Düsseldorfer verhalten sich vorbildlich nach schwerem Unfall
Am Mittwoch kollidierten in Oberkassel ein Van und eine Straßenbahn. Unsere Autorin saß in einem Restaurant direkt neben der Unfallstelle.
Der Knall war so laut, dass ich kurz über eine kleine Bombe nachgedacht habe. Meine Begleitung an diesem Abend war nicht die einzige, die im Lokal zusammenzuckte. Für einen Moment war Totenstille im italienischen Restaurant an der Ecke Oberkasseler Straße/Luegallee. Genau an der Kreuzung, an der am Mittwochabend eine Straßenbahn in voller Fahrt auf einen Mercedes Vito geprallt ist. Der Van wurde gegen einen Ampelmast gedrückt und seine Front vollständig zertrümmert. Der Fahrer der Straßenbahn ließ sofort alle Fahrgäste aussteigen. Dann stand die Bahn wie ein Geisterzug mitten auf der Kreuzung.
Es gibt nicht viele Situationen im Leben, in denen sich innerhalb weniger Sekunden entscheidet, was für ein Mensch man ist. Zehn Meter von einem solchen Unfall entfernt zu sein, ist so eine. Was macht man jetzt?
Dass solche Situationen das Schlechteste im Menschen hervorbringen können, zeigen Beispiele aus den vergangenen Wochen. Erst im August beschimpfte eine Frau in Düsseldorf die Retter bei einem Unfall, während mehrere Notärzte und die Feuerwehr um das Leben eines 16-Jährigen kämpften. In Mönchengladbach halfen bei einem Unfall im Juni zwar mehrere Menschen, sie blockierten dann aber den Rettungseinsatz, weil sie mit dem Gaffen nicht aufhören konnten. In Dortmund behinderten 150 Schaulustige die Arbeit der Polizei nach einer Massenschlägerei. Am Mittwochabend in Düsseldorf entschieden sich die Menschen jedoch anders.
30 Sekunden hat es vielleicht gedauert. 30 SekundenVerarbeitungszeit. Dann griffen die Ersten zum Telefon, darunter die Kellner im Restaurant, so mancher Gast und Passanten auf beiden Straßenseiten. Nicht um zu fotografieren oder um zu filmen, sondern um Hilfe zu holen. Dann rannten die ersten los, die nächsten kletterten über den Zaun, der die beiden Fahrtrichtungen der Straßenbahn voneinander trennt. Sie waren die ersten, die halfen, als vier Erwachsene und zwei Kinder versuchten, aus dem zertrümmertenVan auszusteigen. Im Restaurant Stappen unterbrachen zwei Ärzte ihr Abendessen und leisteten Erste Hilfe. Die Kellner brachten Stühle und kalte Tücher für den Kopf der Betroffenen. Passanten kamen mit Wasser. Andere versuchten sofort, den Verkehr von der Unfallstelle wegzuleiten. Irgendwie fand sich in Windeseile auch noch ein Übersetzer, denn die Verletzten sprachen kein Deutsch. Nicht mal fünf Minuten dauerte all das, dann waren Sirenen zu hören. Die Feuerwehr kam mit einem Großaufgebot, außerdem sechs Rettungswagen, zudem die Polizei. Schneller kann man kaum bei Verletzten sein.
Über 90 Minuten lang war die Luegallee gesperrt. Viel Zeit für die übliche Ungeduld, Schaulust und für Beschwerden. Aber die umstehenden Düsseldorfer haben sich an diesem Abend anders entschieden. Sie haben gezeigt, wie man sich richtig und mitmenschlich verhält. Und dass Betroffene eines schweren Unfalls vor allem zwei Dinge verdient haben: Hilfe und Ruhe.
Was nicht heißt, dass es keine Gaffer gab. Die Polizei verteilte sogar mehrere Anzeigen gegen Umstehende, die fotografierten und filmten. Betrunkene beschwerten sich außerdem lautstark über zwei der völlig aufgelösten Van-Insassen. Aber sie hielten Abstand zum Geschehen, zu den Einsatzkräften, ja sogar zum Absperrband. Offensichtlich können auch Schaulustige einen gewissen Anstand haben.
Natürlich ist es in so einer Situation nicht immer leicht zu entscheiden, ob man eingreifen oder weggehen sollte. Nur eine Antwort sollte man sich selbst auf diese Frage niemals geben müssen: Eigentlich stehe ich bei diesem Unfall nur so rum.
Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, wie laut der Knall bei einem schweren Autounfall ist. Und ich wusste nicht, wie man weitermacht an so einem Abend, nachdem nebenan vier Menschen teils schwer verletzt auf Liegen in Rettungsfahrzeuge geschoben und weggebracht werden. Andererseits
man gar nichts machen, sobald die Einsatzkräfte da sind. Und man nicht auch noch etwas machen, wenn fast alle, die direkt an der Unfallstelle sind, so überlegt helfen. Der Mittwochabend hat gezeigt, dass es auch anders geht. Danke dafür, Düsseldorf!