Scholz steht bereit
Die Liste mit möglichen Kandidaten für den SPD-Vorsitz wächst. Die größten Chancen werden bislang dem Duo aus Petra Köpping und Boris Pistorius eingeräumt. Der Finanzminister sucht noch nach einer Partnerin für eine Doppelspitze.
BERLIN Das Kandidatenkarussell für die SPD-Spitze ist am Freitag mächtig in Schwung gekommen. Mit Finanzminister Olaf Scholz steht der erste prominente Bundespolitiker für den Parteivorsitz bereit. Ein SPD-Sprecher bestätigte, dass der 61-Jährige intern seine Bewerbung angeboten hat. Allerdings ist Scholz noch auf der Suche nach einer Partnerin, mit der er eine Doppelspitze bilden kann. Noch ist seine Kandidatur also nicht offiziell.
Kurz zuvor war die Bewerbung des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius und der sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping bekannt geworden. Die beiden bekamen Rückenwind aus Niedersachsen. Der frühere SPDChef Sigmar Gabriel sprach von der „ersten ernst zu nehmenden Kandidatur“. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil nannte das Duo ein „ernst zu nehmendes Personalangebot“.
Während der einst so mächtige nordrhein-westfälische SPD-Landesverband in der Versenkung verschwunden zu sein scheint, läuft die Kandidatenkür in Niedersachsen auf Hochtouren. Auch Altkanzler Gerhard Schröder mischt im Hintergrund eifrig mit: Sein Favorit ist Lars Klingbeil. Der 41-jährige Generalsekretär aus Niedersachsen gilt in großen Teilen der Partei als klug, pragmatisch und unverbraucht. Klingbeil hat sich als Verteidigungsund Digitalexperte einen Namen gemacht und zu vielen in der Partei flügelübergreifend einen guten Draht, etwa zu Manuela Schwesig und Stephan Weil, aber auch zu Juso-Chef Kevin Kühnert und Ex-Parteichef Martin Schulz. Klingbeil hat intern angedeutet, dass er bereit stünde. Gerhard Schröder hat für ihn bereits bei Manuela Schwesig und Katarina Barley geworben. Schwesig will aber weiterhin nicht kandidieren; die im Europaparlament sitzende Ex-Justizministerin Barley soll zumindest zwischenzeitlich erwogen haben, mit Klingbeil anzutreten.
Mit der Ankündigung von Olaf Scholz steht nun offenbar ein Kandidat der Mitte zurVerfügung, der den Druck auf die als pragmatisch geltenden SPD-Politikerinnen Schwesig und Barley abermals erhöht. Der einflussreiche Ministerpräsident Weil soll hinter den Kulissen klargemacht haben, dass er selbst nicht antreten werde. Sollte Klingbeil auch noch ins Rennen gehen, wird sichWeil entscheiden müssen, wen er unterstützt: Pistorius oder Klingbeil. Pistorius steht als Landesinnenminister für Law and Order. Mit seinenVorstößen hat er immer wieder bundesweit Beachtung gefunden. Intern gilt er als Kritiker der Groko in Berlin. Seine Partnerin aus Sachsen, Petra Köpping, ist bundesweit zwar noch weniger bekannt, genießt im Osten aber Anerkennung.
Sollte es Scholz gelingen, eine prominente Genossin zu gewinnen, die mit ihm im Doppel antritt, hat er Chancen. Allein: Er stünde für das alte SPD-System, das von Männern aus dem Westen bestimmt ist. Außerdem verkörpert er alsVizekanzler innerhalb der Sozialdemokratie die ungeliebte große Koalition. Das Profil seiner Partnerin muss also lauten: weiblich, ostdeutsch, links und am besten ein bisschen schillernd. Zunächst wollte auch Scholz, der seine geringe Beliebtheit in der Partei kennt, nicht als Parteichef antreten. Er hatte auf die zeitliche Unvereinbarkeit von Finanzressort und Parteivorsitz verwiesen. Unabhängig davon, ob Scholz am Ende wirklich ins Rennen geht, setzt er mit der Bereitschaft zur Kandidatur das wichtige Signal, dass sich die erste Reihe der Bundes-SPD in dieser historischen Krise der Partei nicht wegduckt. Der mit großem Machtanspruch auftretende Finanzminister war intern unter Druck. In einem Interview hatte er schon einmal seine Eignung und seine Ambitionen fürs Kanzleramt deutlich gemacht. Da ist es nur folgerichtig, dass er auch bereit ist, die Partei zu führen.
Die Sozialdemokraten präsentieren sich aktuell als eine ebenso vielfältige wie unkoordinierte Partei. Für Freitagmittag hatte sich das Paar Gesine Schwan und Ralf Stegner die Bundespressekonferenz für einen großen Auftritt reservieren lassen. Die 76-jährige Politikprofessorin und der 59-jährige Vize-Parteichef nehmen für sich in Anspruch, dass sie mit ihrer Kandidatur Bewegung in den zähen Suchprozess gebracht haben.
Die Häme, die mitunter über ihr Engagement ausgeschüttet wird, nahmen sie mit Humor. Aus der Position des Außenseiters versicherte Stegner: „Wir meinen das schon ernst.“Inhaltlich analysierte Schwan die existenziell bedrohliche Lage der SPD sehr akademisch – und das rhetorisch in einem atemberaubenden Tempo. Ob sie damit den Nerv der sozialdemokratischen Basis treffen kann, ist fraglich. Stegner wiederum vermied es, sich zur Ikone der Groko-Gegner zu machen. Für die Beantwortung der Frage, ob die SPD nach ihrer Halbzeitbilanz im Regierungsbündnis bleibt, sieht er „keinen Automatismus“.