„Tönnies wird ja regelrecht geschlachtet“
Beim rheinischen Fußball-Gipfel blicken prominente Vertreter der Klubs auf aktuelle Debatten und die anstehende Bundesliga-Saison.
DÜSSELDORF Es ist Rheinland-Zeit in der Bundesliga. Ganze zwölf Mal treten in der kommenden Saison vier Fußballklubs aus der Region gegeneinander an. Beim Fußball-Gipfel der Rheinischen Post trafen schon vor der ersten Partie Vertreter von Bayer Leverkusen, Borussia Mönchengladbach, Fortuna Düsseldorf und dem 1.FC Köln aufeinander. Die Leiter der Sportredaktion, Gianni Costa und Stefan Klüttermann, interviewten vor rund 200 Zuschauern im RP-Konferenzzentrum Simon Rolfes, Max Eberl, Friedhelm Funkel und Armin Veh. Und die langjährigen Bundesliga-Größen gaben ernste und launige Antworten zu Fragen nach Clemens Tönnies, demVideobeweis und Kritik im Internet.
Herr Eberl, das Transferfenster ist für die englischen Klubs bereits geschlossen.
Sind Sie erleichtert?
EBERL Es macht es etwas einfacher, da der Preis nun niedriger ist, wenn man mit mehreren Vereinen über einen Spieler verhandelt. Du musst deine Preise nicht mehr mit denen der Queens Park Rangers oder von Crystal Palace vergleichen. Ich wäre aber dennoch froh, wenn sich die fünf Top-Ligen aus Deutschland, England, Spanien, Italien und Frankreich zusammenschließen und gleichzeitig das Transferfenster schließen würden.
Herr Funkel, Sie haben in Lutz Pfannenstiel einen Sportvorstand der den Kader zusammenstellt. Wie zufrieden sind Sie?
FUNKEL Ich bin zufrieden. Wir haben weniger finanzielle Möglichkeiten als Armin, Max oder Simon. Aber wir haben mit diesem Kader die Hoffnung, in der Bundesliga zu bleiben. Wir haben gezeigt, dass wir Spieler weiterentwickeln können. Man muss den Spielern und uns aber Zeit geben.
Herr Rolfes, Ihre Spielerkarriere liegt noch nicht lange zurück. Hilft das dabei, die Spieler von einem Engagement bei Bayer Leverkusen zu überzeugen?
ROLFES Grundsätzlich will man vor allem glaubwürdig den Verein vertreten. Da hilft es, dass Rudi (Völler, Anm. d. Red.) und ich schon lange im Verein sind. Es gehören aber auch wirtschaftliche Argumente dazu.
Herr Veh, lange Zeit galt der Spruch, dass in Köln nach der Hymne das Beste am
Spiel vorbei sei.
VEH (lacht) Ich merke schon, ich habe hier ein schönes Auswärtsspiel.
Im Ernst: Wie oft spielen Sie die Karte der Folklore beim FC aus? VEH Die kann man schon spielen. Man lädt einen Spieler dann auch sehr früh zu einem Heimspiel ein, damit er emotional sofort dabei ist. Die Fans liefern eigentlich immer ein gutes Spiel ab, wir nicht. (lacht) Wenn Spieler das Stadion sehen, hilft das schon. Allerdings gilt das nicht für unser Geißbockheim. Wenn einer das vorher sieht, kommt er mit Sicherheit nicht.
Wie sehr haben Sie dieses FC-Gefühl denn schon verinnerlicht?
VEH Ich habe gelernt, dass es viel Liebe für den Klub gibt, aber nicht unbedingt innerhalb des Vereins. Der Klub hat eine unglaubliche Wucht. Wenn wir die Liebe, die es in der Stadt für den FC gibt, ummünzen können, haben wir die Möglichkeit, irgendwann mal in höhere Regionen in der Tabelle zu kommen. Aber dafür müssen sich die handelnden Personen im Klub einig sein.
Herr Eberl, die Einlaufmusik wurde bei der Borussia geändert. Das hat für viele Diskussionen gesorgt. Wie sehen Sie das?
EBERL Ich habe das auch erst aus der Rheinischen Post erfahren. Wir in der Geschäftsführung hatten damit überhaupt nichts zu tun. Das war eine Entscheidung des„AK Fankreis“.
Zeigt dieses Beispiel aber nicht, dass im Millionengeschäft Fußball immer noch die Kleinigkeiten am meisten emotionalisieren?
