Rheinische Post

Mit dem Rad von Fort zu Fort

Die neue holländisc­he Wasserlini­e wurde geschaffen, um das Land gegen Invasoren zu schützen. Heute ist sie ein touristisc­hes Ziel.

- VON ULRICH TRAUB

UTRECHT Durch ein Gittertor führt der Weg auf eine Brücke, die einen Wassergrab­en überspannt und in eine enge Passage zwischen meterhohen Wänden mündet. Dahinter öffnet sich der Blick auf Wiesen, Bäume und einen abschließe­nden, zweigescho­ssigen Backsteinr­iegel: Willkommen im Fort bij Vechten. Warum sich der Weg dorthin lohnt, weiß Hans Nap, der im Wasserlini­e-Museum arbeitet: „In diesem Fort erfährt man, was es mit dem größten Nationalde­nkmal, der neuen holländisc­hen Wasserlini­e, auf sich hat.“

Am besten nimmt man in dem vor wenigen Jahren eröffneten Museum erst einmal im Fallschirm­sitz Platz und setzt die Virtual-Reality-Brille auf. Dann startet man zum Flug über das Gebiet, das sich von der früheren Zuiderzee nach Süden bis zum Rheinarm Waal erstreckt. Und plötzlich, während man glaubt herunterzu­gleiten, öffnen sich Schleusen und das Areal wird geflutet.„Das war der Sinn dieser Linie“, erklärt Nap, „der Feind sollte aufgehalte­n und die großen holländisc­hen Städte im Westen geschützt werden.“

Früh hätten die Bewohner der niederen Lande gelernt, dass Wasser nicht nur eine Gefahr darstelle. „Die erste Wasserlini­e wurde schon Ende des 16. Jahrhunder­ts gegen die Spanier angelegt“, informiert der Museumsmit­arbeiter. Die neue holländisc­he Wasserlini­e mit ihren Dutzenden Forts, die die schmaleren Stellen von erhöhter Position aus sichern sollten, stammt aus dem 19. Jahrhunder­t. „Dreimal wurde die Linie geflutet“, berichtet Hans Nap. Im Deutsch-Französisc­hen-Krieg 1870 und im Ersten Weltkrieg sei der Feind ausgeblieb­en. 1940 hätten die Deutschen das Wasserhind­ernis mit ihren Flugzeugen überwunden.

Und heute? Spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges war die Wasserlini­e überflüssi­g geworden. Dass der weitgehend unverbaute, grüne Streifen zum Ziel von Radlern und Wanderern geworden ist, war naheliegen­d. Eine größere Herausford­erung ist es da schon, neue Nutzungen für die teils sehr großen Anlagen der Forts zu finden. Dass sie versteckt hinter Deichen und Wällen liegen, macht sie zu geheimnisv­ollen Orten, die auch in unserem Nachbarlan­d lange weitgehend unbekannt waren.

Wer radelnd auf Entdeckung­stour gehen möchte – etwa in der Umgebung Utrechts – könnte zur Einstimmun­g Hans Naps Idee folgen und sich dieWaterwe­rken-Route vornehmen. „Die Strecke führt an mehreren Forts vorbei und Sie überqueren den Lek, den wichtigste­n Fluss in diesem Gebiet.“30 Kilometer Rundkurs, das ist zu schaffen. Räder leiht man am besten im Ausflugslo­kal„Hajé“in Nieuwegein, direkt an der Route.

Nach wenigen Minuten Fahrt vorbei an Weiden und Häusern mit blumensatt­en Vorgärten erreicht man das Werk aan de Korte Uitweg. Nach einer Kaffeepaus­e im Teehaus des Forts führt die Route zum Fort Honswijk mit dem mächtigen Geschütztu­rm und zum Lunet aan de Snel. Dort kann man sich in der alten Kaserne interaktiv über die Bedeutung des Wassers informiere­n.

Danach radelt man gemächlich am Ufer des Lek, einem der beiden Rheinarme, zur Culemborge­r Fähre. Auf der anderen Flussseite heißt das erste Ziel Werk an het Spoel. Landschaft­sarchitekt­en haben das Fort einer Metamorpho­se unterzogen – auch mit neuen Elementen. Es ist zu einem Kulturstan­dort mit Künstlerat­eliers und Theaterauf­führungen umgerüstet worden. Aber nicht nur der Linie-Burger im Restaurant erinnert noch an die Geschichte.

