Mittelalterliches Kleinod am Rhein
Wer Zons betritt, erlebt längst vergangene Jahrhunderte in Farbe. Einst erhoben die Fürsten hier den Rheinzoll, heute erzählt die Stadt, die in Wahrheit keine ist, so manche Schauergeschichte.
DORMAGEN Wäre der Rhein nicht davon geflossen, die Zonser Altstadt könnte das kleineVenedig auf dem Festland sein. Schiffe schipperten dann noch dicht an der Stadtmauer vorbei und nicht 300 Meter entfernt, so wie heute, verborgen hinter dem hohen Deich. Der Rest passt aber. Autos dürfen nur die Zonser fahren, auf jeden Anwohner kommen 1400 Touristen im Jahr, und irgendwie hat sie ja auch etwas Romantisches, die Zollfeste aus dem Mittelalter. In der Altstadt sind fast alle Häuser denkmalgeschützt. Es gibt einen versteckten Spielplatz, einen öffentlichen Garten, in dem Rosmarin und Koriander wachsen, und unzählige enge Gassen, in denen urige Cafés eine Pause vom Alltag versprechen – und einen Hauch längst vergangener Tage.
Nur etwa zehn Prozent der 5371 Zonser leben innerhalb der Mauern. Ein Dorf in der Stadt, jede Straße im rechtenWinkel zur nächsten. Das alte Zons ist eine Festung, entworfen am Reißbrett, umgeben vonWachtürmen, wo niemand mehr wacht, und einer Mühle, in der kein Korn mehr gemahlen wird. Es ist, als sei die Zeit eingefroren. Die Ära der Fürsten und Könige, an wenigen Orten im Land wird sie so lebendig wie hier, in einer kleinen Siedlung am Rhein. Jedes Jahr kommen mehr als 700.000 Touristen und tauchen ein ins Mittelalter.
Einer, der die Geschichte der Zonser Feste, wie die Altstadt gerne genannt wird, gut kennt, ist Karl-Heinz Stumps. Der 79-Jährige ist seit 25 Jahren einer von fünf Nachtwächtern. „Hier hat jeder Stein seine Geschichte“, sagt er. Früher war er Betriebsleiter in einer Fabrik, heute mimt er mit Hellebarde und Stadtschlüssel den Ordnungshüter. Die Nachtwächter warnten die Bürger vor Feuer und Dieben, sie schlossen die Stadttore ab und sangen zu jeder vollen Stunde die Uhrzeit. Als im 20. Jahrhundert Straßenlaternen und Polizeigesetze kamen, verschwand der Nachtwächter. Stumps lässt die Tradition wieder aufleben. Und er spielt noch eine zweite Rolle. Bei Führungen am Tag ist er Bischof, Kurfürst, Herzog. Dann legt er das Gewand von Clemens August an, einem der mächtigsten Männer des Heiligen Römischen Reiches. Er war im 18. Jahrhundert Erzbischof von Köln und – das belegen Chroniken – Schützenkönig von Zons.
Die Stadt am Rhein soll einer seiner Lieblingsorte gewesen sein. 400 Jahre zuvor hatte einer seiner Vorgänger sie erbaut. Friedrich III. von Saarwerden verlegte 1373 die Zollstätte von Neuss ins heutige Zons. Drei Mal brannte die Stadt in den folgenden Jahren ab, zwei Mal brach die Pest aus. Der Rhein trat über die Ufer, die Stadt wurde belagert, zerstört, versteigert, aber jedes Mal wieder aufgebaut. Zu Ehren von Friedrich III. steht am Eingang der Feste am Rheintor eine Statue des Stadtgründers.
Nur wenige Meter weiter, entlang der Stadtmauer und zwischen den Wachtürmen, die in Zons jeder nur Pfefferbüchsen nennt, bewirtet Carla Juch ihre Gäste im ältesten Haus der Altstadt. Die Torschenke steht seit 600 Jahren hier, mindestens. Die Erbauer haben die drei Stockwerke in den Stadtmauern angelegt, die Türschwelle der Schenke liegt genau auf der Linie des Festungswalls. Das Gebäude, damals alsWohnhaus entworfen, hielt Krieg, Feuer und Hochwasser stand. Juch, 51, hat die Räume 2007 umgebaut und ein Restaurant eröffnet. Schon ihre Großmutter verkaufte hier Kaffee, das Haus ist seit mehr als 100 Jahren im Besitz der Familie. Im Winter heizt Juch den Innenraum mit einem Kamin, im Sommer sitzen die Gäste draußen auf der Terrasse. Die Besucher sitzen im ehemaligen Rheinbett außerhalb der Mauern. Juch liebt das Rauschen der Pappeln, es war einer der Gründe, warum sie aus ihrer Wahlheimat Barbados zurückgekehrt ist. „Die Stadt ist ein mystisches Kleinod mitten in einem riesigen Ballungsraum“, sagt sie.
Die Rheinstraße wird westlich der Mauer auch Prachtstraße genannt – hier geht Zons aus. Folgt man dem Weg, erreicht man den Schlossplatz, das Zentrum der Feste. Durch die Schlossstraße ist der Platz mit dem Stadttor auf der anderen Seite der Altstadt verbunden. Hinter dem Schlossplatz wacht die mächtige Burg Friedestrom. Friedrich III. ließ sie zur Sicherung des Rheinzolls bauen, heute nutzen das Kreismuseum und das Kreisarchiv die Räume. Direkt neben der Burg ragt der Juddeturm in den Himmel, nach der Kirche St. Martinus ist er das höchste Gebäude der Feste. Im Inneren des Turms befindet sich ein elf Meter tiefes Verlies. Im Mittelalter saßen dort Diebe und Schwerverbrecher ein. Noch heute erzählt man sich, dass die Geister der Gefangenen, die im dunklen Kerker starben, bei Nacht in den glitzernden Fenstern des Turms erscheinen.
Stumps sagt, heute kommen immer mehr Gäste. Das Interesse steigt, oft hat er aber das Gefühl, die Leute vertrauen ihm nicht. „Ich erlebe es oft, dass jemand mit dem Smartphone neben mir steht und checkt, ob das auch stimmt, was ich erzähle“, sagt er. Es gebe aber auch tolle Momente. Besucher, die begeistert sind vom historischen Erbe, und Kinder, die nicht genug bekommen können von den Geschichten. 1992 kam Michail Gorbatschow. Der letzte Präsident der Sowjetunion war auf dem Weg nach Unkel, zum sterbenden Altkanzler Willy Brandt, als er mit einem schweren Dampfer in Zons Halt machte und sich die Stadt zeigen ließ.
Besonders stolz sind die Bewohner auf den Schweinebrunnen. Auf der anderen Seite der Feste, wo der Ausflug endet, erinnern fünf bronzene Schweine an die Wehrhaftigkeit der Zonser. 1575 stahlen die Soldaten des Kölner Erzbischofs 50 Schweine von einerWeide in Zons. Die Bevölkerung wehrte sich, nach zwei Jahren lenkte der Erzbischof ein und entschädigte Zons. 400 Jahre später zeigte sich der Stolz erneut. 1975 wurde Zons ein Stadtteil von Dormagen – und darf sich trotzdem Stadt Zons nennen. Die Altstadt ist eben eine Festung. Und sie will sich niemals unterwerfen.