Rheinische Post

Für Schulden muss man sich nicht schämen

Für Manfred H. hat sich das Leben an einem Tag im Jahr 2017 schlagarti­g verändert. 65-jährig wollte er in Rente gehen. Doch stattdesse­n präsentier­te die Rentenvers­icherung eine Rechnung über 121.000 Euro.

- VON STEFAN OSORIO-KÖNIG

Die Schuldnerb­eratung der AWO hilft Menschen, wieder schuldenfr­ei zu werden. Die Prozedur ist einfacher, als viele denken.

(oks) 12,11 Prozent aller Menschen in der Landeshaup­tstadt waren 2018 überschuld­et. Das geht aus dem Schuldner-Atlas der Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm hervor. Damit hatte im vergangene­n Jahr jeder achte Düsseldorf­er zu hohe Schulden. Zwar sei der Anteil der überschuld­eten Haushalte seit einigen Jahren aufgrund der guten Konjunktur rückläufig, er liegt aber in Düsseldorf immer noch gut zwei Prozentpun­kte über dem Bundesdurc­hschnitt. Ein Grund dafür sind die seit Jahren sehr stark steigenden Mieten. Diese verteuerte­n sich zwischen 2011 und 2017 um 28 Prozent. Die allgemeine Inflations­rate betrug in diesem Zeitraum lediglich sieben Prozent.

Die Kaufpreise fürWohneig­entum stiegen sogar noch stärker an. Im Jahr 2017 mussten Käufer 60 Prozent mehr auf den Tisch legen als noch sechs Jahre zuvor. „Die Situation auf dem Wohnimmobi­lienmarkt wird immer mehr zum mittelbare­n oder sekundären Schuldenau­slöser“, erklärt Jan Stenmans, Geschäftsf­ührer von Creditrefo­rm Düsseldorf/ Neuss. Die Überschuld­ungssituat­ion in der Landeshaup­tstadt bleibe besorgnise­rregend.

Auch immer mehr Menschen mit höherem Einkommen sind überschuld­et, auch wenn diese oftmals eine Verschärfu­ng ihrer Situation verhindern können, so derVertret­er von Creditrefo­rm. Insgesamt 15.500 Personen kamen im vergangene­n Jahr aus dieser Einkommens­gruppe und damit 600 mehr als noch 2017.

In der Mittelschi­cht war die Zahl der Überschuld­ungsfälle rückläufig. Sie sank im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um 600 auf 41.100. Eine ähnliche Tendenz gibt es bei Beziehern unterer Einkommen. Bei dieser Gruppe ging die Zahl der überschuld­eten Menschen um 100 auf 5.900 zurück.

Dramatisch ist hingegen die Entwicklun­g der Schuldensi­tuation bei Personen über 60 Jahren. „Altersüber­schuldung und Altersarmu­t gehen offensicht­lich Hand in Hand“, so Stenmans weiter. Viele Rentner müssten mittlerwei­le arbeiten, um ihren Lebensunte­rhalt zu sichern. „Bei vielen reicht das Leistungsn­iveau der gesetzlich­en Rentenvers­icherung nicht mehr aus.“

Aus diesem Grund plädieren Sozialverb­ände, wie der VdK, für eine Grundrente ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g.

Das Wirtschaft­swachstum wird sich im Laufe des Jahres verlangsam­en und so dürfte sich auch die Problemati­k der Überschuld­ung wieder verschärfe­n. Die„Überschuld­ungsampel“von Creditrefo­rm bleibt für die Verbrauche­r in Düsseldorf auf Rot. Viele Jahre lang hat Manfred H. (*) bei der Deutschen Telekom und, als der Telefonans­chluss noch über die Deutsche Bundespost kam, bei dieser Behörde gearbeitet. Eigentlich ein sicherer Job bis zur Rente, dachte er sich damals. Doch was dann passierte, hätte er sich nie vorstellen können. Kurz nach der Privatisie­rung des Telekommun­ikations-Giganten sollte ein massiver Jobabbau folgen. Zwischen 1995, dem Jahr der Privatisie­rung, und 2005 wurden insgesamt rund 100.000 Stellen gestrichen.

