AfD gewinnt dramatisch im Osten dazu – CDU und SPD bleiben aber vorne
Jeder Vierte in Sachsen wählte die AfD, in Brandenburg waren es gut 23 Prozent. Die Rechtspopulisten sind die klaren Gewinner der Landtagswahlen.
Den ersten Platz hat die AfD sowohl in Sachsen wie auch in Brandenburg verpasst. Dennoch konnte die rechtspopulistische Partei bei den beiden Landtagswahlen in Ostdeutschland ihren Stimmenanteil massiv ausbauen. In Sachsen gelang der AfD ein dramatischer Zuwachs von 9,6 auf knapp 28 Prozent, in Brandenburg verdoppelte sie beinahe das Ergebnis von 12,2 auf gut 23 Prozent gegenüber den Wahlen von 2014. Trotzdem blieben die CDU in Sachsen und die SPD in Brandenburg jeweils die stärkste Kraft und werden wohl den künftigen Ministerpräsidenten stellen.
Unter Beobachtern gilt der Wahlausgang als politisches Erdbeben. 80 Jahre nach dem Beginn des von Nazi-Deutschland angezettelten Zweiten Weltkriegs schnellt in den beiden Bundesländern ausgerechnet eine Partei in die Höhe, deren Landesverbände in Sachsen und Brandenburg sich nie von der deutschen Vergangenheit eindeutig distanziert haben. Gewonnen hat die AfD von den Linken, aber auch von CDU und SPD, obwohl sich deren Verluste in ihren jeweiligen Hochburgen in Grenzen hielten. Die CDU fiel in Sachsen von 39,4 auf 32 Prozent, die SPD in Brandenburg von 31,9 auf gut 26 Prozent.
Die Linkspartei, die im Osten auch Proteststimmen auf sich vereinte, musste stark Federn lassen. In Sachsen fiel sie von 18,9, in Brandenburg von 18,6 auf jeweils gut zehn Prozent. Auch sie hat Wähler an die AfD verloren. Die Grünen, die im Osten eher schwach sind, konnten in beiden Bundesländern zulegen. Sie sind die neue bürgerlich-linke Kraft in Sachsen und Brandenburg. Grünen-Chef Robert Habeck sprach von einem„fantastischen Ergebnis“.
Die SPD fiel in Sachsen mit unter acht Prozent auf den tiefsten Stand, den sie jemals bei einer Landtagswahl erzielte. Damit könnte es erneut eine Diskussion um den Verbleib der Sozialdemokraten in der großen Koalition geben, auch wenn die SPD in Brandenburg nach Umfragen in den jüngsten Wochen einen starken Schlussspurt hinlegte. Ministerpräsident Dietmar Woidke betonte, dass Brandenburg trotz der AfD-Gewinne ein „freundliches Gesicht“zeige. Ganz ähnlich formulierte es der Dresdner Regierungschef Michael Kretschmer, der erklärte, das „freundliche Sachsen“habe gewonnen. In Brandenburg erreichte dagegen die CDU eines ihrer historisch schlechtesten Landtagswahlergebnisse.
Auffällig war auch die gestiegene Wahlbeteiligung in beiden Ländern. In Sachsen lag sie bei 65 Prozent (plus 15,9) und in Brandenburg 59 Prozent (plus 11,1).
Das starke Abschneiden der AfD in den beiden Ländern dürfte die Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland weiter vertiefen. Auch innerhalb des Ostens schnitten die Rechtspopulisten vor allem in den Gegenden sehr gut ab, die Bevölkerung verloren haben oder wie die Braunkohleregion im südlichen Brandenburg vor gewaltigen Strukturveränderungen stehen.
In Brandenburg wird es ein neues Bündnis geben, in Sachsen könnte es wegen der rechtlichen Auflagen für die AfD sogar für die bisherige Koalition aus CDU und SPD reichen. In Brandenburg wäre danach ein rot-rot-grünes Linksbündnis oder eine Koalition aus SPD, CDU und Grünen möglich. In Sachsen hätte nach den Hochrechnungen bis zum frühen Abend neben Schwarz-Rot auch Schwarz-Grün eine Mehrheit.
So sehr die AfD in Sachsen und Brandenburg punkten konnte und wegen ihrer teilweise rechtsextremen Ansichten zu Besorgnis Anlass gibt, zeigt sich in beiden Ländern eine starke demokratische Mehrheit. Die Führung in einem der beiden Länder hat die AfD nicht gewonnen, von einer Regierungsübernahme ist sie weit entfernt. Enttäuschung herrscht bei den Liberalen, die ihr Wahlziel eines Einzugs in beide Landtage wohl verpasst haben.
