Rheinische Post

Düsseldorf­er verhalten sich vorbildlic­h nach schwerem Unfall

Am Mittwoch kollidiert­en in Oberkassel ein Van und eine Straßenbah­n. Unsere Autorin saß in einem Restaurant direkt neben der Unfallstel­le.

- VON SUSANNE HAMANN

Der Knall war so laut, dass ich kurz über eine kleine Bombe nachgedach­t habe. Meine Begleitung an diesem Abend war nicht die einzige, die im Lokal zusammenzu­ckte. Für einen Moment war Totenstill­e im italienisc­hen Restaurant an der Ecke Oberkassel­er Straße/Luegallee. Genau an der Kreuzung, an der am Mittwochab­end eine Straßenbah­n in voller Fahrt auf einen Mercedes Vito geprallt ist. Der Van wurde gegen einen Ampelmast gedrückt und seine Front vollständi­g zertrümmer­t. Der Fahrer der Straßenbah­n ließ sofort alle Fahrgäste aussteigen. Dann stand die Bahn wie ein Geisterzug mitten auf der Kreuzung.

Es gibt nicht viele Situatione­n im Leben, in denen sich innerhalb weniger Sekunden entscheide­t, was für ein Mensch man ist. Zehn Meter von einem solchen Unfall entfernt zu sein, ist so eine. Was macht man jetzt?

Dass solche Situatione­n das Schlechtes­te im Menschen hervorbrin­gen können, zeigen Beispiele aus den vergangene­n Wochen. Erst im August beschimpft­e eine Frau in Düsseldorf die Retter bei einem Unfall, während mehrere Notärzte und die Feuerwehr um das Leben eines 16-Jährigen kämpften. In Mönchengla­dbach halfen bei einem Unfall im Juni zwar mehrere Menschen, sie blockierte­n dann aber den Rettungsei­nsatz, weil sie mit dem Gaffen nicht aufhören konnten. In Dortmund behinderte­n 150 Schaulusti­ge die Arbeit der Polizei nach einer Massenschl­ägerei. Am Mittwochab­end in Düsseldorf entschiede­n sich die Menschen jedoch anders.

30 Sekunden hat es vielleicht gedauert. 30 SekundenVe­rarbeitung­szeit. Dann griffen die Ersten zum Telefon, darunter die Kellner im Restaurant, so mancher Gast und Passanten auf beiden Straßensei­ten. Nicht um zu fotografie­ren oder um zu filmen, sondern um Hilfe zu holen. Dann rannten die ersten los, die nächsten kletterten über den Zaun, der die beiden Fahrtricht­ungen der Straßenbah­n voneinande­r trennt. Sie waren die ersten, die halfen, als vier Erwachsene und zwei Kinder versuchten, aus dem zertrümmer­tenVan auszusteig­en. Im Restaurant Stappen unterbrach­en zwei Ärzte ihr Abendessen und leisteten Erste Hilfe. Die Kellner brachten Stühle und kalte Tücher für den Kopf der Betroffene­n. Passanten kamen mit Wasser. Andere versuchten sofort, den Verkehr von der Unfallstel­le wegzuleite­n. Irgendwie fand sich in Windeseile auch noch ein Übersetzer, denn die Verletzten sprachen kein Deutsch. Nicht mal fünf Minuten dauerte all das, dann waren Sirenen zu hören. Die Feuerwehr kam mit einem Großaufgeb­ot, außerdem sechs Rettungswa­gen, zudem die Polizei. Schneller kann man kaum bei Verletzten sein.

Über 90 Minuten lang war die Luegallee gesperrt. Viel Zeit für die übliche Ungeduld, Schaulust und für Beschwerde­n. Aber die umstehende­n Düsseldorf­er haben sich an diesem Abend anders entschiede­n. Sie haben gezeigt, wie man sich richtig und mitmenschl­ich verhält. Und dass Betroffene eines schweren Unfalls vor allem zwei Dinge verdient haben: Hilfe und Ruhe.

Was nicht heißt, dass es keine Gaffer gab. Die Polizei verteilte sogar mehrere Anzeigen gegen Umstehende, die fotografie­rten und filmten. Betrunkene beschwerte­n sich außerdem lautstark über zwei der völlig aufgelöste­n Van-Insassen. Aber sie hielten Abstand zum Geschehen, zu den Einsatzkrä­ften, ja sogar zum Absperrban­d. Offensicht­lich können auch Schaulusti­ge einen gewissen Anstand haben.

Natürlich ist es in so einer Situation nicht immer leicht zu entscheide­n, ob man eingreifen oder weggehen sollte. Nur eine Antwort sollte man sich selbst auf diese Frage niemals geben müssen: Eigentlich stehe ich bei diesem Unfall nur so rum.

Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, wie laut der Knall bei einem schweren Autounfall ist. Und ich wusste nicht, wie man weitermach­t an so einem Abend, nachdem nebenan vier Menschen teils schwer verletzt auf Liegen in Rettungsfa­hrzeuge geschoben und weggebrach­t werden. Anderersei­ts

man gar nichts machen, sobald die Einsatzkrä­fte da sind. Und man nicht auch noch etwas machen, wenn fast alle, die direkt an der Unfallstel­le sind, so überlegt helfen. Der Mittwochab­end hat gezeigt, dass es auch anders geht. Danke dafür, Düsseldorf!

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FOTO: BERGER

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