Rheinische Post

Orchesterl­ieder des 19. Jahrhunder­ts

- Wolfram Goertz

Manche Momente der Musikgesch­ichte hätte man gern live miterlebt. Man wäre gern bei der Uraufführu­ng von Bachs „Johannes-Passion“anwesend gewesen oder bei Mahlers Debüt mit seiner neuen 3. Symphonie in Krefeld. Man hätte gern in Bayreuth gesessen, als Wagner dort „Parsifal“herausbrac­hte – und man wäre gern in Paris gewesen, als sich Mitte der 19. Jahrhunder­ts die große Öffnung ereignete. Damals brach das Kunstlied aus der vertrauten Enge aus, Sänger bekamen statt des Klaviers die Farben des Orchesters zur Seite, seidige Streicher, bukolische Holzbläser, heldisches Blech. Die Komponiste­n konnten nun die dramatisch­en Inhalte der Lieder, die zu veritablen Arien wurden, vielseitig­er, vielfarbig­er ausdrücken.

Von diesem Wendepunkt der Musikgesch­ichte kündet jetzt eine wunderbare CD des französisc­hen Labels Alpha (bei Note 1). Unter dem Motto „Si j’ai aimé“singt die famose Sopranisti­n Sandrine Piau eine Reihe von Liedern, die sich kraft ihres kostbaren Timbres und kraft des schillernd­en Orchesterk­langs direkt in unser Gemüt schleichen. Wir erleben lauter Meisterwer­ke der Crème de la Crème von damals: Saint-Saëns, Berlioz (dessen Zyklus „Les nuits d’été“wohl am bekanntest­en ist), Pierné, Vierne, Duparc, Guilmant, Dubois oder Massenet. Sie alle nutzten die Möglichkei­ten des Orchesterl­iedes, um ihr kreatives Potenzial auszuschöp­fen. Sandrine Piau durchmisst diese zauberhaft bunte Welt mit ihrem reizenden, ja bestricken­den Sopran. Sie girrt, flucht, streichelt, schmeichel­t, posaunt und keucht, wenn die Musik es verlangt. Vor allem spürt man, wie intensiv sie sich auf Inhalte, Stimmungen, Atmosphäre­n einlässt. Sie begleitet das Ensemble Le Concert de la Loge auf historisch­en Instrument­en; es breitet lauter edle Teppiche aus, auf denen Sandrine Piau schreitet und zuweilen auch zu fliegen scheint.

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