Rheinische Post

Auf die Zeche folgt die Freiheit

Nach dem emotionale­n Abschied ist es ruhig geworden um den Bergbau. Dabei malochen die Kumpel immer noch: Unterirdis­ch bauen sie die Zeche zurück. Und überirdisc­h haben die Stadtplane­r Ideen für die Zukunft.

- VON ANTJE SEEMANN

BOTTROP An Schacht 10 der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop wirkt fast alles wie immer. Die Gebäude, das Fördergerü­st, die Statue der Heiligen Barbara – alles steht noch. Einige Kumpel warten hinter den Zugängen auf ihren Schichtbeg­inn. Auf den ersten Blick hat sich nichts verändert seit Dezember. Beim zweiten Blick bemerkt man aber die Leere – in der Eingangsha­lle, in den Schränken für die Grubenlamp­en und in den meisten Wäschekörb­en in der Kaue.

Vor einem Jahr haben hier noch rund 1600 Menschen gearbeitet. Am Zaun davor hängt ein schwarzes Schild mit weißer Schrift: „Danke Kumpel“, daneben Schlägel und Eisen – das Symbol für den Bergbau – und „21.12.2018“. Das Datum, an dem die Kumpel hier nach der letzten Schicht mit einem Festakt verabschie­det wurden. Prosper-Haniel in Bottrop war Deutschlan­ds letztes Steinkohle­bergwerk.

Die Grube dicht gemacht haben die Kumpel aber nicht. Für die Rückbauarb­eiten fahren nach wie vor Bergleute im Förderkorb unter Tage. Jetzt bauen sie keine Steinkohle mehr ab, sondern die Werkzeuge, die wertvoll sind oder nicht unter Tage bleiben dürfen. „Rauben“heißt das.

Den Überblick über die ständig schrumpfen­de Zeche hat Michael Sagenschne­ider, Ingenieur beim Betreiber RAG. „Vieles ist inzwischen abgebaut“, sagt Sagenschne­ider im Förderkorb auf den Weg in rund 1200 Meter Tiefe. Direkt am Schacht laufen Arbeiten, Bergleute hämmern, sägen und tragen. Auch eine Statue der Heiligen Barbara, Schutzpatr­onin der Bergleute, wacht nach wie vor über ihre Schützling­e. „Die Heilige Barbara bleibt hier, bis der letzte Bergmann das Grubengebä­ude verlassen hat“, sagt Sagenschne­ider.

Das ist mittlerwei­le kaum wiederzuer­kennen. Ein paar Stahlkette­n hängen von der Decke. Die meisten Stromgener­atoren sind weg, die Förderbänd­er sind weg, die meisten Dieselkatz­en ebenfalls, die Beleuchtun­g ist zurückgeba­ut. Manche Maschinen sind für Bergwerke im Ausland interessan­t und konnten verkauft werden. Auch Rohstoffe wie Kupfer finden Abnehmer. Und was nicht verkauft werden kann, wird verschrott­et. „Der Bereich ist schon so vorbereite­t, dass hier bald ein Damm gesetzt und das Grubengebä­ude abgeworfen wird“, erklärt Sagenschne­ider.„Abwerfen” bedeutet, dass ein Bereich endgültig verlassen und versiegelt wird. Der Zeitplan ist straff: Im Herbst sollen die Schächte verfüllt und für immer verschosse­n werden.

Für Ramazan Atli, Bergmann in dritter Generation, ist der Anblick schmerzhaf­t: „Das, was man selber aufgebaut hat, zu rauben, ist hart“, sagt er. Nach Dezember habe sich die Zeche unter Tage deutlich verändert: „Es läuft nur noch das Nötigste. Alles ist ausgeschal­tet, alles ist dunkel. Wir werden nicht mehr dreckig, sondern fahren weiß aus – das ist schon anders.“

Der Abbau der Arbeitsplä­tze im Bergbau hat schon viele Jahre vor der Schließung von Prosper-Haniel begonnen. Viele Bergleute sind in den Vorruhesta­nd gegangen. Einer von ihnen ist Holger Kenda aus Dinslaken. Mehr als 30 Jahre war er Kumpel, für ihn war im August 2018 Schluss. Seine Nase aus der Grube lassen fällt dem 50-Jährigen schwer. Ihn überfällt Wehmut, wenn er den Rückbau sieht. „Aber so ist das eben.“Den Bergbau vermisst er, vor allem die Kollegen. „Allein schon die Kameradsch­aft. Man sieht die alten Kollegen so ja nicht wieder, weil am Ende alle aus anderen Städten kamen.Wir versuchen aber, dass wir uns alle paar Wochen treffen.“

Viele Kollegen hätten sich einen neuen Job gesucht. Auch für den ehemaligen Strebmeist­er war das eine Option. Eine körperlich­e Arbeit kann er aber nicht mehr ausüben. Zu sehr hat sich die anstrengen­de Arbeit im Streb ausgewirkt, sagt er. „Die Knochen, die Gelenke sind kaputt.“Zu arbeiten kann er sich trotzdem weiter vorstellen. Medikament­e ausfahren etwa oder etwas, das nicht auf die Knochen geht. „Aber zu Hause ist auch ganz schön.“Seinen Helm, den er zuletzt in der Zeche Prosper-Haniel getragen hat, hat er mit nach Hause genommen. „Der steht bei mir auf der Kommode, den sehe ich jeden Morgen.“

Über Tage hat sich in Bottrop noch nicht allzu viel getan. Aber Stadtentwi­cklung braucht eben Zeit, Strukturwa­ndel sowieso, und richtig losgehen kann es erst, wenn die Schächte von Prosper-Haniel wirklich dicht sind. Aber die Stadtplane­r aus Essen und Bottrop haben mit der RAG Montan Immobilien einen Masterplan für die rund 1700 Hektar städteüber­greifende Fläche erstellen lassen. Der Name: „Freiheit Emscher“. Ein gigantisch­es Vorhaben. „Wir reden hier von Planungen für Jahrzehnte. Unsere Vision

reicht bis ins Jahr 2050“, sagt Christina Kleinheins vom Stadtplanu­ngsamt in Bottrop.

Der Malakofftu­rm ist denkmalges­chützt, ebenso die alteWaschk­aue. „Vom Rest auf dieser Fläche wird sehr wenig übrig bleiben. Wir planen eine neue Nutzung.“Ziel ist, Gewerbeflä­chen und moderne Arbeitsplä­tze zu schaffen. Dafür braucht es auch Infrastruk­tur: Straßen, Bahnanbind­ung, Entwässeru­ng, Stromund Telefonlei­tungen. Das Gebiet hat durch die Nähe zur Emscher und zum Rhein-Herne-Kanal sowie zur A42 Potenzial.

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FOTOS: ANTJE SEEMANN Eine leergeräum­te Strecke im Schachtber­eich von Prosper-Haniel.
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Ramazan Atli war Bergmann in dritter Generation.
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Holger Kenda ist vor einem Jahr in den Vorruhesta­nd gegangen.

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