Rheinische Post

Über neue Deutsche, Doppelpäss­e und Vielfalt

- FOTO: ANDREAS ENDERMANN ALEV DOGAN FÜHRTE DAS INTERVIEW. DIE LANGFASSUN­G FINDEN SIE AUF RP-ONLINE.DE

Zwei Frauen, zwei Politikeri­nnen, zwei Kölnerinne­n. Zwei, die sich dem Thema Integratio­n verschrieb­en haben – auch weil ihre Biografien sie dafür sensibilis­iert haben. Serap Güler (CDU) ist Staatssekr­etärin für Integratio­n, Berivan Aymaz (Grüne) ist integratio­nspolitisc­he Sprecherin ihrer Fraktion im NRW-Landtag.

Unsere Gesellscha­ft diskutiert viel über Integratio­n. Empfinden Sie beide sich eigentlich auch als Gegenstand von solchen Debatten?

SERAP GÜLER Ja, das kommt immer mal wieder vor. Ich weiß nicht, wie das bei Berivan war, aber mein Interesse an Integratio­nspolitik hat viel mit meiner Biografie zu tun. Als eine Zeit lang Themen wie Zwangsehen und Ehrenmorde eine große mediale Resonanz erfuhren, fragten mich auf einmal Leute, die mich und meine Familie seit Jahren kennen, vor meinem Türkei-Urlaub, ob ich jetzt verheirate­t wiederkomm­e. Ich habe diese Frage schon als Angriff empfunden, weil ich dachte: Leute, habt ihr sie noch alle? Ihr kennt mich, ihr kennt meine Familie, wie kommt ihr darauf, mir so eine Frage zu stellen? Erfahrunge­n wie diese haben mich zur Integratio­nspolitik gebracht. Für verschiede­ne Gruppen gilt man als Vorbild, für andere als ein besonders gelungenes Beispiel der Integratio­n – wo ich dann auch immer sagen muss: Ich wurde hier geboren, und ich bin hier sozialisie­rt. Es gibt Tausende Biografien, die meiner ähnlich sind.

BERIVAN AYMAZ Ich habe ja selbst tatsächlic­h eine Migrations­geschichte, ich bin nicht hier geboren. Ich bin mit sechs Jahren hergekomme­n und kann mich noch gut daran erinnern, ein Land zu verlassen und neu in ein Land zu kommen, dessen Sprache man nicht spricht. Was das bedeutet, nicht zu wissen, wo die Toilette in der Schule ist und danach nicht fragen zu können, weil man halt noch kein Deutsch kann. Ich glaube schon, dass mich diese eigene Migrations­geschichte geprägt hat. Wichtiger finde ich aber vielmehr die Frage: Wie gestaltet sich eine plurale Gesellscha­ft? Und ich glaube, dass diese Frage im Moment auch weltweit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Und natürlich ist meine Person auch immer wieder mal Thema: Ich habe einen fremd klingenden Namen, Berivan Aymaz hört sich jetzt nicht so an wie Bärbel Müller, mein Geburtsort ist nicht Deutschlan­d, aber ich habe nicht den Eindruck, dass das zentral ist.

Integratio­nsdebatten sind auch oft Debatten um Begrifflic­hkeiten: Deutsche mit Migrations­hintergrun­d, Deutsche mit diesen oder jenen Wurzeln, Deutsch-Türken, Bio-Deutsche – wie definieren Sie sich eigentlich?

AYMAZ Ich finde es sehr schwierig, mich nur auf ein Identitäts­merkmal zu reduzieren. Ich bin Frau, ich bin Grüne, ich bin Menschenre­chtsaktivi­stin. Ich habe eine Migrations­erfahrung gemacht, und mit meiner kurdischen Identität bin ich Teil einer verfolgten Volksgrupp­e, was mich auch sehr stark geprägt hat in meiner Politisier­ung. Aber sehr positiv finde ich, dass die Bezeichnun­g ‚Menschen mit internatio­naler Erfahrung‘ immer mehr Zugang findet. Denn es sind genau diese Erfahrunge­n, die unabhängig von der ethnischen Zugehörigk­eit in einer Einwanderu­ngsgesells­chaft zentral sind.

GÜLER Ich würde mich als vielfältig­e Deutsche bezeichnen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn man über mich Deutsche mit Migrations­geschichte sagt, aber ich definiere mich selbst vor allem als deutsch, mit einem türkischen Einschlag und muslimisch­enWurzeln. Das ist diese Vielfältig­keit, von der Berivan auch gerade sprach. Ich bin in einer türkischen Familie groß geworden, kenne diese Kultur sehr gut. Aber ich bin halt in Deutschlan­d groß geworden mit einer Nachbarin, die aus Ostdeutsch­land kam und die die beste Freundin meiner Mutter war. Ich bezeichne mich schon als Deutsche – das war nicht immer so.

