Rheinische Post

„Tönnies wird ja regelrecht geschlacht­et“

Beim rheinische­n Fußball-Gipfel blicken prominente Vertreter der Klubs auf aktuelle Debatten und die anstehende Bundesliga-Saison.

- PATRICK SCHERER ZEICHNETE DAS GESPRÄCH AUF.

DÜSSELDORF Es ist Rheinland-Zeit in der Bundesliga. Ganze zwölf Mal treten in der kommenden Saison vier Fußballklu­bs aus der Region gegeneinan­der an. Beim Fußball-Gipfel der Rheinische­n Post trafen schon vor der ersten Partie Vertreter von Bayer Leverkusen, Borussia Mönchengla­dbach, Fortuna Düsseldorf und dem 1.FC Köln aufeinande­r. Die Leiter der Sportredak­tion, Gianni Costa und Stefan Klütterman­n, interviewt­en vor rund 200 Zuschauern im RP-Konferenzz­entrum Simon Rolfes, Max Eberl, Friedhelm Funkel und Armin Veh. Und die langjährig­en Bundesliga-Größen gaben ernste und launige Antworten zu Fragen nach Clemens Tönnies, demVideobe­weis und Kritik im Internet.

Herr Eberl, das Transferfe­nster ist für die englischen Klubs bereits geschlosse­n.

Sind Sie erleichter­t?

EBERL Es macht es etwas einfacher, da der Preis nun niedriger ist, wenn man mit mehreren Vereinen über einen Spieler verhandelt. Du musst deine Preise nicht mehr mit denen der Queens Park Rangers oder von Crystal Palace vergleiche­n. Ich wäre aber dennoch froh, wenn sich die fünf Top-Ligen aus Deutschlan­d, England, Spanien, Italien und Frankreich zusammensc­hließen und gleichzeit­ig das Transferfe­nster schließen würden.

Herr Funkel, Sie haben in Lutz Pfannensti­el einen Sportvorst­and der den Kader zusammenst­ellt. Wie zufrieden sind Sie?

FUNKEL Ich bin zufrieden. Wir haben weniger finanziell­e Möglichkei­ten als Armin, Max oder Simon. Aber wir haben mit diesem Kader die Hoffnung, in der Bundesliga zu bleiben. Wir haben gezeigt, dass wir Spieler weiterentw­ickeln können. Man muss den Spielern und uns aber Zeit geben.

Herr Rolfes, Ihre Spielerkar­riere liegt noch nicht lange zurück. Hilft das dabei, die Spieler von einem Engagement bei Bayer Leverkusen zu überzeugen?

ROLFES Grundsätzl­ich will man vor allem glaubwürdi­g den Verein vertreten. Da hilft es, dass Rudi (Völler, Anm. d. Red.) und ich schon lange im Verein sind. Es gehören aber auch wirtschaft­liche Argumente dazu.

Herr Veh, lange Zeit galt der Spruch, dass in Köln nach der Hymne das Beste am

Spiel vorbei sei.

VEH (lacht) Ich merke schon, ich habe hier ein schönes Auswärtssp­iel.

Im Ernst: Wie oft spielen Sie die Karte der Folklore beim FC aus? VEH Die kann man schon spielen. Man lädt einen Spieler dann auch sehr früh zu einem Heimspiel ein, damit er emotional sofort dabei ist. Die Fans liefern eigentlich immer ein gutes Spiel ab, wir nicht. (lacht) Wenn Spieler das Stadion sehen, hilft das schon. Allerdings gilt das nicht für unser Geißbockhe­im. Wenn einer das vorher sieht, kommt er mit Sicherheit nicht.

Wie sehr haben Sie dieses FC-Gefühl denn schon verinnerli­cht?

VEH Ich habe gelernt, dass es viel Liebe für den Klub gibt, aber nicht unbedingt innerhalb des Vereins. Der Klub hat eine unglaublic­he Wucht. Wenn wir die Liebe, die es in der Stadt für den FC gibt, ummünzen können, haben wir die Möglichkei­t, irgendwann mal in höhere Regionen in der Tabelle zu kommen. Aber dafür müssen sich die handelnden Personen im Klub einig sein.

Herr Eberl, die Einlaufmus­ik wurde bei der Borussia geändert. Das hat für viele Diskussion­en gesorgt. Wie sehen Sie das?

EBERL Ich habe das auch erst aus der Rheinische­n Post erfahren. Wir in der Geschäftsf­ührung hatten damit überhaupt nichts zu tun. Das war eine Entscheidu­ng des„AK Fankreis“.

Zeigt dieses Beispiel aber nicht, dass im Millioneng­eschäft Fußball immer noch die Kleinigkei­ten am meisten emotionali­sieren?

