Der König des Mode-Katalogs
Am Samstag feiert die Otto Group ihren 70. Geburtstag. Gegründet wurde sie von Werner Otto, damals noch als Otto-Versandhandel. Der Otto-Katalog ist seit Ende 2018 Geschichte – und findet wohl auch keine Renaissance.
HAMBURG Ein Freund hatte es ihm erzählt. In Hamburg, da gebe es zwar eine Lederproduktion, aber Schuhe, die würden dort nicht hergestellt. Werner Otto versteht nichts von Schuhen. Gerade erst ist er als Kriegsflüchtling samt Frau und zwei kleinen Kindern von Berlin nach Hamburg gekommen. Werner Otto muss bei null anfangen. Also steigt er ins Schuhgeschäft ein. Ein gute Entscheidung, wie sich herausstellt. Denn auch wenn sein erstes Schuhunternehmen scheitert, legt er mit der Selbstständigkeit den Grundstein für eine der größten Erfolgsgeschichten der Republik: die der Gründung des Otto-Versandhandels. Am Samstag wird das Unternehmen 70 Jahre alt.
Geboren wird der Sohn eines Lebensmittelhändlers 1909 in Seelow in Brandenburg. Der junge Otto will eigentlich Schriftsteller werden. Er schreibt sogar zwei Romane, doch drucken lässt er sie nie. Das glanzlose, harte Leben nach dem ersten Weltkrieg holt ihn ein: Der Lebensmittelladen seines Vaters geht pleite, Otto muss das Gymnasium verlassen, absolviert eine Lehre zum Lebensmittelkaufmann. Mit einem kleinen Geschäft in Stettin und seinem späteren Zigarrenladen in Berlin verdient Otto sich seinen Lebensunterhalt. 1934 schmuggelt Otto Werner Anti-Hitler-Flugblätter über die tchechische Grenze nach Deutschland. Er wird verhaftet, verbringt zwei Jahre im Gefängnis, muss danach im Krieg an die Front. Das Kriegsende erlebt Werner Otto mit einer Kopfverletzung im Lazarett.
Der erste Katalog, den Werner Otto mit seinem Versandhandel 1950 herausbringt, ist dünn, bescheiden, karg. Eingeklebte Fotos von 28 Paar Schuhen zieren die 14 Katalog-Seiten, zusammengebunden mit einem einfachen Faden. Aber: Immerhin hat das Produktheft, das den Grundstein für das Otto-Imperium legt, bereits eine Auflage von 300 Stück. Heute ist das erste Exemplar im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen.
Wie schon bei seiner Schuhmanufaktur hat Werner Otto allerdings auch bei seinemVersandhandel anfangs mit starker Konkurrenz zu kämpfen. „1950 gab es ein paar hundert Versandhandelsfirmen, davon waren mindestens die Hälfte größer als mein Betrieb“, erinnert er sich später. Branchenführer wie Quelle oder Neckermann sind bereits zu Zeiten des Nationalsozialismus gegründet worden – und starten daher mit einem großen Vorteil ins Nachkriegs-Geschäft. DochWerHerbst – Winter Frühling – Sommer ner Otto hat eine Strategie: Das Bestellen von zu Hause aus, die Bezahlung auf Rechnung und Qualität statt Quantität. All dies kommt beim Kunden an.
Der Otto-Versandhandel wächst – das Geschäft mit den Katalog-Bestellungen boomt, bis zu 60 verschiedene Produkt-Prospekte druckt Otto für seine Kunden, berühmte Models wie Claudia Schiffer oder GiFrühling – Sommer sele Bündchen schmücken die Cover. 1958 macht das Unternehmen 100 Millionen D-Mark Umsatz, 20 Jahre später sind es drei Milliarden. 1981 übernimmt Werner Ottos ältester Sohn Michael das Unternehmen – und macht es zum Weltkonzern. Mitte der 1980er-Jahre ist Otto der größteVersandhändler derWelt.
Heute steht die Otto Group mit 52.600 Mitarbeitern, einem PortHerbst – Winter Frühling – Sommer
folio von über drei Millionen Produkten, sechs Spezialshops und 13 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr an Platz zwei in Deutschland – einzig der US-Versandriese Amazon überthront den Hamburger Konzern. Zur Otto Gruppe gehören zudem die 1965 von Werner Otto gegründete ECE Projektmanagement GmbH (1965), die Park Property Immobiliengruppe in Toronto soFrühling – Sommer
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wie die Immobilien- und Management-Gruppe Paramount (1968) in NewYork.Werner Otto gründete außerdem die Hanseatic Bank (1969) und den Versandhandel Hermes (1972).
Doch das, was das Unternehmen einst berühmt gemacht hat – der Versand-Katalog – gehört seit Dezember 2018 nicht mehr zum Angebot. Am 4. Dezember erschien das letzte gedruckte Exemplar – zu diesem Zeitpunkt bestellten bereits etwa 97 Prozent der Kunden ihre Produkte über den Otto-Online-Versand, der seit 1995 besteht. Der Versand-Katalog scheint aus der Mode, einstig Ikea kann seine Kunden vielleicht noch vom Entdecken neuer Produkte auf Papier überzeugen. Ironischerweise hat Amazon Ende 2018 jedoch eine Offensive in Richtung Katalog-Renaissance gestartet: Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft brachte der Konzern in den USA einen 70 Seiten umfassenden Produkt-Katalog mitWeihnachtsartikeln heraus – nur einige Monate nachdem der US-Spielwarenhändler Toys ‚R‘ Us pleite ging und damit seinen Weihnachts-Katalog einstellen musste. Bis nach Deutschland kam dieser Vorstoß seitens Amazon allerdings nicht. ( mit dpa)