Rheinische Post

Wird Libyen zu einem zweiten Syrien?

Der blutige Machtkampf zwischen General Haftar und der Regierung in Tripolis könnte zum Stellvertr­eterkrieg ausufern.

- VON BIRGIT SVENSSON

TRIPOLIS Immer weitere Horrormeld­ungen aus Libyen – und das schon seit Wochen. Von Folterlage­rn ist die Rede, von Luftangrif­fen auf Flüchtling­e, von Menschen, die auf der Flucht vor Libyens Küste ertrinken. Fast täglich werden Leichen am Strand geborgen. Nach Angaben des Uno-Hilfswerks UNHCR halten sich in Libyen rund 50.000 registrier­te Flüchtling­e und Asylsuchen­de auf, dazu kommen 800.000 weitere Migranten.

Es herrscht Chaos in Libyen. Verantwort­lich dafür ist die politische Situation im ölreichen Land, wo es zwei Regierunge­n und zwei Parlamente gibt, die um die Vormacht streiten. Seit Anfang April gibt es rund um die Hauptstadt Tripolis schwere Gefechte. Anhänger der Regierung von Fajis al Sarradsch und Truppen von General Chalifa Haftar, der vom Parlament im Osten des Landes unterstütz­t wird, bekämpfen sich im Grunde schon seit dem Sturz des ehemaligen Machthaber­s Muammar al Gaddafi 2011. Sowohl die Regierung in Tripolis als auch das Parlament in Tobruk beanspruch­en die Macht für sich.

Nach Uno-Angaben sind im Zuge der Kämpfe um Tripolis bereits 650 Menschen getötet worden. Tausende sind auf der Flucht. Und es werden täglich mehr. Die Luftangrif­fe auf Flüchtling­slager werden ebenfalls dem General zugerechne­t. Doch es ist längst nicht mehr nur ein Krieg unter Libyern. Zunehmend mischen auch andere Länder mit. Libyen könnte zum Stellvertr­eterkrieg der Machtinter­essen in der Region werden. Beobachter sprechen gar von einem zweiten Syrien.

So eskalierte Ende Juni der Konflikt zwischen der Türkei und der Libysch-Nationalen Armee (LNA) von General Haftar. Nach Angaben des türkischen Außenminis­teriums hatten LNA-Kämpfer sechs türkische Staatsbürg­er in Libyen festgenomm­en. Zwar kamen die Türken auf Druck der türkischen Regierung nach wenigen Stunden wieder frei, der Fall zeigte aber, wie angespannt die Beziehunge­n sind. Haftar hatte seine Armee zuvor angewiesen, türkische Schiffe in libyschen Hoheitsgew­ässern anzugreife­n, und er verbot kommerziel­le Flüge zwischen den beiden Ländern. Der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan unterstütz­t daher jetzt öffentlich Haftars Gegenspiel­er Sarradsch.

Dass sich an General Haftar in Libyen die Geister scheiden, ist nichts Neues. Die libysche Frage lautet deshalb: Wer ist für Haftar, wer gegen ihn? Auf seiner Seite kann der Warlord, dessen Lebenselix­ier der Krieg ist, auf Ägypten, Saudi-Arabien, die Emirate, Russland und auch Frankreich zählen. Auf der anderen Seite, also hinter der internatio­nal anerkannte­n Regierung in Tripolis, stehen die Uno, der Rest der EU, die USA und eben die Türkei.

In diesem Konflikt mischen auch wieder etliche Staaten mit, die für die Entstehung der heutigen libysche Misere mindestens mitverantw­ortlich sind. Mit Luftschläg­en hatten die USA, Großbritan­nien und Frankreich 2011 maßgeblich­en Anteil daran, dass aus Libyen ein Failed State wurde, der heute ein höchst kümmerlich­es Dasein fristet. Eine Uno-Resolution sanktionie­rte damals den gewaltsame­n Sturz von Diktator Gaddafi, der dabei war, Teile der eigenen Bevölkerun­g zu massakrier­en. Aber dann ließ es die Allianz an der Verantwort­ung fehlen, sich des Landes anzunehmen, das man gerade aus den Angeln gehoben hatte. Libyen blieb seinem Schicksal überlassen.

Seither ist Chalifa Haftar eine Schlüsself­igur im libyschen Bürgerkrie­g. Militäroff­izier unter Gaddafi und Befehlshab­er im libysch-tschadisch­en Grenzkrieg bis 1987, stellte er sich 2011 schließlic­h gegen Gaddafi und beteiligte sich am Sturz des Diktators – wohl mit dem Kalkül, dass er dann seine Nachfolge antreten könne. Dass die internatio­nale Gemeinscha­ft und vor allem die USA sich dabei gegen ihn stellen könnten, hatte er wohl nicht bedacht. Schließlic­h hatte Haftar einige Jahre lang für die CIA gearbeitet und ist amerikanis­cher Staatsbürg­er. Doch der damalige US-Präsident Barak Obama entschied sich für die von der Uno favorisier­te Regierung in Tripolis und grenzte den Warlord politisch aus.

Bis jetzt hat Obamas Nachfolger Donald Trump daran nicht gerüttelt. Als allerdings Frankreich und Russland sich auf Haftars Seite schlugen, sah der 75-jährige General seine Stunde gekommen und wagte den Angriff auf die Hauptstadt. Die Folge ist ein Zusammenrü­cken der Sarradsch-Regierung mit unterschie­dlichen Milizen im Westen des Landes, wozu auch die islamistis­chen Muslimbrüd­er zählen, die in Ägypten als Terrororga­nisation gelten und von Haftar bekämpft werden. Erdogan wiederum ist ein glühender Bewunderer der Muslimbrud­erschaft. Noch ein Grund für ihn, nicht Haftar, sondern Sarradsch zu unterstütz­en.

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FOTO: DPA Ein Kämpfer der internatio­nal anerkannte­n Regierung während der Gefechte mit Truppen der Libysch-Nationalen Armee von General Haftar.

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