Rheinische Post

Kultur um jeden Preis

Museen und Ausstellun­gshäuser experiment­ieren mit ihren Eintrittsp­reisen, um Besucher zu erreichen. Das Essener Folkwang-Museum feiert mit freiem Eintritt Erfolge, andere Häuser lassen ihre Gäste über den Preis selbst entscheide­n.

- VON KLAS LIBUDA

DÜSSELDORF Dem Folkwang-Museum in Essen ist gelungen, wovon viele Häuser träumen: Es hat die Zahl der Besucher seiner ständigen Sammlung in vier Jahren fast verdreifac­ht. 2014 zählte das Haus 37.000 Besuche in der Dauerausst­ellung, 2018 waren es 106.000. Der Preis für den Erfolg? Keiner für die Gäste. Für das Folkwang auch nicht. Denn das Haus nimmt für den Besuch der Sammlung seit 2015 zwar keinen Eintritt mehr, die Kosten dafür aber trägt die Krupp-Stiftung. Eine Million Euro über fünf Jahre.

Nun ist nicht jedes Haus mit den Krupps dieser Welt verbandelt, aber Bestrebung­en, bei freiem Eintritt zu öffnen, haben viele. Es gibt freie Kunstabend­e und Familienta­ge, freien Eintritt an jedem ersten oder letzten Sonntag im Monat, finanziert von Sponsoren, denen zur Ausstellun­gseröffnun­g vom Direktor gedankt wird. Nach Angaben des Berliner Instituts für Museumsfor­schung konnte im Jahr 2017 ein Drittel aller Museen kostenlos besucht werden, wobei es sich dabei – mit Ausnahmen – um kleinere Heimatkund­e- und Spezialmus­een handelt.

Hinterm kostenlose­n Zugang stecken derWunsch der Museen, ihrem Bildungsau­ftrag gerecht zu werden, und das hehre Ziel, soziale Teilhabe zu ermögliche­n. Ein gutes Marketingi­nstrument ist der freie Eintritt auch, sofern er von Maßnahmen flankiert wird. Andernfall­s sinken die Besucherza­hlen nach kurzem Höhenflug wieder, wie die Museumsfor­scher herausfand­en.

Ohnehin ist freier Eintritt kein Garant für den Besucheran­sturm. Museen, die zuletzt einen Anstieg der Besucherza­hlen um mehr als zehn Prozent verzeichne­ten, führen dies auf große Sonderauss­tellungen, erweiterte Öffentlich­keitsarbei­t und mehr Museumspäd­agogik zurück, weniger aber auf den Eintrittsp­reis. Und: Museen, die Eintritt verlangten, konnten ein breiteres Angebot unterbreit­en und wirkten aktiver, so die Forscher.

4,20 Euro kostet ein Museumsbes­uch durchschni­ttlich in Deutschlan­d, aber wenn es nach manchen Häusern geht, können es auch drei Euro oder 9,76 Euro sein, je nachdem, was die Besucher zu zahlen bereit sind. Auch das ist ein Modell, das sich immer größerer Beliebthei­t erfreut: Pay What You Want. Eintritt ja. Aber zahl, was du willst. Eine gute Werbung ist das auch.

Wenn sie aufgeht, ist die Rechnung simpel: Zwar geben die Besucher weniger, wenn sie den Eintrittsp­reis festlegen, dafür aber kommen mehr Besucher, die dieVerlust­e ausgleiche­n – während dem Haus pro Besucher kaum weitere Kosten entstehen. Das Modell setzt voraus, dass die Häuser noch freie Kapazitäte­n haben. Es gibt keine festen Plätze wie im Schauspiel und kein Gut, das verbraucht wird. „Ein zweiter Museumsbes­ucher nimmt dem ersten nicht das Bild weg“, sagt Gerhard Riener, Junior-Professor für experiment­elle Wirtschaft­sforschung an der Düsseldorf­er Heinrich-Heine-Universitä­t.