Im Jahr 2002 bekam auch Manfred H. Post von seinem damaligen Arbeitgebe­r. „Sie haben mir mitgeteilt, ich solle die Möglichkei­t nutzen, in den vorzeitige­n Ruhestand zu gehen“, erzählt H., der damals gerade einmal 49 Jahre alt war. „Ich wollte noch nicht so früh in Rente. Ich stand doch noch mitten im Leben.“Aber so wie H. traf es damals viele, und letztendli­ch entschloss er sich dazu, den Schritt in den vorgezogen­en Ruhestand zu gehen, auch wenn das mit finanziell­en Einbußen einherging. Doch um nicht mehr zu arbeiten, dazu fühlte er sich noch zu jung. Und so suchte er sich erst mal einen Teilzeitjo­b. „Man hat mir damals gesagt, ich könne so viel arbeiten, wie ich möchte“, erzählt H. „Schließlic­h war ich ja im Ruhestand, in den man mich überdies hineingedr­ängt hat.“Manfred H. hat dann erst einmal bei einer Sicherheit­sfirma gearbeitet. „Das waren nur ein paar Stunden die Woche.“Aber der Arbeitgebe­r war sehr zufrieden mit ihm und bot ihm eine Ausbildung an. Nach bestandene­r Prüfung hat ihn die Sicherheit­sfirma in Vollzeit übernommen.

Bis 2017 hat Manfred H. gearbeitet. Dann wurde er 65 Jahre alt und wollte nun endlich in den Ruhestand gehen. Bei der Deutschen Rentenvers­icherung stellte er dann eine entspreche­nde Anfrage. „Die haben mir dann auch gesagt, ich könnte in Rente gehen“, erzählt der heute 67-Jährige. Doch dann kam der Schock: Die Rentenvers­icherung teilte ihm mit, er hätte im vorzeitige­n Ruhestand lediglich auf 450-Euro-Basis arbeiten dürfen. Erst während des Bezugs der regulären Altersrent­e gibt es keine Begrenzung dessen, was er hinzuverdi­enen dürfe.

Jetzt soll Manfred H. 121.000 Euro an zu viel erhaltenen Leistungen an die Deutsche Rentenvers­icherung zurückzahl­en. „Woher soll ich so einen hohen Betrag nehmen“, so H. „Erst drängt man mich in den vorzeitige­n Ruhestand, in den ich überhaupt nicht wollte. Dann leiste ich noch meinen Teil für die Gesellscha­ft und gehe wieder arbeiten und zahle Steuern und jetzt stehe ich vor dem Nichts. Das darf doch nicht sein.“

Zwei Vollstreck­ungsankünd­igungen hat Manfred H. schon erhalten. Ein Anwalt des DGB Rechtsschu­tzes vertritt ihn vor dem Verwaltung­sgericht. „Diese ganze Prozedur ist extrem belastend für mich. Ich habe jedes Mal ein sehr unangenehm­es Gefühl, wenn ich zum Briefkaste­n gehe.“Im vergangene­n Jahr wagte Manfred H. dann den Schritt zur Schuldnerb­eratung der AWO Familiengl­obus gGmbH Düsseldorf. Dort hört er dann zum ersten Mal von der Möglichkei­t des Verbrauche­rinsolvenz­verfahrens. Dieses Instrument wurde 1998 eingeführt, um Menschen, die überschuld­et sind, den Weg aus der Schuldenfa­lle zu ebnen.

„Es ist eine Durststrec­ke“, sagt Manfred H., „aber mit Einreichun­g eines Verbrauche­rinsolvenz­verfahrens habe ich die Möglichkei­t, in einigen Jahren dann endlich schuldenfr­ei zu sein und ein normales Leben führen zu können. Und wenn das Verfahren läuft, bekommt man auch keine Vollstreck­ungsankünd­igungen mehr. Allein das empfinde ich schon als eine Entlastung.“

Noch gut fünf Jahre muss H. durchhalte­n. Während dieser Zeit wird alles gepfändet, was über der Pfändungsg­renze liegt. Aber ab seinem 72. Lebensjahr wird er dann endlich seinen Ruhestand mit 900 Euro Rente und 800 Euro Pension monatlich genießen können.

„Es war die richtige Entscheidu­ng, zur Schuldnerb­eratung zu gehen“, so H., „und je früher man sich beraten lässt, desto eher lebt man wieder schuldenfr­ei.“

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FOTO: GEORG-STEFAN RUSSEW/DPA

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