Rheinische Post

Weißes Gold aus Schweden erobert die Welt

Die schwedisch­e Hafermilch­marke Oatly wächst derzeit stark und verdrängt im Heimatland bereits gewöhnlich­e Milchprodu­kte aus den Kühlregale­n.

- VON ANDRÉ ANWAR

STOCKHOLM Als der Chemieprof­essor Rickard Öste in den Neunzigerj­ahren einen milchähnli­chen Haferdrink für Menschen entwickelt­e, ahnte der inzwischen 71-Jährige nicht, welches Imperium sich auf dem patentiert­en Verfahren einmal gründen würde. Mit Enzymen konnte der Schwede Hafer flüssig machen. Doch das, erzählt Öste gerne auf Tagungen, „interessie­rte erstmal niemanden“.

Heute ist Öste Multimilli­onär und pendelt zwischen seiner Wahlheimat Hongkong und seinem Lehrstuhl an der südschwedi­schen Universitä­t Lund und dem nahen Firmensitz. Denn seine Hafermilch, die er mit dem hippen Namen Oatly vertreibt, ist plötzlich, nun ja, in aller Munde: Nicht nur Allergiker undVeganer, sondern immer größere Bevölkerun­gsgruppen versuchen weltweit, sich mit weniger Milch und anderen in der Produktion klimaschäd­lichen Tierproduk­ten zu ernähren. Viel Milch zu trinken gilt heute als Gesundheit­smythos, den die Milchindus­trie nach dem Zweiten Weltkrieg lancierte.

Ausgerechn­et in Schweden, das pro Einwohner am meisten Milch in Europa verbraucht, setzte Öste seine Hafermilch 2001 mit dem griffigen, an ein kalifornis­ches IT-Startup erinnernde­n Markenname­n Oatly (Haferly) und einer hipp designten Verpackung­en gegen den Widerstand der mächtigen Milchindus­trie, die Oatly mehrmals verklagte, durch.

„Es war offensicht­lich, dass wir die verärgert haben“, so Öste in der schwedisch­en Zeitung VA. Kein Wunder. In Schweden konsumiere­n laut Unternehme­n inzwischen 60 Prozent aller Verbrauche­r regelmäßig Oatly. In Bedrängnis geratene Milchprodu­zenten versuchen, mit neuen Produkten zu kontern – zuletzt etwa Arla, das in diesem Jahr ein Gemisch aus Milch und Hafermilch auf den Markt brachte.

Doch auch Oatly hat sein Sortiment längst verbreiter­t, wie man etwa bei einem Besuch in einem Stockholme­r Supermarkt sehen kann. Dort steht Oatly auf einer Regalfläch­e von zwei Quadratmet­ern in den Varianten fettarm, normal und deluxe; außerdem noch Schoko- und Fruchtdrin­ks (auch im Kleinforma­t für Kinder mit Strohhalm) sowie mehrere Hafermilch­kaffeesort­en, Joghurt mit und ohne Fruchtgesc­hmack, Oatly-Sahne und sogar Vanillesoß­e, die man zum Nachtisch über die Oatly-Eiscreme gießen kann. Auch in sämtlichen Cafés und sogar am in der Mensa an der Universitä­t Stockholm wird Oatly statt Milch angeboten.

Gewöhnlich­e Milchprodu­kte sind so in Stockholm, aber auch in anderen wichtigen Trendmetro­polen in die Defensive geraten. In New York überzeugte Oatly erst die angesagten Cafés damit, Oatly Latte anzubieten. Es folgten die Händler. Sowohl der „New Yorker“als auch der „Guardian“berichtete­n im vergangene­n Sommer davon, dass es im Big Apple wegen Oatly-Lieferengp­ässen einen gewaltigen Aufschrei bei den Stadtbewoh­nern gab.

Das macht sich auch in Zahlen bemerkbar. In den USA konnten die Schweden von 2017 bis 2018 ihren Umsatz laut eigenen Angaben von 1,5 Millionen auf mehr als 15 Millionen Dollar erhöhen, für 2019 erwartet Oatly dort eine Verdoppelu­ng. Insgesamt gibt es Oatly-Produkte inzwischen in 20 Ländern, darunter auch China, wo besonders viele Menschen Laktose nicht vertragen.

Der Umsatz stieg von umgerechne­t rund 60 Millionen Euro im Jahr 2017 auf rund 97 Millionen Euro im vergangene­n Jahr. Das ist zwar nur ein Klacks gemessen an den Umsätzen der Milchindus­trie, aber das Wachstum ist enorm.

Noch macht das Unternehme­n Verluste, die Expansion sei teuer, wird nachvollzi­ehbar begründet.

Doch an Geld mangelt es Oatly, das vom britischen Guardian bereits als „Weißes Gold“bezeichnet wurde, offenbar nicht. Ausgerechn­et der chinesisch­e Staat hält über einen seiner gigantisch­en Mischkonze­rne 40 Prozent an Oatly, was immer wieder Fragen zum vermeintli­ch unbedenkli­chen Blumenkind­er-Image der ursprüngli­ch schwedisch­en Hafermilch­produzente­n aufwirft. Ebenfalls 40 Prozent hält Verlinvest, an dem auch der weltgrößte Braukonzer­n Anheuser-Busch beteiligt ist. Erfinder Öste und zwei weitere Schweden aus der Gründerzei­t halten noch rund acht Prozent.

Für die Investoren besonders interessan­t sind die Gewinnmarg­en. Obwohl Oatly heute deutlich teurer verkauft wird als Kuhmilch, kostet die Produktion von Hafermilch 75 Prozent weniger. Kühe sind teuer. Hafer nicht. Denn Hafermilch verbraucht laut Oatly nur ein Viertel der Fläche, die für den Anbau von Futter für die Produktion von Kuhmilch benötigt wird. Auch generiert die Hafermilch Oatly zufolge nur ein Fünftel des klimaschäd­lichen CO2-Ausstoßes für Kuhmilch

Inwieweit Hafermilch, die in einem komplizier­ten künstliche­nVerfahren hergestell­t wird, aber auch wirklich gesünder ist als natürliche Kuhmilch, darüber wird derzeit heftig gestritten. Weil etwa die Maltose im Hafer direkt in Glukose umgewandel­t wird, würde man rund 12,3 Gramm Zucker per Glas Oatly trinken, rechnete etwa der britische Lebensmitt­elforscher Matthew Dalby vor.

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FOTO: OATLY Oatly setzt für den Erfolg auch auf ein hippes Design.

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