Nike Wagner hört als Intendantin des Musikfestivals auf. Wie geht es jetzt weiter in Bonn?
Nike Wagner hat kürzlich ihren Abschied als Intendantin des Beethovenfests angekündigt. Wie geht es nun weiter in Bonn?
BONN Unter den Nachkommen Richard Wagners ist es nicht unüblich, weit über die Pensionsgrenze hinaus Leitungsfunktionen zu bekleiden. Der Enkel des Komponisten, Wolfgang Wagner, gab das Ruder bei den Bayreuther Festspielen mit 88 Jahren aus der Hand. Im Fall seiner Nichte Nike Wagner, die als Tochter Wieland Wagners in Bayreuth aufwuchs, muss man, was den Intendantenberuf angeht, von einer Alterskarriere sprechen. Als die Kulturwissenschaftlerin 2004 die Leitung des Kunstfests Weimar übernahm, war sie Ende 50. Zehn Jahre später, Anfang 2014, wechselte sie nach Bonn zum Beethovenfest. Ihr Auftrag: Das Festival für die Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag seines Namenspatrons fit zu machen, die im kommenden Jahr anstehen. Am Ziel angekommen wird sie 75 Jahre alt sein. Sieht nach einer runden Sache aus.
Gleichwohl schlug Anfang Juli Wagners in einem Interview des WDR geäußerte Ankündigung, ihren Intendantenvertrag über 2020 hinaus nicht mehr verlängern zu wollen, hohe Wellen. Bislang nämlich hatte sie noch keine Signale ausgesandt, amtsmüde zu sein. Eine Verlängerung schien sie noch im Frühjahr durchaus in Betracht zu ziehen. Obwohl ihr da schon Gegenwind ins Gesicht blies: „Nike Wagner setzt ihre Intendanz aufs Spiel“, überschrieb im März die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“einen Bericht, der sich unter anderem mit Wagners in der Bonner Öffentlichkeit und darüber hinaus sehr kritisch gesehenen Verteidigung des Musikers, Musikwissenschaftlers und früheren Rektors der Münchner Musikhochschule Siegfried Mauser auseinandersetzte. Mauser, der seit Jahren mit Wagner befreundet ist, war vom Münchner Landgericht im Mai 2018 als Sexualstraftäter rechtskräftig verurteilt worden. Das letzte Engagement Mausers, der beim Beethovenfest 2018 mehrfach auftreten sollte, hatte sie zwar auf öffentlichen Druck hin gekündigt. Aber sie nahm ihn weiterhin in Schutz. Bei einer Diskussionsveranstaltung in Heidelberg, an der sie im November 2018 teilgenommen hatte, klang das so: „Frauen, die einen Job wollen, sind auch nicht immer nur Engel.“
Aber auch eine sinkende Auslastung der Konzerte wird ihr zur Last gelegt. Der Deckungsgrad des Festivaletats durch Eigeneinnahmen betrug 2016 noch 20,1 Prozent, ein Jahr später lag er bei 16,5 Prozent. Wagners Vorgängerin Ilona Schmiel, die heute Intendantin des Tonhalle Orchesters in Zürich ist, kam in den Spitzenjahrgängen 2008 und 2009 auf eine Auslastung von über 90 Prozent, unter Wagner lag sie im vergangenen Jahr bei 70 Prozent, was dem Beethovenfest, das über einen Gesamtetat von 4,6 Millionen Euro verfügt, ein Defizit von 667.000 Euro einbrachte. Das nach Angaben Wagners aber mit eigenen Mitteln ausgeglichen werden konnte. Eine wesentliche Ursache für den 2018 besonders signifikant ausgefallenen Besucherrückgang sieht die Intendantin selbst vor allem darin, dass das atmosphärisch nüchterne und akustisch wenig überzeugende World Conference Center Bonn (WCCB) im ehemaligen Regierungsviertel als Ersatzspielstätte für die Beethovenhalle, die unmittelbar nach dem Beethovenfest 2016 wegen Sanierungsarbeiten ihre Türen schloss, nicht angenommen wurde.
Aber Teile des Publikums fremdeln auch mit dem Programm. Bei den großen Eröffnungs- und Abschlusskonzerten vermisst man häufiger Beethovens große Werke, auf die 9. Sinfonie mussten Beethoven-Fans bislang verzichten. Wagner hat eine ebenso herzliche Abneigung gegen jeden „Eventcharakter“wie sie dem Experiment herzlich zuneigt: „Für mich ist der gefüllte Saal kein Indiz für die höchste Qualität. Konzerte, die nicht ausverkauft waren, konnten dennoch zu den aufregendsten und besten zählen.“
Ihre kritische Haltung zum Bonner Publikum spitzte sie in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk Anfang Juli noch einmal deutlich zu. „Der Bonner will es gern altmodisch, romantisch, kuschelig schön haben, wenn er in ein Klassikkonzert geht“, sagte sie. Die Sätze wurden als Publikumsbeschimpfung wahrgenommen. Nach heftiger Kritik entschuldigte sie sich in einem Interview: „Keineswegs war das Bonner Publikum allgemein mit meiner sogenannten Beschimpfung gemeint. Zu Unrecht habe ich es mit meinen pauschalen Äußerungen in einen Topf geworfen mit einer ganz bestimmten Gruppe in Bonn.“
Diese Gruppe nannte sie dann auch konkret: Es handelt sich um den Verein „Bürger für Beethoven“und dessen Vorsitzenden Stephan Eisel, früher Büroleiter und Redenschreiber Helmut Kohls. Der Vorstand des Vereins habe über seine Zustimmung über eineVertragsverlängerung abgestimmt, berichtete
Wagner Ende Juli. Alle seien „einmütig“dagegen gewesen. Wagner: „Mit diesemVotum ist derVorsitzende zur hohen Politik gegangen und hat gedroht, die ‚Bürger‘ würden Rabatz machen, wenn Frau Wagner verlängert wird. Diese Einmischung in Entscheidungsprozesse, die bei ganz anderen Organen liegen – bei unseren Gesellschaftern, bei unserem Aufsichtsrat und dem die Stadtgesellschaft repräsentierenden Kulturausschuss –, dieses Unter-Druck-Setzen unseres Stadtoberhaupts, das hat mich verletzt, emotionalisiert, da bin ich ausgerastet.“
Dass die „Bürger“Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) unter Druck gesetzt hätten, weist Stephan Eisel jedoch von sich. Man habe vor dem Hintergrund der anstehenden Vertragsverlängerung und der Causa Mauser lediglich dem Oberbürgermeister als Vorsitzenden des Aufsichtsrats mitgeteilt, „dass wir uns als Bürger für Beethoven für einen Neuanfang beim Beethovenfest einsetzen“, sagte er auf Nachfrage.
Für die kommenden drei Beethovenfeste unter Wagners Leitung (nach der Ausgabe im September 2019 wird es im kommenden Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 zusätzlich eine Frühjahrsausgabe geben) wird man sich freilich zusammenraufen müssen: Mehr als zehn Prozent der Karten des Beethovenfestes werden nach Angaben des Vereins von seinen Mitgliedern gekauft.