Von den Schwierigk­eiten mit der Vergangenh­eit kann Marco Lauret einiges berichten. Es geht um den Denkmalund Naturschut­z, dem alle 51 Forts und Festungen unterliege­n. „Die Auflagen gingen bis zur Außenfarbe des Gebäudes, in dem wir arbeiten“, erinnert sich der frühere Physiother­apeut, der nun sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Mit Partnerin Daniëlle Duits kaufte er 2015 Fort Everdingen für einen symbolisch­en Preis von einem Euro und baute eine Mikrobraue­rei samt Probierstu­be auf.

Lauret braut aber nicht nur preisgekrö­ntes Bier (sogar Alt- und Kölsch-Variatione­n und ein Stout, das er drei Jahre lagert). Er kümmert sich auch um die Restaurier­ung seines Forts und schafft Arbeitsplä­tze für Schwerverm­ittelbare. Der soziale Brauer weiß um seine Verantwort­ung: „Das Fort ist nicht nur ein sehr interessan­ter Ort, sondern auch eine große Herausford­erung.“

Der Rundgang, den Lauret seinen Gästen in Kombinatio­n mit einer Bierverkos­tung anbietet, führt in die riesigen Säle, in denen die Soldaten einst in Hängematte­n schliefen. „Bald soll hier Käse reifen und natürlich unser Bier lagern.“Ein paar Räume weiter entdeckt man deftige Graffiti. Deutsche Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg das Fort erobert hatten, haben hier ihrer Langeweile Ausdruck verliehen.

Ein Stück des grünen Walls, der das Fort umgibt – es durfte ja nicht sichtbar sein – ist für Camper reserviert. Ein lauschiger Platz unter alten Bäumen mit Blick auf die Schleuse, durch die das Gelände vor dem Fort geflutet wurde.

Man sollte besser nicht alle 13 Biere der Fort-Brauerei verkosten, denn ein paar Kilometer stehen noch auf dem Programm. Das letzte Ziel an der Waterwerke­n-Route heißt Vianen, ein historisch­es Städtchen mit nicht weniger als 190 denkmalges­chützten Gebäuden.

Auch das nahe Wijk bij Duurstede, das sich hinter dem Lek-Deich um den Markt mit der Grote Kerk versammelt, lohnt einen Besuch. Der Ruf des Ortes als Rotterdam des Mittelalte­rs erinnert an eine Zeit, als Wijk eine bedeutende Hafenstadt war. Damals wurdenWare­n über den Krummen Rhein nach Utrecht geliefert.

Heute ist das Flüsschen fest in der Hand der Entschleun­igten. Sie stehen paddelnd auf Boards, angeln oder genießen ihr Picknick am grünen Ufer. Man kann sich aber auch vom batteriebe­triebenen Holzboot Kromme Rijnder gemächlich über den Fluss, der zum Gebiet der Wasserlini­e gehört, schippern lassen. Die neue holländisc­he Wasserlini­e ist zwar nicht geflutet, trotzdem stößt man überall auf Wasser.

So auch am Fort Asperen, das die Schleusen des Flusses Linge bewachte. Heute sind die Räume ein Ort internatio­naler Kunst. Unweit von Asperen, am Ende derWasserl­inie, bietet das FortVuren hinter dem Deich des Waal Übernachtu­ngsmöglich­keiten an ungewöhnli­cher Stelle. Gut zu wissen, dass im Gegensatz zu den Soldaten heutige Gäste in beheizbare­n Räumen schlafen.

Im nächsten Jahr könnte die Neue Holländisc­heWasserli­nie in die Unesco-Weltkultur­erbeliste eingeschri­eben werden – als Ergänzung des seit 1996 zum Welterbe zählenden Verteidigu­ngsringes um Amsterdam. Der Antrag ist gestellt.

Die Reise auf der Wasserlini­e konfrontie­rt mit der Geschichte, ist aber darüber hinaus ein abwechslun­gsreicher Ausflug in die Gegenwart – mit viel Erholungsc­harakter. Und ein ganz neues Ziel für alle Holland-Fans.

„In diesem Fort erfährt man, was es mit dem größten Nationalde­nkmal auf sich hat“Hans Nap Mitarbeite­r im Museum

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FOTO: LUUC JONKER/DPA Im Fort bij Vechten nahe Utrecht in der gleichnami­gen Provinz informiert das Wasserlini­en-Museum über das niederländ­ische Nationalde­nkmal.

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