Für Schulden muss man sich nicht schämen
Für Manfred H. hat sich das Leben an einem Tag im Jahr 2017 schlagartig verändert. 65-jährig wollte er in Rente gehen. Doch stattdessen präsentierte die Rentenversicherung eine Rechnung über 121.000 Euro.
Die Schuldnerberatung der AWO hilft Menschen, wieder schuldenfrei zu werden. Die Prozedur ist einfacher, als viele denken.
(oks) 12,11 Prozent aller Menschen in der Landeshauptstadt waren 2018 überschuldet. Das geht aus dem Schuldner-Atlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervor. Damit hatte im vergangenen Jahr jeder achte Düsseldorfer zu hohe Schulden. Zwar sei der Anteil der überschuldeten Haushalte seit einigen Jahren aufgrund der guten Konjunktur rückläufig, er liegt aber in Düsseldorf immer noch gut zwei Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt. Ein Grund dafür sind die seit Jahren sehr stark steigenden Mieten. Diese verteuerten sich zwischen 2011 und 2017 um 28 Prozent. Die allgemeine Inflationsrate betrug in diesem Zeitraum lediglich sieben Prozent.
Die Kaufpreise fürWohneigentum stiegen sogar noch stärker an. Im Jahr 2017 mussten Käufer 60 Prozent mehr auf den Tisch legen als noch sechs Jahre zuvor. „Die Situation auf dem Wohnimmobilienmarkt wird immer mehr zum mittelbaren oder sekundären Schuldenauslöser“, erklärt Jan Stenmans, Geschäftsführer von Creditreform Düsseldorf/ Neuss. Die Überschuldungssituation in der Landeshauptstadt bleibe besorgniserregend.
Auch immer mehr Menschen mit höherem Einkommen sind überschuldet, auch wenn diese oftmals eine Verschärfung ihrer Situation verhindern können, so derVertreter von Creditreform. Insgesamt 15.500 Personen kamen im vergangenen Jahr aus dieser Einkommensgruppe und damit 600 mehr als noch 2017.
In der Mittelschicht war die Zahl der Überschuldungsfälle rückläufig. Sie sank im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 600 auf 41.100. Eine ähnliche Tendenz gibt es bei Beziehern unterer Einkommen. Bei dieser Gruppe ging die Zahl der überschuldeten Menschen um 100 auf 5.900 zurück.
Dramatisch ist hingegen die Entwicklung der Schuldensituation bei Personen über 60 Jahren. „Altersüberschuldung und Altersarmut gehen offensichtlich Hand in Hand“, so Stenmans weiter. Viele Rentner müssten mittlerweile arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. „Bei vielen reicht das Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr aus.“
Aus diesem Grund plädieren Sozialverbände, wie der VdK, für eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung.
Das Wirtschaftswachstum wird sich im Laufe des Jahres verlangsamen und so dürfte sich auch die Problematik der Überschuldung wieder verschärfen. Die„Überschuldungsampel“von Creditreform bleibt für die Verbraucher in Düsseldorf auf Rot. Viele Jahre lang hat Manfred H. (*) bei der Deutschen Telekom und, als der Telefonanschluss noch über die Deutsche Bundespost kam, bei dieser Behörde gearbeitet. Eigentlich ein sicherer Job bis zur Rente, dachte er sich damals. Doch was dann passierte, hätte er sich nie vorstellen können. Kurz nach der Privatisierung des Telekommunikations-Giganten sollte ein massiver Jobabbau folgen. Zwischen 1995, dem Jahr der Privatisierung, und 2005 wurden insgesamt rund 100.000 Stellen gestrichen.
