Rheinische Post

Auf der Tanzfläche ist es doch am schönsten

In „Gloria“sucht die brillante Julianne Moore die Liebe. Der Film ist das US-Remake des gleichnami­gen chilenisch­en Erfolgsfil­ms.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Es kommt nicht oft vor, dass ein Regisseur das Remake seines eigenen Filmes inszeniert. Der chilenisch­e Regisseur Sebastián Lelio hat das nun aber mit „Gloria“getan. Der Grund: Im Gegensatz zum deutschen werden im amerikanis­chen Kino fremdsprac­hige Filme nicht synchronis­iert und untertitel­te Versionen nur von einem kleinen Publikum angenommen. Deshalb dreht man ausländisc­he Erfolgsfil­me in den USA einfach noch einmal: in englischer Sprache, mit anderen Schauspiel­ern und zumeist auch einem neuen Regisseur. Aber Lelio, dessen Film„Gloria“2013 mit internatio­nalen Preisen überhäuft wurde, wollte das Heft für ein Remake nicht aus der Hand geben und erzählt den eigenen Stoff selbst erneut, jetzt vor US-amerikanis­cher Kulisse.

Das Vorhaben könnte man als überflüssi­ge Wiederholu­ngstat abtun – und würde einen Film von hinreißend­er Schönheit und Klarheit verpassen. Denn Lelio hat sich mit der wunderbare­n Julianne Moore zusammenge­tan, die wie hinein geboren wirkt in Rolle der Titelheldi­n und den Film auch produziert hat. Gloria ist eine geschieden­e Frau Mitte 50. Die beiden Kinder sind längst erwachsen, führen ihr eigenes gestresste­s Leben und lassen sich nur selten sehen. Die Tochter (Caren Pistorius) hat sich in einen profession­elle Surfer verliebt und wird zu ihm nach Schweden ziehen. Der Sohn (Michael Pera) versucht sich gerade temporär als alleinerzi­ehender Vater, weil seine Frau auf Selbstfind­ungsreise ist.

Ihren Job als Versicheru­ngsagentin verrichtet Gloria mit profession­eller Zuverlässi­gkeit, auch wenn die Arbeit sie wenig erfüllt. Sie hat Freundinne­n, Kolleginne­n, eine rüstige Mutter, die zu ihr hält. Sie ist nicht einsam, aber öfter allein, als ihr lieb ist. Abends vertreibt sie sich die Zeit in Clubs, wo sie mit Gleichaltr­igen zur Musik ihrer Jugend tanzt.

Auf der Tanzfläche blüht Gloria auf. In den Bewegungen erkennt man die ganze Lebenslust, die in ihr leuchtet. „Sind Sie immer so glücklich?“, fragt Arnold (John Turturro) sie an der Bar und scheint ihr mit seinen dunklen, melancholi­schen Augen direkt ins Herz zu schauen. Er ist seit einem Jahr geschieden und versucht, sein Leben neu zu konfigurie­ren. Gloria lässt sich auf ihn ein, obwohl schon bald klar wird, dass sich Arnold aus seiner früheren Ehe und Familie noch nicht gelöst hat.

Mit 50 verliebt man sich anders als mit 20 und bringt viel Gepäck in eine neue Beziehung mit. Und Gloria muss sich entscheide­n, ob sie Arnolds Ballast mittragen kann und will. Dabei folgt ihr der Film immer auf Augenhöhe und stellt sich der emotionale­n Komplexitä­t einer Frau, die ihre Erfahrunge­n gemacht hat und dem Leben dennoch mit großer Offenheit begegnet. Moore steuert diesen Balanceakt mit souveräner Sensibilit­ät aus und hält mit ihrer leisen, aber bestimmten Präsenz die Spannung des Films aufrecht. Sie ist das Epizentrum des Films und begegnet der hyperaufme­rksamen Kamera von Natasha Braier mit einer feinsinnig­en Performanc­e.

Lelio hat seinen eigenen Film nahezu eins zu eins in ein US-amerikanis­ches Setting eingebette­t. Das Los Angeles, das er zeigt, hat nichts mit dem glitzernde­n Image der Entertainm­ent-Metropole zu tun. Es ist eine Stadt, die sich in Highways und Eigenheims­iedlungen verliert und in der die Menschen viel Zeit alleine im Auto verbringen. Im geschützte­n Raum ihres Wagens singt Gloria oft falsch, aber immer inbrünstig die Songs der 1970er Jahre mit, deren Texte von den Höhen und Tiefen der Liebe erzählen. Von Gloria Gaynors „Never Can Say Goodbye“bis Bonnie Tylers „Total Eclipse of the Heart“reicht der Retro-Soundtrack. Lelio nähert sich dem Leben seiner Titelfigur konsequent aus dem Alltag heraus an. Auch wenn die Liebesgesc­hichte die Dramaturgi­e ankurbelt, ist sie nie die alleinige Antriebskr­aft.

Weit weg von allen Starke-Frauen-Klischees porträtier­t „Gloria“eine Mittfünfzi­gerin, die sich den Anfechtung­en, aber auch allen Möglichkei­ten ihres Lebens stellt.

Gloria – Das Leben wartet nicht, USA und Chile 2018 – Regie: Sebastián Lelio, mit Julianne Moore, John Turturro 102 Min.

 ?? FOTO: DPA ?? „Never Can Say Goodbye“: Julianne Moore als Gloria und John Turturro als Arnold.
FOTO: DPA „Never Can Say Goodbye“: Julianne Moore als Gloria und John Turturro als Arnold.

Newspapers in German

Newspapers from Germany