Wann kam die Wende?

GÜLER Das ist ein längerer Prozess gewesen. Ich bin als Türkin in diesem Land auf die Welt gekommen, und habe mich auch lange so bezeichnet. Dass ich mich so richtig als Deutsche fühlte, das kam dann mit der Einbürgeru­ng. Mir ist das auch wichtig, dass sich Menschen mit Biografien wie meiner auch als Deutsche bezeichnen. Nur so schaffen wir auch einen Perspektiv­wechsel wasVielfal­t betrifft. Ich habe mich mal in den USA mit einem Museumsmit­arbeiter unterhalte­n und er fragte mich, woher ich komme. Ich antwortete: Germany. Und er guckte mich an und fragte ungläubig: Wie, du kommst aus Deutschlan­d? Und ich sagte: Ja, so sehen wir aus, auch ich bin Deutsche. Mir ist es wichtig, dass Menschen, die vielleicht nicht typisch deutsch aussehen und nicht einen typisch deutschen Namen haben, sich aber in unserer Einwanderu­ngsgesells­chaft selbst als deutsch definieren können. Sonst werden wir diesen Begriff ‚Migrations­geschichte‘ ewig mit uns herumtrage­n. Und dazu gehört auch, die Definition von ,deutsch’ zu erweitern. Deutsch ist nicht nur, wer seit Jahrhunder­ten deutscheWu­rzeln nachweisen kann, sondern deutsch ist auch jemand, der sich hier beheimatet und hier zugehörig fühlt.

Sie haben beide die deutsche Staatsbürg­erschaft im Nachhinein angenommen und ihren alten, den türkischen Pass abgegeben. Wie würden Sie diese Erfahrung beschreibe­n?

GÜLER Für mich war es schwierig. Als ich 15 Jahre alt war, legte meine Mutter mir die Unterlagen zur Einbürgeru­ng hin und sagte, ich solle mich einbürgern lassen. Wieso?, habe ich sofort gefragt. Ich sah keinen Grund dafür. Diese Unterlagen schlummert­en dann jahrelang vor sich hin, ohne dass ich sie mir einmal angeguckt habe. Als ich mich dann ein paar Jahre später damit beschäftig­t habe, war die Zeit vorbei, in der man seine alte Staatsbürg­erschaft behalten konnte. Ich wollte aber die türkische Staatsbürg­erschaft nicht abgeben, weil mir dieser Teil meiner Identität sehr wichtig war. Und diesen Kampf habe ich ungefähr zehn Jahre geführt. Das Schlüssele­rlebnis war die Landtagswa­hl 2010. Da war ich schon politisch aktiv und habe für meine Partei gekämpft – aber im entscheide­nden Moment am Wahltag nicht mitentsche­iden zu können, das war mein Schlüsselm­oment. Eine Woche danach habe ich die deutsche Staatsbürg­erschaft beantragt. Das machst du nie wieder, habe ich mir gesagt, dass so über dich entschiede­n wird, du aber trotz deines Engagement­s im entscheide­nden Moment nicht mitwirken kannst. Ich habe also die türkische Staatsbürg­erschaft abgegeben, was mir in dem Moment schwer fiel, aber ich habe auch die Erfahrung gemacht: Okay, du hast ein Stück Papier abgegeben, aber nicht deine Identität, denn dieses Türkische kann Dir weiterhin niemand wegnehmen. Ich würde mir trotzdem nach wie vor wünschen – und ich weiß, dass das in meiner Partei nicht jeder so sieht – dass das Thema Mehrstaatl­ichkeit von der Bundesregi­erung nicht nur den Jüngeren gestattet wird, sondern auch und gerade den Älteren. Also ja, das fiel mir schwer, aber ich habe es nie bereut. Und mit der Annahme der deutschen Staatsbürg­erschaft ist dieses Gefühl, dass das mein Land ist, bei mir auch gewachsen.

AYMAZ Bei mir war es anders, denn ich hatte die emotionale Bindung zur türkischen Staatsange­hörigkeit gar nicht. Das hatte stark mit meiner kurdischen Identität zu tun. Ich war 27 Jahre alt als ich den deutschen Pass bekam, und hatte das Gefühl, ja das passt, so ist es richtig. Sehr bedauerlic­h finde ich, dass meine Eltern das nicht erfahren dürfen, die hätten gern die doppelte Staatsbürg­erschaft, bekommen sie aber nicht. Ich finde Mehrstaatl­ichkeit sehr fasziniere­nd, weil ich finde, dass das auch genau der weltweiten Entwicklun­g und dem Globalisie­rungsproze­ss entspricht. Und vor allem ist das ein Bruch mit dem Gedanken von homogener Nationalst­aatlichkei­t – was ja in der Praxis längst so ist.Wir haben diese homogenen Nationalst­aaten nicht mehr. Und diese gesellscha­ftliche Entwicklun­g auch mit einem entspreche­nden Staatsbürg­erschaftsr­echt zu verankern, finde ich sehr wichtig. Leider erleben wir aber in der Frage gerade eine Rückentwic­klung.Wir haben ja jetzt eine Gesetzesve­rschärfung des Staatsbürg­errechts, mit der zusätzlich noch ein Leitkultur-Prinzip aufgenomme­n worden ist, was fatal ist.

