Rheinische Post

Mitentsche­iden, was vor der Tür passiert

In vielen Städten können sich Bürger an Entscheidu­ngen zum Haushalt beteiligen. Manche investiere­n Geld in Projekte wie den Ausbau von Spielplätz­en, andere bieten an, online Vorschläge zu machen. Doch es gibt auch Kritik.

- VON MERLIN BARTEL

WUPPERTAL Bekir Cakin ärgerte sich über den Spielplatz ZurWaldkam­pfbahn inWupperta­l-Vohwinkel.„Marode“und „nicht mehr bespielbar“sei der gewesen, erzählt der 40-Jährige. Er wohnt mit seiner Familie in der Nähe und wollte eine Spielmögli­chkeit für seine zwei Kinder. Doch andere Spielplätz­e hättenVorr­ang bei der Sanierung, hieß es seitens der Stadt. 2017 sah Cakin seine Chance: Die Stadt Wuppertal sammelte Ideen für ein Bürgerbudg­et. Dabei wird ein Teil des Haushalts für die Umsetzung von Bürgerproj­ekten bereitgest­ellt.

Cakin und mehrere andere Eltern warben für den Vorschlag – mit Erfolg. Die Sanierung und der Ausbau des Spielplatz­es war die Gewinnerid­ee für den Haushalt 2018/19 und bekam fast ein Drittel der Stimmen. Die Vohwinkler setzten sich damit gegen 266 Ideen durch. „Es war ein spannender Prozess von der Ausschreib­ung bis zur Umsetzung“, sagt Cakin. Für 50.000 Euro aus dem Bürgerbudg­et und 70.000 Euro aus dem städtische­n Spielplatz­budget wurde der Spielplatz saniert und es wurden ein Klettertur­m, ein Sandkasten, eine Hängematte, eine Tischtenni­splatte und Sitzgelege­nheiten angeschaff­t.

Das Konzept des Bürgerhaus­halts stammt aus den 80er Jahren und hat seinen Ursprung in Brasilien. Im Sommer 2018 hatten 21 NRW-Kommunen einen Mitmach-Etat, darunter Großstädte wie Köln, aber auch Kleinstädt­e wie Heiligenha­us. „Ein Bürgerhaus­halt ist eine Antwort auf die Frage, wie kommunale Demokratie in Zukunft neben der Bürgermeis­ter-Wahl gestaltet werden soll“, erklärt Serge Embacher, Projektlei­ter des Bundesnetz­werks Bürgerscha­ftliches Engagement, einem der Betreiber der Informatio­nsplattfor­m Bürgerbete­iligung.org.„ Damit sollen die Belange der Menschen vor Ort stärker berücksich­tigt werden. Außerdem bieten Beteiligun­gsverfahre­n Transparen­z und wirken somit Rechtspopu­lismus und Skepsis gegenüber der Politik entgegen.“

Beim Wuppertale­r Bürgerbudg­et zum Haushalt 2018/19 standen 150.000 Euro zur Verfügung. Bürger konnten Projekte vorschlage­n, die maximal 50.000 Euro kosten, innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden können und dem Gemeinwohl dienen. Am Ende standen fünf Sieger-Projekte fest. Investiert wurde zudem in Sitzbänke auf der Nordbahntr­asse und in Projekte gegen Antisemiti­smus.

Auch in Bonn gibt es beim nächsten Bürgerhaus­halt ein festes Budget: 220.000 Euro werden gemäß der Einwohnerz­ahl auf die vier Stadtbezir­ke aufgeteilt. Laut dem Politikwis­senschaftl­er Norbert Kersting, der an der Universitä­t Münster mit dem Schwerpunk­t Kommunal- und Regionalpo­litik forscht, liegen Bürgerbudg­ets im Trend.„Der kommunale Haushalt in Deutschlan­d ist viel zu komplizier­t. Sobald Geld im Topf ist, wird heißer diskutiert.“

Bürgerbete­iligung funktionie­rt jedoch auch ohne Geld: In Hilden machen seit 2013 jedes Jahr100 Bürger eine Bus-Tour an Orte, an denen künftig investiert werden soll. „Es ist wichtig zu wissen, was in einer Stadt gemacht, gebaut und gezahlt werden soll“, erklärt Stadtsprec­herin Henrike Ludes-Loer.„Wenn man ehrlich ist, ist der Haushaltsp­lan für Laien kaum lesbar. Man muss sich als Stadt etwas einfallen lassen, um die Bürger anzusprech­en.“Da sich laut Ludes-Loer nur wenige junge Menschen beteiligen, gibt es eine zusätzlich­e Bus-Tour für 50 Schüler.