EBERL Es zeigt, dass jede Entscheidung von einem gewissen Prozentsatz gutgeheißen und vom anderen abgelehnt wird. Es wird eben über jede Entscheidung diskutiert. Zum Milliardengeschäft: Ja, es wird viel Geld bewegt, aber es geht immer noch um das Spiel Fußball. Es geht darum, in 90 Minuten besser zu sein als der Gegner. Ich will am Samstag um 18.30 Uhr gegen Schalke spielen und gewinnen.
Kann Bayer 04 zum lachenden Dritten im Kampf mit den Bayern und dem BVB werden?
ROLFES Wenn die Bayern schwächeln, wollen wir natürlich da sein. Die Konkurrenz hat aber ebenfalls aufgerüstet – wir müssen hoffen, dass die anderen Teams schwächeln und wir eine Top-Saison spielen.
Das zweite Jahr gilt als verflixt für einen Aufsteiger. Wie sieht es bei Fortuna aus?
FUNKEL Das zweite Jahr muss nicht zwingend schwerer werden als das erste. Die Fans sind sehr realistisch, sie wissen, dass wir wichtige Spieler verloren haben. Sie wissen auch, dass es sein kann, dass wir absteigen – da sind sechs oder sieben Teams in der Verlosung.
Können Sie diesen Erfolg mit Fortuna mehr genießen als Sie es vor
15, 20 Jahren gekonnt hätten?
FUNKEL Das glaube ich schon. Ich bin hier ja der Älteste auf dem Podium. Ich kann total abschalten im Urlaub. Ich habe ein tolles Team und in Lutz Pfannenstiel jemanden, der das Transfergeschäft zu 100 Prozent im Griff hat. Wir mussten nur drei Mal in fünf Wochen telefonieren. Früher habe ich jeden Tag telefoniert. Ich konnte richtig abschalten, aber jetzt bin ich auch wieder richtig geil auf die Saison.
Herr Eberl, müssen Sie sich manchmal zwicken, dass Sie es in diesem schnelllebigen Geschäft so lange in Gladbach in verantwortlicher Position sind?
EBERL Ich bin dafür sehr dankbar. Es sind jetzt mehr als 20 Jahre in Summe in Gladbach, seit elf Jahren bin ich Sportdirektor. Da muss man sich schon mal zwicken, wenn einem das bewusst wird.
Wenn man sieht, wie Sie vier sich begrüßt haben, wirkt es wie eine große Fußballfamilie. Muss man aber manchmal aus der Blase Fußball raus, um sich zu erden? ROLFES Ich finde es schön, dass es trotz des Geschäftes auch noch familiär zugeht. In der Fußballwelt sind das Miteinander und der respektvolle Umgang immer noch eine wichtige Komponente. Fußball ist aber auch ein Geschäft, dem eine wahnsinnig große Bedeutung zugesprochen wird. Da hilft es, ganz normal zu leben, in einem stabilen familiären Umfeld. Der Fußball wird manchmal überhöht.
Die rassistische Aussage von Schalkes Aufsichtsrat-Chef Clemens Tönnies beschäftigt Fußball-Deutschland. Wie bewerten Sie das? FUNKEL Clemens hat eine Aussage getätigt, die nicht geht. Er hat sich in der Wortwahl vergriffen. Was jetzt mit ihm gemacht wird, halte ich aber nicht für in Ordnung. Er wird ja regelrecht geschlachtet. Er hat einen schweren Fehler gemacht, den hat er eingestanden und sich entschuldigt. Aber: Es bringen Leute mit einem Samurai-Schwert Menschen um. Da wird zwei Tage drüber berichtet, dann ist es vergessen. Wir müssen alle wieder ein bisschen runterkommen. Er hat sich selbst in eine Ecke gebracht, in die er eigentlich gar nicht hingehört. EBERL Ich bin froh, dass so ein weiser Mann vor mir geredet hat. Zu Friedhelms Plädoyer kann ich nichts hinzufügen.
VEH Ich kenne Clemens, und er ist nicht bekannt dafür, dass er Rassist ist. Er hat etwas gesagt, was man nicht sagen soll. So etwas sagt man nicht, und das weiß er. Wenn ein Satz aber sein ganzes Leben kaputt macht und er nicht mehr auftreten kann, dann ist das maßlos übertrieben.
ROLFES Was Armin sagt, ist ein wichtiger Punkt in unserer Gesellschaft: Es muss nach Fehlern möglich sein, sich zu entschuldigen, und dann kann es weitergehen.
Wie empfinden Sie Kritik, die Sie über die verschiedenen Kanäle im Internet empfangen?
