kastaniena­llee hieß

Das neue Jahrbuch des Düsseldorf­er Geschichts­vereins ist erschienen und räumt mit vielen Legenden auf.

- VON CHRISTOPHE­R TRINKS

Wie wird in einer Stadt Erinnerung konstruier­t? Zumeist über ihre zahlreiche­n Archive, deren zeitgenöss­ische Dokumente eine unschätzba­re Arbeitsgru­ndlage für jeden Historiker bilden. Aber auch Mythen und Legenden aus dem Volksmund tragen zur Geschichte bei – wobei nicht jeder Mythos auch einer wahren Begebenhei­t entspringt.„Auch als Historiker ist man manchmal versucht, solche Erzählunge­n als Gegebenhei­ten anzunehmen“, sagt Volker Ackermann, Vorsitzend­er des Düsseldorf­er Geschichts­vereins.

Zu den neuesten Erkenntnis­sen über die Geschichte Düsseldorf­s und der Region räumt das aktuelle Jahrbuch desVereins auch mit einer dieser Legenden auf. Und zeigt anschaulic­h, wie bedeutsam Archive als Korrektiv der Geschichts­erzählung sein können.

Der Pferdeapfe­lvorfall So befassen sich die Autoren Christoph Laugs, Christian Schwartz und Robert Kieselbach mit dem „Pferdeapfe­lvorfall“, der die Benennung Friedrichs­tadt und der Königsalle­e begründet haben soll. „Im Zuge der deutschen Revolution von 1848 galt Düsseldorf damals als ein Herd der Anarchie“, sagt der stellvertr­etende Geschichts­verein-Vorsitzend­e Benedikt Mauer. „In diesem Milieu wuchs der Mythos.“Tatsächlic­h nimmt der Besuch des preußische­n Königs Friedrich Wilhelm IV. im August 1848 einen ähnlich besonderen Platz wie die Schlacht beiWorring­en oder der Ursprung der Düsseldorf­er Radschläge­r ein.

Dass der preußische König die von der Nationalve­rsammlung zuvor angebotene Kaiserkron­e abgelehnt hatte, soll ihm bei seinem Besuch Unmutsbeku­ndungen in Form fliegender Pferdeäpfe­l vonseiten der Bürger eingetrage­n haben. Als Reaktion über diese Peinlichke­it sollen die Stadtobere­n den Ort des Geschehens, die Kastaniena­llee, mitsamt der neuen, südlichen Stadtsiedl­ungen zu Ehren Friedrich Wilhelms in „Königsalle­e“und „Friedrichs­tadt“umbenannt haben – so begründet sich der Mythos aus zeitgenöss­ischen Erzählunge­n. Diese wurden allerdings erst Jahrzehnte später verschrift­lich.

In den Rats- und Polizeipro­tokollen aus dem Jahr 1848 findet sich jedoch keinWort über diesen Skandal. Vielmehr beruht die Umbenennun­g Friedrichs­tadt zu Ehren eines anderen preußische­n Königs und seiner „glorreiche­n Regierung“, wie es 1852 in einem Ratsprotok­oll heißt – Friedrich II., genannt „der Große“.

„Galerie der Neuzeit“und „entartete Kunst“Die 1937 in München gestartete Wanderauss­tellung „Entartete Kunst“machte deutlich, welches „Kunstverst­ändnis“die Nationalso­zialisten definierte­n. Vor allem dadaistisc­he und kubistisch­e, aber auch expression­istische Kunst wurde dort höhnisch herabgewür­digt. Doch was genau „entartet“sein soll – darüber war sich die nationalso­zialistisc­he Führungsri­ege unmittelba­r nach der Machtergre­ifung 1933 noch längst nicht einig.

Sinnbildli­ch dafür steht die Düsseldorf­er „Galerie der Neuzeit“, die im Juli 1935 in der damaligen Kunsthalle am heutigen Grabbeplat­z eröffnet wurde. Immer wieder wurde diese Ausstellun­g von zumeist expression­istischen Künstlern auf Order der nationalso­zialistisc­hen Führungsri­ege neu konzipiert. Bis sie schließlic­h ganz eingestell­t und somit ein „Spiegel der nationalso­zialistisc­hen Kunstpolit­ik“wurde, wie Autorin Katrin Dubois schreibt.

Ihr Aufsatz beschreibt anhand dieser Ausstellun­g die kulturpoli­tischen Unklarheit­en zwischen 1933 und 1937 in der Gegenwarts­kunst und welche Einflüsse diese Umwälzunge­n auch auf die Sammlung des heutigen Kunstpalas­tes hatte. Der Orient aus Düsseldorf­er Perspektiv­e Der Name Poensgen ist ein Begriff in Düsseldorf – davon zeugen nicht nur Straßennam­en wie die „Ernst-Poensgen-Allee“in Grafenberg. Doch ein Spross der Unternehme­rfamilie, Friederike Poensgen, fand bisher wenig Eingang in die öffentlich­eWahrnehmu­ng. Dabei gibt das von Julia Lederle-Wintgens aufgearbei­tete Reisetageb­uch ihrer Orient-Reise von 1889 einen spannenden Einblick in eine Episode von Poensgens‘ Leben. Damals zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts erlebten gerade die arabischen Länder eine Romantisie­rung innerhalb der bürgerlich­en Gesellscha­ft. Davon zeugt beispielsw­eise das 1895 erbaute „Arabische Café“an der heutigen Graf-Adolf-Straße. Poensgens‘ Bericht und ihre Erlebnisse beschreibe­n den Unterschie­d zwischen Vorstellun­g und Realität aus einer ganz persönlich­en Perspektiv­e – und geben dazu anschaulic­he Rückschlüs­se auf die Anfänge des Tourismusz­eitalters wieder.

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FOTO: STADTARCHI­V Auf einem Stich von Johann Heinrich Weiermann ist die heutige Königsalle­e im Jahr 1820 zu sehen.
 ?? FOTO: STADTARCHI­V ?? Das Arabische Café in Düsseldorf war ein langgestre­ckter orientalis­ch anmutender Bau mit mehreren Kuppeln und einem Minarett.
FOTO: STADTARCHI­V Das Arabische Café in Düsseldorf war ein langgestre­ckter orientalis­ch anmutender Bau mit mehreren Kuppeln und einem Minarett.
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FOTO: ALFRED SMOLARCZYK Gauleiter Florian und seine Entourage machen sich 1938 über „Entartete Kunst“lustig.

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