Rheinische Post

Hauptsache, nicht mit der AfD

In Brandenbur­g liegt die Partei in den Umfragen in Führung. An die Regierung dürfte sie trotzdem nicht kommen.

- VON KRISTINA DUNZ

POTSDAM Ingo Senftleben ist ein Rebell. Schon im Frühjahr vorigen Jahres hatte der brandenbur­gische CDU-Vorsitzend­e eine Koalition mit der Linken nach der Landtagswa­hl am 1. September 2019 nicht ausgeschlo­ssen. Annegret Kramp-Karrenbaue­r, damals noch CDU-Generalsek­retärin, gab ihm dafür ordentlich eins aufs Dach. Als Parteichef­in setzte sie beim Bundespart­eitag in Hamburg einen Beschluss durch, wonach die CDU jede Zusammenar­beit sowohl mit der AfD wie auch der Linksparte­i ablehnt. Senftleben aber blieb bei seiner Haltung. Nebenbei bemerkt: CDU und Linke haben in Brandenbur­g jeweils rund 6000 Mitglieder. Die SPD lag zuletzt nur geringfügi­g darüber. Aber die Linke ist hier eine Volksparte­i.

Senftleben sagt auf die Frage, ob man Linke und AfD in einem Atemzug nennen dürfe: „Nein. In Brandenbur­g nicht. Die Linke ist seit zehn Jahren an der Regierung und hat mit Beschlüsse­n auch zu guten Entscheidu­ngen beigetrage­n.“Die AfD in Brandenbur­g gehöre dem rechtsradi­kalen „Flügel“der Partei an. „Die wollen ein komplett anderes Land. Das wäre für Brandenbur­g und Deutschlan­d der falsche Weg und extrem gefährlich“, warnt der 44-Jährige.

Das Problem ist nur: Nach den Umfragen könnte die AfD stärkste Kraft in dem Bundesland rund um Berlin werden. SPD, CDU, Linke und Grüne liegen dicht beieinande­r zwischen 15 und 18 Prozent. Der SPD wird auch in ihrem letzten bislang unangefoch­tenen Kernland der Absturz vorhergesa­gt. 2014 hatte sie 31,9 Prozent erzielt. Auch CDU und Linken werden Einbußen prognostiz­iert. Fast verdreifac­hen könnten sich hingegen die Grünen, die vor fünf Jahren auf 6,2 Prozent kamen.

Die Grünen-Spitzenkan­didatin Ursula Nonnemache­r (62) berichtet begeistert von vielen Parteieint­ritten: „Wir sind hier immer noch eine struktursc­hwache Partei“, räumt sie ein. „Aber jetzt haben wir einen so starken Rückhalt bei den Wählern, dass wir Fragen bekommen, ob wir uns vorsichtsh­alber auch auf das Ministerpr­äsidentena­mt einstellen.“

Andere Parteien nervt es,„dass die Grünen sich in der Rolle der Königsmach­er gefallen“, wie es ein Konkurrent formuliert. Aber es ist ohnehin klar, dass die nächste Landesregi­erung keine Zweierkoal­ition mehr sein wird. Denn dafür reicht es vorne und hinten nicht. Wenn es schlecht läuft, könnte es sogar eine Vier-Parteien-Regierung gegen die AfD geben, die laut Umfragen als einzige Partei über 20 Prozent liegt.

Wie konnte das passieren, dass die AfD hier so stark geworden ist? Ihr Spitzenkan­didat Andreas Kalbitz (46) gehört zum völkischen AfD-Flügel um den AfD-Spitzenkan­didaten für die Landtagswa­hl in Thüringen im Oktober, Björn Höcke. Aber Kalbitz können wir an dieser Stelle nicht zu Wort kommen lassen. Er fand innerhalb von acht Tagen keine Zeit für ein Gespräch. Auch nicht am Telefon.

Die Spitzenkan­didatin der Linken, Kathrin Dannenberg (53), beschreibt die Lage so: „Die Ostdeutsch­en haben keine blühenden Landschaft­en erlebt. Ihre Lebensbiog­rafien wurden zumeist nicht anerkannt, ihre Leistung nicht angemessen vergolten – weder materiell noch ideell. Viele wurden entlassen, Fabriken gingen kaputt. Bei der Aufnahme von Flüchtling­en entstand der Eindruck, denen werde mehr Fürsorge zuteil.“Diese Stimmung greife die AfD auf. Dannenberg warnt eindringli­ch: „Mit der AfD kommt nicht der Protest, mit ihr kommen die Nazis ins Parlament. Herr Kalbitz kommt aus München und will die friedliche Revolution der DDR-Bürger für sein Programm kidnappen.“

Weil niemand mit der AfD koalieren wolle, bezeichnet es Nonnemache­r als klugen Schachzug, dass Senftleben eine Koalition der CDU mit der Linken nicht ausgeschlo­ssen habe. Würde die Linke denn auch mit der CDU koalieren? „Auf Landeseben­e wäre das schwierig“, sagt Dannenberg. „Aber selbstvers­tändlich sind Gespräche unter Demokraten immer nötig und wichtig.“Auf kommunaler Ebene gebe es dagegen schon Zusammenar­beit von Linken und CDU.

Nonnemache­r, immerhin in der Opposition, findet, dass die Lage in Brandenbur­g viel besser sei als ihr Ruf. „Das ist bei vielen aber noch nicht angekommen.“Die Krankenhäu­ser etwa seien moderner als im Partnerlan­d Nordrhein-Westfalen. „Trotzdem sind viele Menschen tief gekränkt, verbittert und fühlen sich als zweite Klasse. Sie verdienen oft weniger als Westdeutsc­he, der Osten ist wirtschaft­lich immer noch schwächer als der Westen.“Dannenberg, deren Partei seit zehn Jahren mit der SPD regiert, sagt: „Wir haben viel erreicht. Wir verkaufen uns nur unter Wert, weil wir immer sagen, dass das noch nicht reicht. Es ist aber schon sehr gut.“

Viele Wahlkämpfe­r halten eine rot-rot-grüne Koalition für wahrschein­lich. Das würde der SPD – wie zuletzt in Bremen – trotz Verlusten die Macht im Bundesland sichern und ihren Verbleib in der großen Koalition stützen. Aber Dannenberg sorgt sich: „Die einstmals dominieren­den Sozialdemo­kraten haben – wie die SPD insgesamt – Orientieru­ng und Identität verloren.“Senftleben mahnt: „Das wird keine leichte Regierungs­bildung.“Nur dass es keine Regierung mit AfD-Beteiligun­g werden wird, darin sind sich alle einig.

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FOTO: DPA Wahlkampfv­eranstaltu­ng der SPD im brandenbur­gischen Rüdersdorf. Der einst dominieren­den Partei drohen bei der Landtagswa­hl erhebliche Verluste.

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