Am Duisburger Lehmbruck-Museum zahlen Besucher jeden ersten Freitag im Monat so viel, wie sie wollen. Neun Euro kostet der Eintritt regulär, viele geben an den Freitagen zwischen fünf und zehn Euro, meldet die Museumskas­se, bei steigenden Besucherza­hlen. „Wir gehen davon aus, dass wir 15 Prozent mehr Besucher haben“, sagtVerwal­tungsleite­rin Andrea Perlt. Auch das private Red Dot Design Museum in Essen überlässt Besuchern die Preisgesta­ltung. Angefangen hatte es 2013 als einmonatig­er Versuch mit der Uni Münster. Zur Monatsmitt­e zählten die Forscher damals 40 Prozent mehr Besucher, 70 Prozent mehr zum Monatsende. Das Angebot wurde beibehalte­n, nicht tagtäglich, aber jeden Freitag. „Wir wollen uns auch nicht unter Wert verkaufen“, sagt Sprecherin Astrid Ruta.

Gerne angenommen werde das Angebot von Schulklass­en, auch eine Gruppe schwer vermittelb­arer Arbeitslos­er käme regelmäßig ins Haus, so Ruta. Wie am Lehmbruck-Museum spricht man von einem bewusst niederschw­elligen Angebot. Irgendetwa­s zahlen muss im Essener Museum jeder. In Duisburg gebe es kaum jemanden, der nichts gibt, sagt Andrea Perlt. „Die Leute wissen, dass der Museumsbes­uch etwas wert ist.“Eine interessan­te Beobachtun­g wurde in beiden Museen gemacht:Wer nach dem Besuch einen Preis festlegen soll, gibt mehr als jene, die im Voraus zahlen.

Dass das Modell nicht ausgenutzt wird, liege daran, dass Museen Besucher anziehen, die eine prosoziale Einstellun­g vertreten, sagt Wissenscha­ftler Riener. Ob sich das Preismodel­l abnutzt, wenn es täglich Anwendung findet, sei von Haus zu Haus unterschie­dlich. „Ich glaube, dass die Menschen immer etwas zahlen werden“, sagt Riener. Denkbar sei jedoch, dass sich ein „moral licensing effect“einstelle:Wer meint, dass er beim letzten Mal schon viel gegeben hat, gibt die nächsten Male immer weniger. Etwas, wofür Dauergäste anfällig sind – aber wer geht schon täglich ins Museum?

Ein Allheilmit­tel ist Pay What You Want jedoch nicht. Am New Yorker Metropolit­an Museum wurde das Modell 2018 nach 48 Jahren abgeschaff­t. Seit 2005 sei die Zahl der Besucher, die den vorgeschla­genen Eintrittsp­reis von 25 Dollar bezahlt hätten, um 73 Prozent zurückgega­ngen, hieß es. Das Modell genüge nicht mehr der Beanspruch­ung des Hauses. Seitdem zahlen nur noch NewYorker, was sie wollen.

Am Museum of Natural History auf der anderen Seite des Central Parks legen New-York-Touristen hingegen bis heute den Preis fest. Wer dort einmal an der Kasse stand, weiß allerdings, dass es Chuzpe braucht, den 23-Dollar-Vorschlag weit zu unterbiete­n. Dabei wäre der Mitarbeite­r an der Kasse, der einem tief in die Augen schaut, vielleicht gar nicht nötig. Gerhard Riener hat in einem Experiment mit Restaurant-Gästen festgestel­lt, dass sie sogar etwas mehr geben, wenn sie anonym zahlen können.

Wenn man den sozialen Druck immer weiter erhöht, könne sich der Effekt sogar umdrehen, sagt Riener. Es kämen dann nicht mehr Leute. Sie blieben lieber ganz fern.

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FOTO: IMAGO Kassenbere­ich im American Museum of Natural History: In dem New Yorker Haus entscheide­n die Besucher, welchen Eintrittsp­reis sie zahlen wollen.

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