Hart aber herzlich
Die deutsche Basketball-Nationalmannschaft ist so stark besetzt wie nie zuvor. Nun ist es an Trainer Henrik Rödl, mit dieser Auswahl endlich wieder Erfolge zu feiern. Am besten schon ab Sonntag, wenn die WM in China beginnt.
TRIER/DÜSSELDORF Wenn Henrik Rödl sauer wird, dann richtig. Aus der entspannten Hocke wird ein energischer Schritt, die Arme gestikulieren, die Stimme wird laut und kräftig. Innerhalb weniger Sekunden ist klar: Wer auf dem Feld unkonzentriert zu Werke geht und nicht mit voller Energie spielt, der hat schlechte Karten.
Seine bislang größte Herausforderung als Cheftrainer der Basketball-Nationalmannschaft beginnt für Rödl in Trier. An jenem Ort, an dem er zwischen 2010 und 2015 den damaligen Bundesligisten trainierte, ehe die Lichter ausgingen. Heute sind alle Scheinwerfer auf Rödl gerichtet. Er ist der Kopf hinter einem Team, das er selbst als „sehr talentiert, sehr tief und sehr gut“bezeichnet. Und das am Sonntag mit großen Hoffnungen, aber auch großen Erwartungen in dieWeltmeisterschaft China startet.
Schon der Auswahlprozess jener zwölf Spieler, die bei der WM das deutsche Trikot tragen, war ein Wettkampf. Rödl, ein Freund der ruhigen aber klaren Worte, sorgt für eine kompetitive Atmosphäre. Spaß-Aktionen, wie der gemeinsame Ausflug auf die Kartbahn, blieben während der vierwöchigenVorbereitung die Ausnahme. „Wir sind zum Arbeiten hier, nicht für Freizeit-Spaß“, sagt Rödl. Erst in Trier und später in Hamburg sortierte der 50-Jährige einzelne Spieler aus. Bis Freitag muss der finale ZwölfMann-Kader stehen, einen Spieler wird Rödl bis dahin noch nach Hause schicken müssen.
Der Verkleinerung zum Opfer fiel bereits der 22-jährige Moritz Wagner vom NBA-Klub Washington Wizards. Vorbei sind die Zeiten, da ein Platz in der besten Basketball-Liga der Welt automatisch einen Platz in der deutschen Auswahl bedeutete. Ein Luxus, aber auch eine Bürde für Rödl, der dazu nur nüchtern feststellt: „Es ist eben eine sehr gute Zeit, Nationaltrainer zu sein.“
Sehr gut. Wenn Rödl über die WM-Voraussetzungen spricht, fallen diese Wörter häufiger: Die Stimmung im Team, der 14-köpfige Betreuerstab, die Trainingsbedingungen. Alles sehr gut. Sechs der sieben Testspiele gewann sein Team, darunter am Mittwoch mit 74:64 gegen die Australier. Die hatten ihrerseits vor wenigen Tagen den USA die erste Niederlage seit 13 Jahren zugefügt. Insbesondere die Defensive präsentiert sich als deutsches Prunkstück. In Dennis Schröder von den Oklahoma City Thunder hat sich obendrein ein anderer NBA-Spieler als Rödls verlängerter Arm auf dem Feld etabliert. Für den Trainer ist klar: „Dennis ist einer der besten und schnellsten Spielmacher der Welt. Er wird das Tempo vorgeben, er ist unser Anführer.“
Der 25-Jährige ist einer von immer noch vier NBA-Spielern im Kader. Neben ihm repräsentieren Daniel Theis (Boston Celtics), Isac Bonga (Washington Wizards) und Maximilian Kleber (Dallas Mavericks) die deutsche Nationalmannschaft im Ligabetrieb in den USA. Nie waren es mehr. Kleber sagt dazu: „Wir haben eine unfassbar talentierte Truppe. Hier muss keiner 20 Punkte pro Spiel machen, das wäre kein Erfolgsgarant. Wenn wir alle einbinden, haben wir viele Optionen und können mit allen mithalten.“Den Übersee-Profis zur Seite stehen zahlreiche Mitspieler, die in der europäischen Königsklasse, der Euroleague, aktiv sind. So wie Kapitän Robin Benzing vom spanischen Top-Klub Saragossa. „Jeder in diesem Team kann dem Spiel seinen Stempel aufdrücken. Ein NBA-Spieler kann auch mal gar nicht spielen, wenn er keinen guten Tag hat.“
Solche Entscheidungen treffen muss letztlich Coach Rödl – helfen wird dabei seine Erfahrung. Der gebürtige Offenbacher ist seit mehr als 30 Jahren im Basketball aktiv. Als 20-Jähriger spielte er in North Carolina für die ehemalige Uni von Michael Jordan. Danach lief er elf Jahre für den damaligen Serienmeister Alba Berlin auf. Die Hauptstadt wurde zum Lebensmittelpunkt des zweifachen Familienvaters. Auf die aktive Karriere folgte der nahtlose Übergang ins Traineramt. „Basketball war immer Option A, aber wenn es nichts geworden wäre, wäre ich wohl Arzt geworden“, sagt Rödl.