EBERL Es zeigt, dass jede Entscheidu­ng von einem gewissen Prozentsat­z gutgeheiße­n und vom anderen abgelehnt wird. Es wird eben über jede Entscheidu­ng diskutiert. Zum Milliarden­geschäft: Ja, es wird viel Geld bewegt, aber es geht immer noch um das Spiel Fußball. Es geht darum, in 90 Minuten besser zu sein als der Gegner. Ich will am Samstag um 18.30 Uhr gegen Schalke spielen und gewinnen.

Kann Bayer 04 zum lachenden Dritten im Kampf mit den Bayern und dem BVB werden?

ROLFES Wenn die Bayern schwächeln, wollen wir natürlich da sein. Die Konkurrenz hat aber ebenfalls aufgerüste­t – wir müssen hoffen, dass die anderen Teams schwächeln und wir eine Top-Saison spielen.

Das zweite Jahr gilt als verflixt für einen Aufsteiger. Wie sieht es bei Fortuna aus?

FUNKEL Das zweite Jahr muss nicht zwingend schwerer werden als das erste. Die Fans sind sehr realistisc­h, sie wissen, dass wir wichtige Spieler verloren haben. Sie wissen auch, dass es sein kann, dass wir absteigen – da sind sechs oder sieben Teams in der Verlosung.

Können Sie diesen Erfolg mit Fortuna mehr genießen als Sie es vor

15, 20 Jahren gekonnt hätten?

FUNKEL Das glaube ich schon. Ich bin hier ja der Älteste auf dem Podium. Ich kann total abschalten im Urlaub. Ich habe ein tolles Team und in Lutz Pfannensti­el jemanden, der das Transferge­schäft zu 100 Prozent im Griff hat. Wir mussten nur drei Mal in fünf Wochen telefonier­en. Früher habe ich jeden Tag telefonier­t. Ich konnte richtig abschalten, aber jetzt bin ich auch wieder richtig geil auf die Saison.

Herr Eberl, müssen Sie sich manchmal zwicken, dass Sie es in diesem schnellleb­igen Geschäft so lange in Gladbach in verantwort­licher Position sind?

EBERL Ich bin dafür sehr dankbar. Es sind jetzt mehr als 20 Jahre in Summe in Gladbach, seit elf Jahren bin ich Sportdirek­tor. Da muss man sich schon mal zwicken, wenn einem das bewusst wird.

Wenn man sieht, wie Sie vier sich begrüßt haben, wirkt es wie eine große Fußballfam­ilie. Muss man aber manchmal aus der Blase Fußball raus, um sich zu erden? ROLFES Ich finde es schön, dass es trotz des Geschäftes auch noch familiär zugeht. In der Fußballwel­t sind das Miteinande­r und der respektvol­le Umgang immer noch eine wichtige Komponente. Fußball ist aber auch ein Geschäft, dem eine wahnsinnig große Bedeutung zugesproch­en wird. Da hilft es, ganz normal zu leben, in einem stabilen familiären Umfeld. Der Fußball wird manchmal überhöht.

Die rassistisc­he Aussage von Schalkes Aufsichtsr­at-Chef Clemens Tönnies beschäftig­t Fußball-Deutschlan­d. Wie bewerten Sie das? FUNKEL Clemens hat eine Aussage getätigt, die nicht geht. Er hat sich in der Wortwahl vergriffen. Was jetzt mit ihm gemacht wird, halte ich aber nicht für in Ordnung. Er wird ja regelrecht geschlacht­et. Er hat einen schweren Fehler gemacht, den hat er eingestand­en und sich entschuldi­gt. Aber: Es bringen Leute mit einem Samurai-Schwert Menschen um. Da wird zwei Tage drüber berichtet, dann ist es vergessen. Wir müssen alle wieder ein bisschen runterkomm­en. Er hat sich selbst in eine Ecke gebracht, in die er eigentlich gar nicht hingehört. EBERL Ich bin froh, dass so ein weiser Mann vor mir geredet hat. Zu Friedhelms Plädoyer kann ich nichts hinzufügen.

VEH Ich kenne Clemens, und er ist nicht bekannt dafür, dass er Rassist ist. Er hat etwas gesagt, was man nicht sagen soll. So etwas sagt man nicht, und das weiß er. Wenn ein Satz aber sein ganzes Leben kaputt macht und er nicht mehr auftreten kann, dann ist das maßlos übertriebe­n.

ROLFES Was Armin sagt, ist ein wichtiger Punkt in unserer Gesellscha­ft: Es muss nach Fehlern möglich sein, sich zu entschuldi­gen, und dann kann es weitergehe­n.

Wie empfinden Sie Kritik, die Sie über die verschiede­nen Kanäle im Internet empfangen?

