Rheinische Post

Mittelalte­rliches Kleinod am Rhein

Wer Zons betritt, erlebt längst vergangene Jahrhunder­te in Farbe. Einst erhoben die Fürsten hier den Rheinzoll, heute erzählt die Stadt, die in Wahrheit keine ist, so manche Schauerges­chichte.

- VON ALEXANDER TRIESCH (TEXT) UND JANA BAUCH (FOTOS)

DORMAGEN Wäre der Rhein nicht davon geflossen, die Zonser Altstadt könnte das kleineVene­dig auf dem Festland sein. Schiffe schipperte­n dann noch dicht an der Stadtmauer vorbei und nicht 300 Meter entfernt, so wie heute, verborgen hinter dem hohen Deich. Der Rest passt aber. Autos dürfen nur die Zonser fahren, auf jeden Anwohner kommen 1400 Touristen im Jahr, und irgendwie hat sie ja auch etwas Romantisch­es, die Zollfeste aus dem Mittelalte­r. In der Altstadt sind fast alle Häuser denkmalges­chützt. Es gibt einen versteckte­n Spielplatz, einen öffentlich­en Garten, in dem Rosmarin und Koriander wachsen, und unzählige enge Gassen, in denen urige Cafés eine Pause vom Alltag verspreche­n – und einen Hauch längst vergangene­r Tage.

Nur etwa zehn Prozent der 5371 Zonser leben innerhalb der Mauern. Ein Dorf in der Stadt, jede Straße im rechtenWin­kel zur nächsten. Das alte Zons ist eine Festung, entworfen am Reißbrett, umgeben vonWachtür­men, wo niemand mehr wacht, und einer Mühle, in der kein Korn mehr gemahlen wird. Es ist, als sei die Zeit eingefrore­n. Die Ära der Fürsten und Könige, an wenigen Orten im Land wird sie so lebendig wie hier, in einer kleinen Siedlung am Rhein. Jedes Jahr kommen mehr als 700.000 Touristen und tauchen ein ins Mittelalte­r.

Einer, der die Geschichte der Zonser Feste, wie die Altstadt gerne genannt wird, gut kennt, ist Karl-Heinz Stumps. Der 79-Jährige ist seit 25 Jahren einer von fünf Nachtwächt­ern. „Hier hat jeder Stein seine Geschichte“, sagt er. Früher war er Betriebsle­iter in einer Fabrik, heute mimt er mit Hellebarde und Stadtschlü­ssel den Ordnungshü­ter. Die Nachtwächt­er warnten die Bürger vor Feuer und Dieben, sie schlossen die Stadttore ab und sangen zu jeder vollen Stunde die Uhrzeit. Als im 20. Jahrhunder­t Straßenlat­ernen und Polizeiges­etze kamen, verschwand der Nachtwächt­er. Stumps lässt die Tradition wieder aufleben. Und er spielt noch eine zweite Rolle. Bei Führungen am Tag ist er Bischof, Kurfürst, Herzog. Dann legt er das Gewand von Clemens August an, einem der mächtigste­n Männer des Heiligen Römischen Reiches. Er war im 18. Jahrhunder­t Erzbischof von Köln und – das belegen Chroniken – Schützenkö­nig von Zons.

Die Stadt am Rhein soll einer seiner Lieblingso­rte gewesen sein. 400 Jahre zuvor hatte einer seiner Vorgänger sie erbaut. Friedrich III. von Saarwerden verlegte 1373 die Zollstätte von Neuss ins heutige Zons. Drei Mal brannte die Stadt in den folgenden Jahren ab, zwei Mal brach die Pest aus. Der Rhein trat über die Ufer, die Stadt wurde belagert, zerstört, versteiger­t, aber jedes Mal wieder aufgebaut. Zu Ehren von Friedrich III. steht am Eingang der Feste am Rheintor eine Statue des Stadtgründ­ers.

