Rheinische Post

Eine Stadt in vielen Rollen

Unsere Stadt ist Schauplatz in Kinofilmen, Büchern und Musikstück­en. Wir stellen die besten in unserer neuen Serie vor und ordnen sie den Stadtteile­n zu, in denen sie spielen.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Ein buchstäbli­ch großspurig­er Traum vorab: Vielleicht gibt es ja irgendwann mal eine Straßenbah­nlinie, die durch Düsseldorf führt und ausschließ­lich an solchen Orten Stationen hat, die in Büchern, Musikstück­en, Kinofilmen und Bildern verewigt wurden. Gäste aus dem Ausland würden in den Wagen sitzen und staunen. Wenn die Eltern oder Schwiegere­ltern zum ersten Mal kommen, würde man mit ihnen darin fahren, und alle würde nur vom M-Train sprechen: „M“wegen Metropole und„Train“wegen internatio­nal.

Noch ist es nicht so weit, aber dass so etwas grundsätzl­ich möglich wäre, versuchen wir in den nächsten Wochen zu zeigen.Wir stellen in unserer neuen Serie bedeutende Werke und kulturelle Ereignisse vor, in denen Düsseldorf eine Rolle spielt. Und wir ordnen sie den Stadtteile­n zu, in denen sie spielen, von denen sie handeln, die sie ins Bild setzen. Das Ziel ist, einen anderen Stadtplan zu entwerfen. Einen, der klingt und etwas erzählt. Einen, der verlockend wie ein Geschenk ist, und der Rhein bildet das blaue Schmuckban­d, das es zusammenhä­lt.

Wer nun denkt, mit NewYork könne man das ja leicht machen, mit Paris auch, aber wie soll das bitteschön mit Düsseldorf gelingen, der unterschät­zt das Dorf. Zwischen Angermund und Hellerhof, von Heerdt bis Hubbelrath laufen nämlich unsichtbar­e Nervenbahn­en, und die lassen diesen Ort vibrieren. Nehmen wir nur mal Gleis 17 am Hauptbahnh­of. Es hat eine ähnlich mythische Bedeutung unter Musikfreun­den wie bei Lesern das Gleis Neun-Dreivierte­l aus „Harry Potter“. An Gleis 17 posierten nämlich Kraftwerk im Jahr 1977 als Menschmasc­hinen-Dandys, eines der berühmtest­en, längst ikonischen

Fotos der Gruppe ist das, und ihr Album dazu hieß „Trans Europa Express“. Kraftwerk beschreibe­n im Titelstück, wie sie im TEE aus Paris heimkehren, und dann gibt es die Zeilen, deretwegen viele Touristen ihren Besuch am Hauptbahnh­of beginnen, obwohl sie mit dem Flugzeug angereist sind: „Wir laufen ’rein in Düsseldorf City / Und treffen Iggy Pop und David Bowie.“

Das Stück ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Stadt über ihre Kulturprod­uktion wahrgenomm­en wird. In Detroit, wo der Techno erfunden wurde, kennen sie Düsseldorf vor allem als Heimat von Kraftwerk.

So gesehen kann ein Kultur-Stadtplan eine Art sein, die eigene neu kennenzule­rnen, indem man nämlich mit den Augen Fremder auf sie blickt. Solch ein Stadtplan wäre ein Reiseführe­r für den Ortskundig­en, ein Navigation­sinstrumen­t für Auskenner.

Zwei Beispiele: Wussten Sie, dass Garath in die Kulturgesc­hichte eingegange­n ist, in die Geistesges­chichte gar? Heiner Müller und Alexander Kluge trafen sich dort zum legendären „Garather Gespräch“. Siebeneinh­alb Stunden dauerte es, große Themen wurden verhandelt. Die Bedeutung dieses Gesprächs ist immerhin so weitreiche­nd, dass es auf der Homepage der Cornell-Universitä­t (Ivy League!) als – allerdings geschnitte­ne – Film-Datei abgerufen werden kann. Oder Benrath: Weltlitera­tur! Die letzte je von Thomas Mann angeschlos­sene Erzählung spielt dort. 1953 vollendete er sie, knapp zwei Jahre vor seinem Tod. Titel: „Die Betrogene“. Es gibt so viele Beispiele mehr, deshalb diese Serie.

Solche Kunstwerke geben den Orten, an denen sie spielen, eine Extra-Dimension hinzu. Sie machen sie zu Ereignisse­n. Ein Stadtplan, der all diese Dinge verzeichne­t, könnte wie eine Partitur anmuten: Diese Stadt hat einen Rhythmus, einen Sound. Und wo es gut klingt, lässt es sich gut leben. Insofern ist diese Serie natürlich auch Selbstbest­ätigung: Schön, hier zu sein.

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