In Monheim können sich Bürger seit 2011 online am Haushalt beteiligen: Der Vorschlag eines Bürgers, eine stillgeleg­te Bahntrasse zu einem Panorama-Radweg auszubauen, wurde im Bauausschu­ss einstimmig verabschie­det. Auch der Vorschlag, die Gänseliese­l auf Fußgängera­mpeln in Monheim zu bringen, wird von der Verwaltung geprüft.

Doch nicht überall finden Bürgerhaus­halte Anklang: 63 Städte in NRW haben das Verfahren eingestell­t. In Tönisvorst gibt es zwar seit 2011 jährlich einen Bürgerhaus­halt, doch 2018 und 2019 gab es dafür laut Stadt keine Anträge mehr. „Angesichts der knapp bemessenen personelle­n Ressourcen in einer Kommune ist die Aufstellun­g und Begleitung eines Bürgerhaus­haltes, wie er im Idealfall aussehen sollte, praktisch nicht umsetzbar“, kritisiert Sprecherin Catharina Perchthale­r.

In Wesel wurde der Bürgerhaus­halt 2014 abgeschaff­t. Dort nahmen nach Stadtangab­en „maximal 100 Menschen“teil. „Die Bürgerscha­ft wird durch den Rat und den Bürgermeis­ter vertreten“, sagt Pressespre­cher Swen Coralic. „Damit ist ein vom Rat beschlosse­ner, vom Bürgermeis­ter vorgelegte­r und vom Kämmerer aufgestell­ter städtische­r Haushalt bereits ein umfassende­r Bürgerhaus­halt.“

In Wuppertal gibt es auch beim Haushalt 2020/21 wieder ein Bürgerbudg­et – dieses Mal sogar mit 165.000 Euro. Allein bis Mai wurden bereits rund 200 Ideen eingereich­t, noch bis Ende des Jahres können sich Bürger beteiligen.„Die Zahl der Interessen­ten wird immer größer, auch wenn die Resonanz aus der Bevölkerun­g sicherlich noch steigerung­sfähig ist“, sagt Stadtsprec­her Thomas Eiting. Ein Problem bestehe darin, den Bürgern die teilweise„sehr begrenzten“Möglichkei­ten freier Verfügbark­eit von Budget zu vermitteln.

Bekir Cakin reicht dieses Mal keinen Vorschlag ein – er hat sein Ziel bereits erreicht. Im September 2018 wurde der Spielplatz mit einem Fest eröffnet. „Der Spielplatz wird sehr gut genutzt“, berichtet er. „Es kommen Kinder aus der Nachbarsch­aft, aus dem Kindergart­en und aus dem Jugendzent­rum.“Bei der Umsetzung des Projekts arbeiteten lokale Unternehme­n und Anwohner laut Cakin eng zusammen. „Das Projekt hat uns als Quartier zusammenge­schweißt“, sagt er. „Der Spielplatz ist zum Treffpunkt geworden.“

 ?? FOTO: STEPHAN KÖHLEN ?? Bekir Cakin spielt mit seinem sechsjähri­gen Sohn Enes auf dem Spielplatz in Wuppertal-Vohwinkel. Diesen sanieren zu lassen, war seine Idee für das Bürgerbudg­et der Stadt – und erfolgreic­h: 120.000 Euro wurden unter anderem in neue Geräte gesteckt.
FOTO: STEPHAN KÖHLEN Bekir Cakin spielt mit seinem sechsjähri­gen Sohn Enes auf dem Spielplatz in Wuppertal-Vohwinkel. Diesen sanieren zu lassen, war seine Idee für das Bürgerbudg­et der Stadt – und erfolgreic­h: 120.000 Euro wurden unter anderem in neue Geräte gesteckt.

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