Veilchen für die Nachbarn
Zwei Quartiersmanager gehen in Grafenberg auf die Straße, um mit Passanten auf unkonventionelle Weise ins Gespräch zu kommen.
GRAFENBERG In Detroit lebte einst eine alte Lady, die hatte keine Lust mehr, aus ihrem Bett aufzustehen. Milton Erickson, ein Arzt, besuchte sie, weil ein Freund ihn darum bat. Er unterhielt sich mit ihr, bemerkte deren Freude an Usambaraveilchen – und schrieb ein Rezept: Zu jedem Anlass in der Nachbarschaft, Hochzeit, Geburt, Trauerfall, solle die Haushälterin im Namen der alten Dame ein Usambaraveilchen mit schönsten Grüßen verschenken. Die so Bedachten schauten vorbei zum Gegenbesuch, die alte Dame machte für sie Kaffee und Kuchen – und ging fortan nur noch zum Schlafen zurück ins Bett.
Was in Detroit funktionierte, klappt auch in Grafenberg, dachte sich Birgit Keßel und geht nun seit drei Wochen jeden Mittwoch auf die Straße, verschenkt Veilchen an die Passanten und kommt so mit ihnen ins Gespräch. Keßel betreut das Projekt „Nachbarschaft stiften“der evangelischen Oster-Kirchengemeinde, zusammen mit Andreas Vollmert, der regelmäßig im neuen Stadtteiltreff „Das Rund“am Staufenplatz Sprechstunden anbietet. Nur: „Laufkundschaft“gibt es dort nicht. Also: Ab auf die Straße, dachten sich die beiden Quartiersmanager und beziehen fortan an eben jedem Mittwoch ab 10 Uhr vor der Apotheke an der Grafenberger Allee 409 mit Klappstühlen, Tisch, Sonnenschirm und jeder Menge Flyern Stellung, „bei Wind und Wetter, komme, was wolle“, sagt Keßel.
Das Projekt, das im nächsten Jahr ausläuft und dessen Zukunft daher ungewiss ist, richtet sich vor allem an ältere Menschen, „sie sollen aus der Isolation herausgeholt werden“, betont Keßel, und das gelingt mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. „Erst einmal ist es toll, mit den Menschen zu reden, vielleicht nicht unbedingt beim ersten, sondern beim zweiten oder dritten Mal, wenn sie uns sehen. Und dann erzählen sie mir plötzlich ihre ganze Lebensgeschichte“, berichtet Keßel. In einem zweiten Schritt machen die Quartiersmanager auf ihre Angebote aufmerksam, und davon gibt es jede Menge. Die Männerkochgruppe etwa, bei der an jedem dritten Mittwoch im Monat gestandene Kerle im Melanchthonhaus mehrgängige Menüs zelebrieren. Die Malgruppe wird gerade aufgestockt, es gibt eine Nähwerkstatt und einen Lesepatentreff, neuerdings wird auf öffentlichen Plätzen gemeinsam gesungen und im „Rund“gefrühstückt.
Und dann gibt es da noch die Herzensanliegen der beiden„Streetworker“: die Naturspaziergänge etwa, bei denen Gruppen den Ostpark, den Zoopark oder den Grafenberger Wald erkunden, gerne zusammen mit einem Referenten, der etwas über Flora und Fauna erzählen kann. Birgit Keßel sucht in diesem Kontext zudem ehrenamtliche Spaziergangspaten, die womöglich auch bereit sind, mit älteren Menschen, die auf Rollator oder Rollstuhl angewiesen sind, in die Natur zu gehen,„das kann aber auch zu einem Sehnsuchtsort sein, zu einem bestimmten Restaurant, an die Kö oder an den Rhein“, präzisiert sie.
Andreas Vollmert macht aufmersam auf die Ausflüge im Herbst, vor allem auf den Termin Mitte November, wenn Demenzerkrankte mit Freunden oder Angehörigen zusammen Schloss Rheydt besuchen,„dabei dürfen die alten Leute auch mal ohne Anhang eine spezielle Führung genießen“, so Vollmert.