In China muss er das richtige Rezept für die kommenden Gegner finden. In der ersten WM-Gruppenphase fordert sein Team zum Auftakt am Sonntag (13 Uhr) den Weltranglisten-Fünften Frankreich. Die weiteren Gegner heißen am Dienstag (10.30 Uhr) Dominikanische Republik und am Donnerstag (10.30 Uhr) Jordanien. Alles in allem eine Gruppe, von der Basketball-Legende Dirk Nowitzki unmittelbar nach der Auslosung sagte: „Die nächste Runde muss das Ziel sein.“Und weiter: „Vorausgesetzt, alle sind gesund, kann dieses Team viel erreichen.“
Der WM-Modus (siehe Info) macht genaue Prognosen schwer. Schon in der zweiten Runde könnten in Kanada, Litauen oder Australien weitere potenzielle Top-Teams warten. „Das ist die vielleicht beste WM aller Zeiten“, sagt Rödl. Zwar verzichten die USA auf zahlreiche NBA-Superstars, dafür laufen nahezu alle anderen Teams in namhafter Besatzung auf. So stellt Griechenland in Giannis Antetokounmpo den aktuell wertvollsten NBA-Spieler. Die Serben laufen mit Nikola Jokic auf, einem der vielfältigsten Basketballer überhaupt, und die Franzosen stellen in Rudy Gobert den besten Verteidiger der Welt.
Mit klaren Zielen tut man sich beim deutschen Basketball-Bund (DBB) deshalb trotz der eigenen Stärke schwer. „Nach der zweiten Runde können wir sagen, wie es weitergeht. Jetzt eine Vorgabe zu machen und zu sagen, dass wir Weltmeister werden wollen – das will ich nicht“, sagt DBB-Präsident IngoWeiss. Gänzlich den Druck von der Mannschaft nehmen will Weiss aber auch nicht: „Wir haben drei Chancen, in den nächsten drei Jahren eine Medaille zu holen: bei der WM, bei Olympia und bei der EM 2021 in Deutschland.“
An der Motivation soll es jedenfalls nicht scheitern. „Wir sind eine hungrige Truppe“, sagt Kapitän Benzing. Eine Truppe, die nicht nur um die eigene Stärke weiß, sondern auch dem Trainer offenkundig voll vertraut. „Er findet eine gute Mischung aus menschlichen und sportlichen Ansprachen“, sagt Benzing. NBA-Legionär Kleber ergänzt: „Er ist ein Spielertrainer. Er weiß, wie Spieler ticken, und findet Lösungen, wenn wir sie brauchen.“Und, wie in Trier bewiesen: „Er weiß auch, wann es an der Zeit ist, uns mal richtig anzuschnauzen.“
Wie viele Sportinteressierte in der Heimat die deutschen WM-Auftritte überhaupt verfolgen werden, ist indes fraglich. Die Spiele werden zwar von der Telekom im Internet live übertragen, nicht aber im öffentlich-rechtlichen TV. Die geringe Sichtbarkeit ist ein Stück weit hausgemacht, schließlich konnte der DBB zuletzt zwar mit guter Nachwuchsarbeit werben, nicht aber mit erfolgreichen Turnieren. Die letzten Medaillen fallen in die Nowitzki-Ära: Der Ausnahmespieler führte Deutschland 2003 zuWM-Bronze und 2005 zu EM-Silber.
Trainer Henrik Rödl wiederum gehörte als Spieler zu jener Mannschaft, die bei der Europameisterschaft 1993 den einzigen deutschen Basketball-Titel holte. Er weiß also, wie es geht.