Im Jahr 2002 bekam auch Manfred H. Post von seinem damaligen Arbeitgeber. „Sie haben mir mitgeteilt, ich solle die Möglichkeit nutzen, in den vorzeitigen Ruhestand zu gehen“, erzählt H., der damals gerade einmal 49 Jahre alt war. „Ich wollte noch nicht so früh in Rente. Ich stand doch noch mitten im Leben.“Aber so wie H. traf es damals viele, und letztendlich entschloss er sich dazu, den Schritt in den vorgezogenen Ruhestand zu gehen, auch wenn das mit finanziellen Einbußen einherging. Doch um nicht mehr zu arbeiten, dazu fühlte er sich noch zu jung. Und so suchte er sich erst mal einen Teilzeitjob. „Man hat mir damals gesagt, ich könne so viel arbeiten, wie ich möchte“, erzählt H. „Schließlich war ich ja im Ruhestand, in den man mich überdies hineingedrängt hat.“Manfred H. hat dann erst einmal bei einer Sicherheitsfirma gearbeitet. „Das waren nur ein paar Stunden die Woche.“Aber der Arbeitgeber war sehr zufrieden mit ihm und bot ihm eine Ausbildung an. Nach bestandener Prüfung hat ihn die Sicherheitsfirma in Vollzeit übernommen.
Bis 2017 hat Manfred H. gearbeitet. Dann wurde er 65 Jahre alt und wollte nun endlich in den Ruhestand gehen. Bei der Deutschen Rentenversicherung stellte er dann eine entsprechende Anfrage. „Die haben mir dann auch gesagt, ich könnte in Rente gehen“, erzählt der heute 67-Jährige. Doch dann kam der Schock: Die Rentenversicherung teilte ihm mit, er hätte im vorzeitigen Ruhestand lediglich auf 450-Euro-Basis arbeiten dürfen. Erst während des Bezugs der regulären Altersrente gibt es keine Begrenzung dessen, was er hinzuverdienen dürfe.
Jetzt soll Manfred H. 121.000 Euro an zu viel erhaltenen Leistungen an die Deutsche Rentenversicherung zurückzahlen. „Woher soll ich so einen hohen Betrag nehmen“, so H. „Erst drängt man mich in den vorzeitigen Ruhestand, in den ich überhaupt nicht wollte. Dann leiste ich noch meinen Teil für die Gesellschaft und gehe wieder arbeiten und zahle Steuern und jetzt stehe ich vor dem Nichts. Das darf doch nicht sein.“
Zwei Vollstreckungsankündigungen hat Manfred H. schon erhalten. Ein Anwalt des DGB Rechtsschutzes vertritt ihn vor dem Verwaltungsgericht. „Diese ganze Prozedur ist extrem belastend für mich. Ich habe jedes Mal ein sehr unangenehmes Gefühl, wenn ich zum Briefkasten gehe.“Im vergangenen Jahr wagte Manfred H. dann den Schritt zur Schuldnerberatung der AWO Familienglobus gGmbH Düsseldorf. Dort hört er dann zum ersten Mal von der Möglichkeit des Verbraucherinsolvenzverfahrens. Dieses Instrument wurde 1998 eingeführt, um Menschen, die überschuldet sind, den Weg aus der Schuldenfalle zu ebnen.
„Es ist eine Durststrecke“, sagt Manfred H., „aber mit Einreichung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens habe ich die Möglichkeit, in einigen Jahren dann endlich schuldenfrei zu sein und ein normales Leben führen zu können. Und wenn das Verfahren läuft, bekommt man auch keine Vollstreckungsankündigungen mehr. Allein das empfinde ich schon als eine Entlastung.“
Noch gut fünf Jahre muss H. durchhalten. Während dieser Zeit wird alles gepfändet, was über der Pfändungsgrenze liegt. Aber ab seinem 72. Lebensjahr wird er dann endlich seinen Ruhestand mit 900 Euro Rente und 800 Euro Pension monatlich genießen können.
„Es war die richtige Entscheidung, zur Schuldnerberatung zu gehen“, so H., „und je früher man sich beraten lässt, desto eher lebt man wieder schuldenfrei.“