Bei der Landtagswahl in Sachsen hat die CDU Verluste, bleibt aber stärkste Partei vor der AfD, die ein Rekordergebnis erzielt. Die Linke bricht ein, für die SPD ist der Freistaat weiter Diaspora, die Grünen bleiben nach einem nur leichten Plus einstellig.
Für den AfD-Erfolg gibt es viele Gründe: Gewählt wird die AfD aus Protest, Unzufriedenheit oder Überzeugung von Bürgern mit spezifischen Ansichten, die viel Distanz zu Eliten haben, sich oft benachteiligt fühlen und in der AfD eine Kommunikationsplattform sehen. Unter allen Sachsen gibt es an der faktischen Politikkompetenz der AfD aber erhebliche Zweifel. Knapp zwei Drittel lehnen eine Regierungsbeteiligung der AfD ab. Bei der CDU fänden dagegen die meisten Sachsen eine erneute Regierungsverantwortung gut.
Ein Grund hierfür ist zunächst ein starker Spitzenkandidat.
So hat Michael Kretschmer (CDU) mit hervorragendem Ansehen (auf einer Skala von Plus 5 bis Minus 5: 2,3) und einer auch im Ministerpräsidenten-Vergleich sehr guten Leistungsbilanz (gute Arbeit: 78 Prozent) viel Zugkraft. Im Duell CDU- gegen AfD-Spitzenkandidat sind 60 Prozent für Kretschmer und nur zwölf Prozent für Jörg Urban (AfD).
Zwar genießt die CDU in Sachsen weiter die höchste Reputation aller Parteien, hat aber vor Ort Imageverluste. Die Regierungsarbeit der Sachsen-CDU wird jetzt ebenfalls weniger gut bewertet als vor fünf Jahren (+5/-5-Skala: 1,3), aber immer noch deutlich besser als die der SPD (0,5). Die AfD (minus 1,9) bekommt für ihre politische Arbeit schlechte Noten und 63 Prozent sehen in dieser Partei rechtsextremes Gedankengut weit verbreitet. Als Partei hat die AfD ein klares Negativimage, wobei die Sachsen der AfD mit merklich weniger Distanz begegnen als die Wahlberechtigten in anderen Bundesländern. Gewählt wird die AfD von 28 Prozent als Denkzettel und von 70 Prozent wegen ihrer politischen Forderungen. Bun
desregierung und Kanzlerin werden im AfD-Lager sehr kritisch bewertet und für 95 Prozent ihrer Wähler (alle Befragte: 37 Prozent) nennt die AfD als „einzige Partei die wichtigen Probleme beim Namen“.
Klar wichtigstes Thema ist für die AfD-Wähler dabei der Bereich Ausländer, wogegen alle Sachsen inzwischen auch im Bereich Rechte/AfD ein großes Problem ihres Landes sehen. Im Bereich Ausländer erzielt die AfD bessere Kompetenzwerte als die CDU, bei den anderen Top-Themen Bildung/Schule und Infrastruktur gilt die CDU als führend, die Grünen punkten beim Klimaschutz. In der Frage, wer sich am ehesten um die Sorgen der Ostdeutschen kümmert, nennen 20 Prozent die CDU, 21 Prozent die Linke und 19 Prozent die AfD, die hier inzwischen noch stärker als die Linke eine spezifische Klientel anspricht. Unter AfD-Wählern meinen 70 Prozent (alle: 54 Prozent), „die Ostdeutschen werden behandelt wie Bürger zweiter Klasse“. Bei Männern (33 Prozent) ist die AfD dabei wie gewohnt deutlich erfolgreicher als bei Frauen (22 Prozent).
Die CDU profitiert in erster Linie von der Generation 60plus: Hier schafft sie 43 Prozent und die AfD nur 23 Prozent. Bei allen unter 60-Jährigen liegen CDU und AfD nahe beieinander. Die Linke hat bei den ab 60-Jährigen zweistellige Verluste. Mit 13 Prozent liegt sie hier aber noch über dem Schnitt, bei den 30bis 59-Jährigen liegt die Linke darunter. Die AfD verfehlt bei den unter 30-Jährigen mit 22 Prozent ihr Gesamtergebnis, die CDU schafft hier nur 17 Prozent. Die Grünen sind mit 19 Prozent bei den unter 30-Jährigen stark, bei den ab 60-Jährigen schaffen sie nur drei Prozent.
