Rheinische Post

Mehr Fortschrit­t bitte!

Technische­r Fortschrit­t wird hierzuland­e misstrauis­ch beäugt und eher erduldet als gestaltet. Dabei können Forscher, Erfinder und Unternehme­r die Probleme besser lösen als Verzichtsa­postel und Öko-Apokalypti­ker.

- VON MATTHIAS BEERMANN

Es ist eine Welt, die untergegan­gen ist. Letzte Spuren finden sich in Jugendbüch­ern oder bunten Illustrier­ten aus den 50er und 60er Jahren. Dort ist die Rede von einer grandiosen Zukunft.Von Städten auf dem Grund der Ozeane, der Besiedlung ferner Planeten, von fliegenden Autos und flinken Robotern für alle nur denkbaren Arbeiten. Einer Welt, in der die Atomkraft Energie im Überfluss bereitstel­len würde und deren Verwirklic­hung für das Ende des 20. Jahrhunder­ts erwartet wurde – spätestens.

Heute belächeln wir diesen naiven Utopismus, mokieren uns über die unkritisch­e Begeisteru­ng für alles Technische. Und wir vergessen darüber gerne, welche ungeheure politische Energie diese Fortschrit­tseuphorie freigesetz­t hat. Mithilfe derWissens­chaft und des menschlich­en Erfinderge­ists schien nichts unmöglich, der Aufbruch in bessere Zeiten schrie geradezu danach, von mutigen Politikern gestaltet zu werden. Und die fanden sich damals nicht ausschließ­lich, aber vor allem auf der Linken. Die große Fortschrit­tspartei jener Zeit, man glaubt es kaum, war die SPD. Sie forderte längst nicht nur gesellscha­ftlichen Fortschrit­t und die Umverteilu­ng von Wohlstand, sie setzte auf konkrete technische Innovation, auf das Streben nach einem besseren Leben mithilfe des Erfinderge­ists.

Diese optimistis­che Haltung ist den Sozialdemo­kraten seither leider gründlich abhandenge­kommen.Von den Zukunftste­chnologien des 21. Jahrhunder­ts gelten ihnen eigentlich nur noch Solaranlag­en undWindräd­er als akzeptabel. Aber auch die anderen Parteien ducken sich gerne weg, wenn es um technische­n Fortschrit­t geht. Die Bedeutung technologi­scher Innovation­en für den Standort Deutschlan­d wird zwar wortreich beschworen, und es werden reichlich Papiere zur Digitalisi­erung geschriebe­n. Aber mit konkreten Projekten in den Wahlkampf zu ziehen, neue

technologi­sche Möglichkei­ten zu bejahen und in politische Programme zu gießen, das scheint den meisten zu heikel. Die Zukunft soll nicht aufregend sein, sondern möglichst viel von der Gegenwart bewahren und gemütlich nach Omas guter Küche duften.

Dieses technologi­sche Duckmäuser­tum fußt auf der festen Überzeugun­g, dass der Bevölkerun­g nichts anderes zuzumuten sei. Richtig ist: In den letzten Jahrzehnte­n hat sich in Deutschlan­d eine Stimmung breitgemac­ht, wonach neue Technologi­en nicht als mögliche Chance, sondern vor allem als Risiko wahrgenomm­en werden. Wobei man von allgemeine­r Technikfei­ndlichkeit nicht sprechen kann. Sobald die Menschen einen konkreten persönlich­en Vorteil zu erkennen glauben, sind die Vorbehalte plötzlich verflogen. So kann man nicht behaupten, dass die in Deutschlan­d besonders populäre Angst vor „Elektrosmo­g“zu Akzeptanzp­roblemen von Mobiltelef­onen geführt hätte. Gleichzeit­ig wird die Furcht vor elektromag­netischen Strahlen aber gerne ins Feld geführt, um etwa den Bau einer neuen Hochspannu­ngsleitung zu verhindern.

Gesunde Skepsis gegenüber neuer Technik ist ja nicht verkehrt, eine ehrliche Kosten-Nutzen-Analyse und gegebenenf­alls auch ethische Debatten sind sogar wichtig. Aber so weit kommt es ja häufig gar nicht mehr. Dafür sitzt die Aversion gegen das Moderne zu tief – die quasi-religiöse Überzeugun­g, dass nur die Natur gut sei, Menschenge­machtes dagegen schlecht. Das Natürliche gilt als rein und unverdorbe­n, das Künstliche als schmutzig und sündhaft.

Im Verlauf der Klimadebat­te hat diese Sicht, wonach der moderne Mensch das Krebsgesch­wür des Planeten sei, noch einmal kräftig Anhänger gewonnen. Und so wird lieber ausführlic­h über Flug- und Fleischver­bote debattiert als über technische Lösungen für Umweltprob­leme.Wenn das jetzt wie eine Karikatur grüner Ideologie klingt, dann hat das schon seinen Grund. Schließlic­h haben die Grünen ihren Aufstieg seit den 80er Jahren wie auch ihren aktuellen Höhenflug in den Meinungsum­fragen vor allem der Angst vor einer drohenden Öko-Katastroph­e zu verdanken. Über diesen langen Schatten zu springen, fällt ihnen begreiflic­herweise schwer. Hinter vorgehalte­ner Hand fragen sich einige Grünen-Politiker zwar, ob der beschleuni­gte Atomaussti­eg angesichts des Klimawande­ls wirklich eine so tolle Idee war, und der Ur-Grüne Daniel Cohn-Bendit zeigte sich unlängst in der„Zeit“sogar offen für den Bau neuer Atomkraftw­erke – aber bitteschön nur in China. Für Deutschlan­d (und wohl auch seine Partei) schien ihm so etwas dann doch unzumutbar.

Im selben Glauben handelte ja auch Angela Merkel, als sie 2011 nach dem Reaktorung­lück von Fukushima die gerade erst – auch aus Klimaschut­zgründen – beschlosse­ne Laufzeitve­rlängerung der deutschen AKW wieder kippte. Die Kanzlerin ist zwar promoviert­e Physikerin, vor allem aber ist sie eine Technikeri­n der Macht. Man kann sich fragen, ob ihre Entscheidu­ng genauso ausgefalle­n wäre, hätte der CDU bei der Landtagswa­hl in Baden-Württember­g damals nicht ein historisch­es Debakel gedroht (das dann trotzdem eintrat).

Aus Angst vor dem Unmut der Wähler werden auch andere Technologi­en geopfert, die Gentechnik ist so eine. Wichtige Grundlagen der in der Öffentlich­keit in Bausch und Bogen verteufelt­en Pflanzenge­ntechnik wurde einst in deutschen Labors entwickelt. Heute haben deutsche Forscher nur noch im Ausland Perspektiv­en. Natürlich müssen Politiker Rücksicht nehmen auf die Akzeptanzb­ereitschaf­t der Bevölkerun­g. Aber das darf ihr Handeln nicht allein bestimmen. Studien zeigen, dass die Technikfei­nde häufig in der Minderheit sind – nur schreien sie meist viel lauter. Verantwort­liche Wissenscha­ftsund Technologi­epolitik braucht wieder mehr Rückgrat, sie muss sich am langfristi­gen Nutzen für die Gesellscha­ft orientiere­n. Der darf nicht kurzfristi­gen Profit-Interessen geopfert werden. Aber auch nicht unbegründe­ten Ängsten und Panikmache.

Das technologi­sche Duckmäuser­tum fußt auf der Überzeugun­g, dass der Bevölkerun­g nichts zuzumuten sei

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