EBERL Wir bekommen viel Feedback, und man kann es nie allen Recht machen. Wir müssen Entscheidungen fällen. Und die treffen wir nach bestemWissen und Gewissen. Etwas im Nachhinein zu kommentieren, ist leicht. Das Problem in Deutschland ist, dass zu häufig ein leeres Glas gesehen wird – wir sollten auch mal das halbvolle Glas sehen und das Schöne in den Vordergrund bringen. Entschuldigung, das wird jetzt ein Plädoyer, aber das beschäftigt mich. Der Fußball ist am Ende das, auf das alle draufschlagen. Wir haben diese Kritik manchmal auch nicht verdient.
Schauen Sie denn im Internet nach, wie Ihre Arbeit bewertet wird? ROLFES Ich recherchiere nicht aktiv, aber man bekommt schon eine öffentliche Wahrnehmung zu Transfers mit. Die eigene Wahrnehmung ist damit aber natürlich nicht immer deckungsgleich.
VEH Ich bekomme das weniger mit, und mich interessiert es auch nicht so. Ich bin in den ganzen Netzwerken gar nicht unterwegs. Ob man die „sozial“nennen sollte, ist ohnehin eine andere Frage. Ich mache mich doch nicht davon abhängig, was die Öffentlichkeit oder die Medien sagen. Davon darf man sich nicht leiten lassen. Ich will nicht von außen gelenkt werden. Ich werde ja auch nicht schlecht dafür bezahlt, dass ich die Entscheidungen treffe.
Wenn Sie einen Spieler aus einem der anderen drei Teams holen könnten, wer wäre es?
VEH (lacht) Oh, das ist ja wieder politisch brisant. Ich vertraue allen meinen Spielern.
FUNKEL Ich würde mich für einen Spieler entscheiden, der uns beim Aufstieg sehr geholfen hat: Florian Neuhaus von der Borussia.
EBERL Gegen Kai Havertz hätte ich nichts einzuwenden.
ROLFES Danke, dass du ihn genannt hast, Max. Wir haben einen guten Kader, aber Max hat ja auch einen guten Blick für Talente. Sagen wir mal so: Denis Zakaria ist schon ein guter Spieler.
Die Bundesliga geht wieder los. Wie wichtig ist der Start?
EBERL Unsere Hinrunde in der vergangenen Saison ist ein gutes Beispiel. Wir haben Leverkusen geschlagen, in Augsburg unentschieden gespielt und Schalke geschlagen. Danach haben wir eine tolle Hinrunde gespielt. Man will am Anfang einfach Ruhe haben. Gewinnen macht alles einfacher.
VEH Das Ergebnis macht einfach etwas mit dir. Wenn man gut spielt und trotzdem verliert, ist viel Psychologie im Spiel. Das ist heutzutage deutlich wichtiger als früher. Der Start ist deshalb enorm wichtig.
Wie sehr stehen denn Trainer heutzutage unter Druck?
VEH Trainer stehen am meisten im Wind. Wenn man ihr Aussehen am Ende einer Saison mit dem zu Beginn vergleicht, sind das andere Menschen – außer Friedhelm, dem macht das nichts mehr aus.
Beim Videoschiedsrichter wurde nachjustiert. Macht er denn den Fußball nun gerechter?
FUNKEL Ich habe immer noch Sorge, dass es Entscheidungen geben wird, die schwer zu akzeptieren sein werden.
ROLFES Die Technik soll keinen Einfluss aufs Spiel nehmen, sondern in Einzelfällen unterstützen. Es ist noch ein junges Projekt, bei dem es noch massive Verbesserungen geben wird.
EBERL Ich sehe eine Entwicklung, aber das Problem ist, dass unsere Regeln nicht klar genug sind. Über die Handregel diskutieren wir seit einem Jahr. Daran ist aber nicht der Videoassistent schuld. Es muss klare Regeln geben.
„Wenn die Bayern schwächeln, wollen wir natürlich da sein.“Simon Rolfes Sportdirektor Bayer Leverkusen
„Das Problem in Deutschland ist, dass zu häufig ein leeres Glas gesehen wird.“Max Eberl Sportdirektor Borussia Mönchengladbach
„Ich konnte richtig abschalten, aber jetzt bin ich auch wieder richtig geil auf die Saison.“Friedhelm Funkel Trainer Fortuna Düsseldorf
„Ich werde ja auch nicht schlecht dafür bezahlt, dass ich die Entscheidungen treffe.“Armin Veh Geschäftsführer Sport 1.FC Köln