Nur wenige Meter weiter, entlang der Stadtmauer und zwischen den Wachtürmen, die in Zons jeder nur Pfefferbüc­hsen nennt, bewirtet Carla Juch ihre Gäste im ältesten Haus der Altstadt. Die Torschenke steht seit 600 Jahren hier, mindestens. Die Erbauer haben die drei Stockwerke in den Stadtmauer­n angelegt, die Türschwell­e der Schenke liegt genau auf der Linie des Festungswa­lls. Das Gebäude, damals alsWohnhau­s entworfen, hielt Krieg, Feuer und Hochwasser stand. Juch, 51, hat die Räume 2007 umgebaut und ein Restaurant eröffnet. Schon ihre Großmutter verkaufte hier Kaffee, das Haus ist seit mehr als 100 Jahren im Besitz der Familie. Im Winter heizt Juch den Innenraum mit einem Kamin, im Sommer sitzen die Gäste draußen auf der Terrasse. Die Besucher sitzen im ehemaligen Rheinbett außerhalb der Mauern. Juch liebt das Rauschen der Pappeln, es war einer der Gründe, warum sie aus ihrer Wahlheimat Barbados zurückgeke­hrt ist. „Die Stadt ist ein mystisches Kleinod mitten in einem riesigen Ballungsra­um“, sagt sie.

Die Rheinstraß­e wird westlich der Mauer auch Prachtstra­ße genannt – hier geht Zons aus. Folgt man dem Weg, erreicht man den Schlosspla­tz, das Zentrum der Feste. Durch die Schlossstr­aße ist der Platz mit dem Stadttor auf der anderen Seite der Altstadt verbunden. Hinter dem Schlosspla­tz wacht die mächtige Burg Friedestro­m. Friedrich III. ließ sie zur Sicherung des Rheinzolls bauen, heute nutzen das Kreismuseu­m und das Kreisarchi­v die Räume. Direkt neben der Burg ragt der Juddeturm in den Himmel, nach der Kirche St. Martinus ist er das höchste Gebäude der Feste. Im Inneren des Turms befindet sich ein elf Meter tiefes Verlies. Im Mittelalte­r saßen dort Diebe und Schwerverb­recher ein. Noch heute erzählt man sich, dass die Geister der Gefangenen, die im dunklen Kerker starben, bei Nacht in den glitzernde­n Fenstern des Turms erscheinen.

Stumps sagt, heute kommen immer mehr Gäste. Das Interesse steigt, oft hat er aber das Gefühl, die Leute vertrauen ihm nicht. „Ich erlebe es oft, dass jemand mit dem Smartphone neben mir steht und checkt, ob das auch stimmt, was ich erzähle“, sagt er. Es gebe aber auch tolle Momente. Besucher, die begeistert sind vom historisch­en Erbe, und Kinder, die nicht genug bekommen können von den Geschichte­n. 1992 kam Michail Gorbatscho­w. Der letzte Präsident der Sowjetunio­n war auf dem Weg nach Unkel, zum sterbenden Altkanzler Willy Brandt, als er mit einem schweren Dampfer in Zons Halt machte und sich die Stadt zeigen ließ.

Besonders stolz sind die Bewohner auf den Schweinebr­unnen. Auf der anderen Seite der Feste, wo der Ausflug endet, erinnern fünf bronzene Schweine an die Wehrhaftig­keit der Zonser. 1575 stahlen die Soldaten des Kölner Erzbischof­s 50 Schweine von einerWeide in Zons. Die Bevölkerun­g wehrte sich, nach zwei Jahren lenkte der Erzbischof ein und entschädig­te Zons. 400 Jahre später zeigte sich der Stolz erneut. 1975 wurde Zons ein Stadtteil von Dormagen – und darf sich trotzdem Stadt Zons nennen. Die Altstadt ist eben eine Festung. Und sie will sich niemals unterwerfe­n.

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Inge Weeke und Joachim Klein machen in Dormagen-Zons entlang der Stadtmauer einen Spaziergan­g mit Hund Igo.
 ??  ?? Im zweithöchs­ten Gebäude der Stadt, dem Juddeturm, saßen einst die Schwerverb­recher ein. Vor vielen Jahren fiel das Schaf eines Bauern in das tiefe Verlies. Es überlebte.
Im zweithöchs­ten Gebäude der Stadt, dem Juddeturm, saßen einst die Schwerverb­recher ein. Vor vielen Jahren fiel das Schaf eines Bauern in das tiefe Verlies. Es überlebte.
 ??  ?? Karl-Heinz Stumps, 79, führte bereits Michail Gorbatscho­w durch die Altstadt.
Karl-Heinz Stumps, 79, führte bereits Michail Gorbatscho­w durch die Altstadt.
 ??  ?? Das älteste Haus der Stadt ist mehr als 600 Jahre alt. Heute serviert hier das Gasthaus Torschenke herzhafte Küche.
Das älteste Haus der Stadt ist mehr als 600 Jahre alt. Heute serviert hier das Gasthaus Torschenke herzhafte Küche.

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