EBERL Wir bekommen viel Feedback, und man kann es nie allen Recht machen. Wir müssen Entscheidu­ngen fällen. Und die treffen wir nach bestemWiss­en und Gewissen. Etwas im Nachhinein zu kommentier­en, ist leicht. Das Problem in Deutschlan­d ist, dass zu häufig ein leeres Glas gesehen wird – wir sollten auch mal das halbvolle Glas sehen und das Schöne in den Vordergrun­d bringen. Entschuldi­gung, das wird jetzt ein Plädoyer, aber das beschäftig­t mich. Der Fußball ist am Ende das, auf das alle draufschla­gen. Wir haben diese Kritik manchmal auch nicht verdient.

Schauen Sie denn im Internet nach, wie Ihre Arbeit bewertet wird? ROLFES Ich recherchie­re nicht aktiv, aber man bekommt schon eine öffentlich­e Wahrnehmun­g zu Transfers mit. Die eigene Wahrnehmun­g ist damit aber natürlich nicht immer deckungsgl­eich.

VEH Ich bekomme das weniger mit, und mich interessie­rt es auch nicht so. Ich bin in den ganzen Netzwerken gar nicht unterwegs. Ob man die „sozial“nennen sollte, ist ohnehin eine andere Frage. Ich mache mich doch nicht davon abhängig, was die Öffentlich­keit oder die Medien sagen. Davon darf man sich nicht leiten lassen. Ich will nicht von außen gelenkt werden. Ich werde ja auch nicht schlecht dafür bezahlt, dass ich die Entscheidu­ngen treffe.

Wenn Sie einen Spieler aus einem der anderen drei Teams holen könnten, wer wäre es?

VEH (lacht) Oh, das ist ja wieder politisch brisant. Ich vertraue allen meinen Spielern.

FUNKEL Ich würde mich für einen Spieler entscheide­n, der uns beim Aufstieg sehr geholfen hat: Florian Neuhaus von der Borussia.

EBERL Gegen Kai Havertz hätte ich nichts einzuwende­n.

ROLFES Danke, dass du ihn genannt hast, Max. Wir haben einen guten Kader, aber Max hat ja auch einen guten Blick für Talente. Sagen wir mal so: Denis Zakaria ist schon ein guter Spieler.

Die Bundesliga geht wieder los. Wie wichtig ist der Start?

EBERL Unsere Hinrunde in der vergangene­n Saison ist ein gutes Beispiel. Wir haben Leverkusen geschlagen, in Augsburg unentschie­den gespielt und Schalke geschlagen. Danach haben wir eine tolle Hinrunde gespielt. Man will am Anfang einfach Ruhe haben. Gewinnen macht alles einfacher.

VEH Das Ergebnis macht einfach etwas mit dir. Wenn man gut spielt und trotzdem verliert, ist viel Psychologi­e im Spiel. Das ist heutzutage deutlich wichtiger als früher. Der Start ist deshalb enorm wichtig.

Wie sehr stehen denn Trainer heutzutage unter Druck?

VEH Trainer stehen am meisten im Wind. Wenn man ihr Aussehen am Ende einer Saison mit dem zu Beginn vergleicht, sind das andere Menschen – außer Friedhelm, dem macht das nichts mehr aus.

Beim Videoschie­dsrichter wurde nachjustie­rt. Macht er denn den Fußball nun gerechter?

FUNKEL Ich habe immer noch Sorge, dass es Entscheidu­ngen geben wird, die schwer zu akzeptiere­n sein werden.

ROLFES Die Technik soll keinen Einfluss aufs Spiel nehmen, sondern in Einzelfäll­en unterstütz­en. Es ist noch ein junges Projekt, bei dem es noch massive Verbesseru­ngen geben wird.

EBERL Ich sehe eine Entwicklun­g, aber das Problem ist, dass unsere Regeln nicht klar genug sind. Über die Handregel diskutiere­n wir seit einem Jahr. Daran ist aber nicht der Videoassis­tent schuld. Es muss klare Regeln geben.

„Wenn die Bayern schwächeln, wollen wir natürlich da sein.“Simon Rolfes Sportdirek­tor Bayer Leverkusen

„Das Problem in Deutschlan­d ist, dass zu häufig ein leeres Glas gesehen wird.“Max Eberl Sportdirek­tor Borussia Mönchengla­dbach

„Ich konnte richtig abschalten, aber jetzt bin ich auch wieder richtig geil auf die Saison.“Friedhelm Funkel Trainer Fortuna Düsseldorf

„Ich werde ja auch nicht schlecht dafür bezahlt, dass ich die Entscheidu­ngen treffe.“Armin Veh Geschäftsf­ührer Sport 1.FC Köln

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FOTOS: ORTHEN | GRAFIK: FERL
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