Rheinische Post

Scholz steht bereit

Die Liste mit möglichen Kandidaten für den SPD-Vorsitz wächst. Die größten Chancen werden bislang dem Duo aus Petra Köpping und Boris Pistorius eingeräumt. Der Finanzmini­ster sucht noch nach einer Partnerin für eine Doppelspit­ze.

- VON MICHAEL BRÖCKER UND EVA QUADBECK

BERLIN Das Kandidaten­karussell für die SPD-Spitze ist am Freitag mächtig in Schwung gekommen. Mit Finanzmini­ster Olaf Scholz steht der erste prominente Bundespoli­tiker für den Parteivors­itz bereit. Ein SPD-Sprecher bestätigte, dass der 61-Jährige intern seine Bewerbung angeboten hat. Allerdings ist Scholz noch auf der Suche nach einer Partnerin, mit der er eine Doppelspit­ze bilden kann. Noch ist seine Kandidatur also nicht offiziell.

Kurz zuvor war die Bewerbung des niedersäch­sischen Innenminis­ters Boris Pistorius und der sächsische­n Integratio­nsminister­in Petra Köpping bekannt geworden. Die beiden bekamen Rückenwind aus Niedersach­sen. Der frühere SPDChef Sigmar Gabriel sprach von der „ersten ernst zu nehmenden Kandidatur“. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil nannte das Duo ein „ernst zu nehmendes Personalan­gebot“.

Während der einst so mächtige nordrhein-westfälisc­he SPD-Landesverb­and in der Versenkung verschwund­en zu sein scheint, läuft die Kandidaten­kür in Niedersach­sen auf Hochtouren. Auch Altkanzler Gerhard Schröder mischt im Hintergrun­d eifrig mit: Sein Favorit ist Lars Klingbeil. Der 41-jährige Generalsek­retär aus Niedersach­sen gilt in großen Teilen der Partei als klug, pragmatisc­h und unverbrauc­ht. Klingbeil hat sich als Verteidigu­ngsund Digitalexp­erte einen Namen gemacht und zu vielen in der Partei flügelüber­greifend einen guten Draht, etwa zu Manuela Schwesig und Stephan Weil, aber auch zu Juso-Chef Kevin Kühnert und Ex-Parteichef Martin Schulz. Klingbeil hat intern angedeutet, dass er bereit stünde. Gerhard Schröder hat für ihn bereits bei Manuela Schwesig und Katarina Barley geworben. Schwesig will aber weiterhin nicht kandidiere­n; die im Europaparl­ament sitzende Ex-Justizmini­sterin Barley soll zumindest zwischenze­itlich erwogen haben, mit Klingbeil anzutreten.

Mit der Ankündigun­g von Olaf Scholz steht nun offenbar ein Kandidat der Mitte zurVerfügu­ng, der den Druck auf die als pragmatisc­h geltenden SPD-Politikeri­nnen Schwesig und Barley abermals erhöht. Der einflussre­iche Ministerpr­äsident Weil soll hinter den Kulissen klargemach­t haben, dass er selbst nicht antreten werde. Sollte Klingbeil auch noch ins Rennen gehen, wird sichWeil entscheide­n müssen, wen er unterstütz­t: Pistorius oder Klingbeil. Pistorius steht als Landesinne­nminister für Law and Order. Mit seinenVors­tößen hat er immer wieder bundesweit Beachtung gefunden. Intern gilt er als Kritiker der Groko in Berlin. Seine Partnerin aus Sachsen, Petra Köpping, ist bundesweit zwar noch weniger bekannt, genießt im Osten aber Anerkennun­g.

Sollte es Scholz gelingen, eine prominente Genossin zu gewinnen, die mit ihm im Doppel antritt, hat er Chancen. Allein: Er stünde für das alte SPD-System, das von Männern aus dem Westen bestimmt ist. Außerdem verkörpert er alsVizekan­zler innerhalb der Sozialdemo­kratie die ungeliebte große Koalition. Das Profil seiner Partnerin muss also lauten: weiblich, ostdeutsch, links und am besten ein bisschen schillernd. Zunächst wollte auch Scholz, der seine geringe Beliebthei­t in der Partei kennt, nicht als Parteichef antreten. Er hatte auf die zeitliche Unvereinba­rkeit von Finanzress­ort und Parteivors­itz verwiesen. Unabhängig davon, ob Scholz am Ende wirklich ins Rennen geht, setzt er mit der Bereitscha­ft zur Kandidatur das wichtige Signal, dass sich die erste Reihe der Bundes-SPD in dieser historisch­en Krise der Partei nicht wegduckt. Der mit großem Machtanspr­uch auftretend­e Finanzmini­ster war intern unter Druck. In einem Interview hatte er schon einmal seine Eignung und seine Ambitionen fürs Kanzleramt deutlich gemacht. Da ist es nur folgericht­ig, dass er auch bereit ist, die Partei zu führen.

Die Sozialdemo­kraten präsentier­en sich aktuell als eine ebenso vielfältig­e wie unkoordini­erte Partei. Für Freitagmit­tag hatte sich das Paar Gesine Schwan und Ralf Stegner die Bundespres­sekonferen­z für einen großen Auftritt reserviere­n lassen. Die 76-jährige Politikpro­fessorin und der 59-jährige Vize-Parteichef nehmen für sich in Anspruch, dass sie mit ihrer Kandidatur Bewegung in den zähen Suchprozes­s gebracht haben.

Die Häme, die mitunter über ihr Engagement ausgeschüt­tet wird, nahmen sie mit Humor. Aus der Position des Außenseite­rs versichert­e Stegner: „Wir meinen das schon ernst.“Inhaltlich analysiert­e Schwan die existenzie­ll bedrohlich­e Lage der SPD sehr akademisch – und das rhetorisch in einem atemberaub­enden Tempo. Ob sie damit den Nerv der sozialdemo­kratischen Basis treffen kann, ist fraglich. Stegner wiederum vermied es, sich zur Ikone der Groko-Gegner zu machen. Für die Beantwortu­ng der Frage, ob die SPD nach ihrer Halbzeitbi­lanz im Regierungs­bündnis bleibt, sieht er „keinen Automatism­us“.

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