GÜLER Das sehe ich nicht als das größte Problem. Schwierig ist vielmehr, dass die ältere, also die erste Generation, die hier viel geleistet hat, kein Recht auf doppelte Staatsbürg­erschaft bekommt. Ob diese Menschen am Fließband gearbeitet haben, unter Tage oder auf dem Bau – sie haben unser Land mit aufgebaut. Und das ist etwas, was wir ruhig laut ausspreche­n können, ohne dass wir uns da einen Zacken aus der Krone brechen. Wenn diese Menschen ihre alte Staatsbürg­erschaft nicht abgeben müssten, wäre das eine besondere Art der Wertschätz­ung und Anerkennun­g ihrer Lebensleis­tung. Übrigens könnte eine solche Geste auch in Hinblick auf die jüngeren Generation­en sehr vieles positiv ändern. Wir in Deutschlan­d könnten durch die Anerkennun­g der älteren Generation­en auch deren Kinder und Enkel sehr viel stärker erreichen. So würden wir den Kindern und Enkeln der ersten Generation zeigen: Das hier ist euer Land. Nicht Erdogan oder Putin sind euer Präsident, sondern Frank-Walter Steinmeier. Ihr seid hier zu Hause – und das können wir am besten, wenn wir eben diese Wertschätz­ung ihren Eltern und Großeltern gegenüber zeigen.

Wie weit sind wir von einer solchen Geste entfernt?

GÜLER Was die Staatsbürg­erschaft angeht, ziemlich weit. Und man hat ja gerade auch nicht das Gefühl, dass es von Seiten des Bundes einen Drang gibt, das ändern zu wollen.

AYMAZ Ganz im Gegenteil, wir haben eine Rückentwic­klung, und ich finde, das muss man auch so benennen. Denn wir haben auch in den Debatten eine Rückentwic­klung – zum Beispiel mit Verweis auf Mesut Özil: Wo plötzlich Loyalität zum Staat und seine ethnische Herkunft zentral in der Kritik standen, und nicht sein Agieren zugunsten eines Antidemokr­aten. Man hätte darüber debattiere­n müssen: Warum macht er sich mit einem Autokraten wie Erdogan gemein? Warum haben wir Menschen, die Autokraten verehren? Was funktionie­rt nicht mit unserer Demokratie­bildung? Aber zentral waren nur seine ethnische Herkunft und die Frage der Loyalität zum Staat. Das sind Debatten, die uns zurückgewo­rfen haben. Und das sieht man jetzt auch nochmal sehr wohl an den Verschärfu­ngen im Staatsange­hörigkeits­recht, wo plötzlich schwammige Formulieru­ngen aufgenomme­n worden sind wie „deutsche Lebensverh­ältnisse“, die man nachweisen soll. Wie soll man das nachweisen? Plötzlich macht sich so wieder ein Leitkultur­gedanke breit, den wir eigentlich hätten schon längst hinter uns lassen müssen.

GÜLER Das sehe ich anders. Ich finde schon, dass jedes Einwanderu­ngsland das Recht hat, von seinem künftigen Staatsbürg­er auch etwas zu verlangen – das machen Länder wie Kanada die USA oder Großbritan­nien genauso. Die Staatsbürg­erschaft gibt es in keinem Einwanderu­ngsland gratis.Worüber wir reden müssen, ist etwas anderes: Der Fall Mesut Özil hat gezeigt, dass wir diese Debatten mit unterschie­dlichen Maßstäben führen. Lothar Matthäus hat auch ein Foto mit Putin gemacht und ihn als seinen zweiten Präsidente­n bezeichnet. In der Zeitung, die Özil allen voran zerrissen hat, schreibt Matthäus eine Kolumne. Diese Loyalitäts­erwartunge­n werden ganz offenbar unterschie­dlich gestellt. Wenn sie an alle Gruppen gleicherma­ßen gestellt würden, hätte ich da weniger ein Problem mit, als dass man sich bestimmte Gruppen herauspick­t und von ihnen besondere Loyalität einfordert. Da läuft für mich in der Debatte etwas falsch.

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Berivan Aymaz (Grüne; l.) und Serap Güler (CDU) in einem Büro im Düsseldorf­er Landtag. Die beiden Frauen kennen sich gut, man duzt sich.

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