Trotz CDU-Verlusten und starker Polarisierung war dieWahl für die Mehrheit der Sachsen auch ein Votum für politische Kontinuität und gegen AfD-Verantwortung: Während es 56 Prozent richtig finden, dass die CDU eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen hat, möchten 65 Prozent die CDU weiter als Regierungspartei. Eine Regierungsbeteiligung der AfD fänden nur 30 Prozent gut, wofür letztendlich auch fehlendes Politikvertrauen verantwortlich ist: Lediglich 24 Prozent der Sachsen erwarten bessere Politik, wenn die AfD zukünftig I mitregieren würde. n Brandenburg ist es zu großen Bewegungen in der Parteienlandschaft gekommen. Die SPD kann ihre Position als stärkste Partei zwar behaupten, CDU und Linke haben jedoch deutliche Verluste und rutschen hinter die AfD, die bei starken Zugewinnen zweitstärkste Partei wird. Die Grünen können ihr Ergebnis von 2014 nur leicht verbessern.
Mit diesem Ergebnis hat die amtierende Koalition aus SPD und Linke keine Mehrheit mehr. Ihre bisherige Arbeit wird auf der +5/-5-Skala mit mäßigen 0,6 bewertet. Zwar erfährt der amtierende Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) mit Ausnahme der AfD-Anhänger lagerübergreifende Wertschätzung: 64 Prozent aller Befragten bescheinigen ihm eine gute Arbeit als Ministerpräsident. Das ist aber im Vergleich zu anderen amtierenden Landeschefs ein eher mittelmäßiger Wert. Mit 1,6 wird er insgesamt klar positiv, jedoch schlechter als vor fünf Jahren bewertet (2,4). Trotz dieser gesunkenen Popularitätswerte wird Woidke deutlich positiver bewertet als alle anderen bekannten Spitzenpolitiker im Land: Ingo Senftleben von der CDU kommt nur auf 0,7 und Andreas Kalbitz von der AfD auf minus 1,4. Auch die Frage nach dem gewünschten Ministerpräsidenten entscheidet der aktuelle Regierungschef für sich. Stünden Woidke und Senftleben zu Wahl, würden sich 47 Prozent für Woidke und 23 für Senfleben entscheiden. Im Duell Woidke gegen Kalbitz würden sich 52 für Woidke und zwölf Prozent für den AfD-Kandidaten entscheiden.
Eine Mehrheit der Brandenburger findet ihr Land ganz allgemein unzureichend auf die Zukunft vorbereitet (47 Prozent). Bei den in Brandenburg wichtigsten Themen Infrastruktur und Bildung wird der SPD die größte Kompetenz zugeschrieben, wie auch in den Bereichen Wirtschaft und Soziale Gerechtigkeit. Die CDU kann nur beim Thema Arbeitsplätze punkten. In die Grünen wird wie gewohnt beim Klimaschutz das größte Vertrauen gesetzt, die Linke ist bei den Themen Soziale Gerechtigkeit und Sorgen der Ostdeutschen stark. Der AfD wird bei der Ausländerpolitik die größte Kompetenz zugeschrieben.
Allgemein verspricht sich die Mehrheit in Brandenburg nicht viel Inhaltliches von der AfD: 57 Prozent meinen, die Politik in Brandenburg wäre schlechter, wenn die AfD an der Landesregierung beteiligt wäre, nur 23 Prozent erwarten in diesem Fall eine bessere Politik. Die Mehrheit der AfD-Wähler in Brandenburg (53 Prozent) gab als Motiv für ihre Wahlentscheidung an, den anderen Parteien einen Denkzettel verpassen zu wollen und 43 Prozent die Partei wegen ihrer Inhalte zu wählen.
Die AfD hat ihr höchstes Stimmenplus bei Wählern zwischen 30 und 59 Jahren (15 Prozentpunkte) und wird innerhalb dieser Altersgruppen stärkste Kraft. Sie erzielt bei Männern 30 Prozent der Stimmen, bei Frauen 19 Prozent. Bei männlichen Wählern unter 60 Jahren wird die AfD mit Abstand erfolgreichste Partei (34 Prozent) und wie bei vielen Wahlen zuvor, bleibt sie bei über 60-Jährigen vergleichsweise etwas schwächer (18 Prozent). Umgekehrt ist die SPD in dieser Altersgruppe stark und kommt auf 37 Prozent bei leichten Verlusten (minus zwei). Bei allen Wählern unter 60 Jahren verliert die SPD überdurchschnittlich an Zustimmung. Gleiches gilt für die CDU, die bei den unter 45-Jährigen nahezu einbricht und bei den unter 30-Jährigen nur noch neun Prozent erzielt. Die Linke hat bei der Generation 60plus zweistelligeVerluste. Die Grünen sind bei den unter 30-Jährigen mit einem Plus von 13 Punkten auf ähnlichem Niveau wie die AfD.
Unter AfD-Wählern in Sachsen meinen 70 Prozent, „die Ostdeutschen werden behandelt wie Bürger zweiter Klasse“
Eine Mehrheit der Brandenburger findet ihr Land unzureichend auf die Zukunft vorbereitet