Abseits der Klischees
Wladimir Kaminer begibt sich in „Kaminer Inside“auf die Suche nach dem Heimatgefühl.
DÜSSELDORF (ry) Was ist Heimat? Längst wird sie nicht mehr mit Spießigkeit verbunden, sondern mit dem Wunsch nach Zugehörigkeit. Der Schriftsteller und Kolumnist Wladimir Kaminer beschäftigt sich seit Jahren in seinen Werken mit dem Thema Heimat (u. a. in„Russendisko“, wurde 2012 mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle verfilmt). Das 35. Jubiläum von 3 SAT in diesem Jahr ist der Anlass für seine Reise durch Österreich, die Schweiz und Deutschland. Abseits von Klischees sucht er nach Antworten auf die obige Frage.Wie unterscheiden sich dieVorstellungen von Heimat von Land zu Land, von Stadt zu Stadt und von Mensch zu Mensch?
Die Suche beginnt in Österreich. Für Wladimir Kaminer ist es ein kleines Land mit großer Geschichte. Die Schnitzel müssen groß sein, statt Kaffee bestellt man einen „Verlängerten“– natürlich lauter Klischees. Wladimir Kaminer begibt sich auf die Suche nach den wahren Heimatgedanken der Österreicher. Für die einen ist und bleibt dies das österreichische „Sound of Music“-Bergidyll mit Trachten und Tradition. Andere finden sie im säuerlichen Geschmack von Obstsorten wie Mispeln oder in schwarzhumoriger Wiener Popkultur.
Wenn Österreichs selbst ernannter „Volks-Rock-’n’-Roller“Andreas Gabalier zum Konzert ruft, schlüpfen bis zu 75 000 Menschen in Dirndl und Lederhosen. Die Sehnsucht nach der „heilen Welt“wird von ihm perfekt inszeniert und vermarktet. Anders im oberösterreichischen Hallstatt: Dort erfährt Wladimir Kaminer die bröckelnde Fassade der Postkartenidylle „als unwahr, wie in einem Märchen“. Seit Hallstatt in China nachgebaut wurde, tummeln sich bis zu eine Million Tagesgäste pro Jahr in der kleinen Gemeinde mit 700 Einwohnern. Die Hallstätter Wirtin Verena Lobisser fühlt sich zwar noch heimisch, doch auch ihr ist der Trubel zu viel.
Im Anschluss begibt sich Kaminer ab 21 Uhr in die Schweiz. Dabei denkt er an ein jodelndes Alpenvölkchen mit versteckten Bankkonten. Doch wer fühlt sich abseits dieser Klischees dort wirklich heimisch? Er unternimmt eine etwas schräge Annäherung an das kleinste 3 SAT-Land und beginnt seine Reise nicht dort, sondern in seinerWahlheimat Berlin. Die dort wohnhafte Schauspielerin Ursina Lardi gibt ihm einen Crashkurs in den vier Landessprachen.
Kaminer fühlt sich gut gewappnet und besucht zuerst den berühmtesten und zugleich schweigsamsten aller Schweizer: den Emmentaler-Käse. In dessen Heimatregion, dem Emmental, tüftelt der Hobby-Käser Beat Wampfler an einer Innovation des Käsemachens. Er beschallt das Milchprodukt mit Musik und erzielt damit erstaunliche Resultate.
Kaminer schnappt sich ein Stück Hip-Hop-Käse und besucht anschließend den Rapper Marash Pulaj. Seit seiner Jugend thematisiert Marash seine Identität als Secondo und seine Eltern, die wegen der Jugoslawienkriege in die Schweiz flüchteten und hier eine neue Heimat suchen mussten. Doch das ist nur der Beginn von Kaminers Schweiztour.
Abschließend bereist er ab 21.45 Uhr Deutschland. Wie kaum ein Zweiter beobachtet, hinterfragt und persifliert Wladimir Kaminer die Deutschen. Als Einwanderer genießt er Narrenfreiheit und betrachtet Land und Leute aus der Vogelperspektive.
Auf Rügen trifft er eine der wenigen Bernsteinfischerinnen Deutschlands und spricht mit ihr über die Heimat Meer. In Bamberg lauscht Kaminer den Musikern von Kellerkommando und Boxgalopp, die mit ihren traditionellen Instrumenten moderne Volksmusik machen. Damit begeistern sie vor allem ein junges Publikum.
Auf der Suche nach der deutschen Heimat stellt der Schriftsteller fest: Mit klassischen Klischees hat Deutschland heute wenig zu tun. Tradition und Bräuche sind wichtig, aber immer im Wandel – und Heimat am Ende ein Gefühl, das verbindet.