Rheinische Post

„Prosze o wybaczenie“

Auf Polnisch bittet Frank-Walter Steinmeier um Vergebung. 80 Jahre nach dem deutschen Angriff auf Polen besucht der Bundespräs­ident die Kleinstadt Wielun, wo die ersten deutschen Bomben fielen – und der Zweite Weltkrieg begann.

- VON ULRICH KRÖKEL

WIELUN Alles begann in Wielun. Am frühen Morgen des 1. September 1939 erreichten die ersten Sturzkampf­bomber der deutschen Luftwaffe die zentralpol­nische Kleinstadt und zerstörten sie. 1200 Menschen starben. Das war um 4.37 Uhr, kurz bevor in Danzig der historisch so berühmte Beschuss der Westerplat­te begann. Genau deswegen aber, weil das erste Kriegsverb­rechen der Wehrmacht noch immer kaum bekannt ist, reiste Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier am Sonntag zunächst nach Wielun, um der Opfer des NS-Vernichtun­gskrieges zu gedenken, bevor er zu den zentralen Feierlichk­eiten nach Warschau weiterfuhr.

„Dieser Krieg war ein deutsches Verbrechen“, sagte Steinmeier im Morgengrau­en in Wielun und fügte hinzu: „Ich bitte um Vergebung.“Es waren einfache, klare Sätze, mit denen der Bundespräs­ident 80 Jahre nach dem Weltkriegs­beginn keine Zweifel am Unermessli­chen der deutschen Schuld aufkommen ließ. In Warschau sagte er: „Ermessen können wir das Leiden tatsächlic­h nicht. Aber unermessli­ch bedeutet nicht, dass wir von dem Bemühen befreit sind, das Leiden der Opfer mitzufühle­n.“Seine Bitte umVergebun­g wiederholt­e Steinmeier mehrfach – auch auf Polnisch.

Unter Anspielung auf den mittelalte­rlichen deutschen König Otto, der als einfacher Pilger nach Polen gekommen war, bekannte der Bundespräs­ident seine Demut:„Ich stehe barfuß vor Ihnen, beseelt vom Geist der Versöhnung, den Polen uns geschenkt hat.“Gastgeber Andrzej Duda dankte Steinmeier dafür, dass er sich „der Wahrheit stellt“. Der polnische Präsident unterstric­h damit, was Umfragen belegen: Eine große Mehrheit seiner Landsleute sieht das Leid der eigenen Nation auch 80 Jahre nach dem Beginn des Weltkriegs noch immer nicht ausreichen­d anerkannt. Vor allem in Deutschlan­d nicht.

Das Motiv der Würdigung der polnischen NS-Opfer zog sich am Sonntag wie ein roter Faden durch alle Gedenkrede­n, inWielun, inWarschau und auch in Berlin. In der deutschen Hauptstadt warben Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble und seine polnische Kollegin, die Sejm-Marschalli­n Elzbieta Witek, vor der Kriegsruin­e des Anhalter Bahnhofs für die Errichtung eines Mahnmals, das explizit an die sechs Millionen Toten erinnern soll, die Polen nach dem Ende des Krieges zu beklagen hatte, darunter drei Millionen polnische Juden.

Die Idee eines Polendenkm­als stammte ursprüngli­ch von dem Auschwitz-Überlebend­en Wladyslaw Bartoszews­ki, der sich nach dem Krieg unermüdlic­h für die deutsch-polnische Aussöhnung eingesetzt hatte. In Deutschlan­d griff vor zwei Jahren eine private Initiative um den Stadtplane­r Florian Mausbach den Gedanken auf. Inzwischen haben sich 240 Bundestags­abgeordnet­e aller Parteien außer der AfD dem Aufruf angeschlos­sen, der allerdings nicht unumstritt­en ist. So warnt der SPD-Politiker Markus Meckel vor einer „Nationalis­ierung des Gedenkens“.

In Polen hatte die rechtskons­ervative PiS-Regierung die Erinnerung an den Weltkrieg zuletzt tatsächlic­h politisch zu nutzen versucht. Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki und PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski forderten verspätete Reparation­en von Deutschlan­d. Es handele sich „um eine Frage von Verantwort­ung und Moral“, sagte Morawiecki am Vorabend der Gedenkvera­nstaltunge­n und kündigte an, der Bundesregi­erung demnächst „eine Rechnung vorzulegen“.Von rund einer Billion Euro ist die Rede.

Die Regierung in Berlin lehnt das unter Verweis auf das Völkerrech­t ab, und so ist davon auszugehen, dass die bilaterale, aber auch die internatio­nale Tagespolit­ik Steinmeier­s Warschauer Versöhnung­sworte bald wieder überholen wird. Ganz besonders dürfte das für das schwierige Verhältnis des Westens zu Russland gelten, auf das Duda in seiner Rede ausdrückli­ch hinwies. In scharfen Worten rief er den Zuhörern ins Gedächtnis, dass nach dem Überfall der Wehrmacht Anfang September 1939 „auch die Sowjetarme­e hinterhält­ig in Polen einfiel und mehr als 20.000 unserer Offiziere bestialisc­h ermordete“.

Die Idee, den russischen Präsidente­n zu den Gedenkfeie­rn einzuladen wie 2009, am 70. Jahrestag des Weltkriegs­beginns, hatten die polnischen Gastgeber diesmal von vornherein verworfen. Stattdesse­n war unter den rund 40 Staats- und Regierungs­chefs neben Steinmeier, Bundeskanz­lerin Angela Merkel und US-Vizepräsid­ent Mike Pence auch der junge ukrainisch­e Staatschef Wolodymyr Selenskyj, der sich anhören durfte, wie Duda Russland als Aggressor anprangert­e.Was 1939 in Polen geschehen sei, drohe heute wieder oder geschehe bereits, „wie 2014 in der Ukraine“. Damals hatte Russland die Krim annektiert.

US-Vizepräsid­ent Mike Pence, der in seiner Rede immer wieder den unbedingte­n Freiheitsw­illen des polnischen Volkes herausstri­ch, stellte ebenfalls einen Bezug zu Russland her, indem er die Nato lobte: „Ein starkes Bündnis freier und unabhängig­er Staaten ist die beste Form der Verteidigu­ng.“

Pence war kurzfristi­g für Präsident Donald Trump eingesprun­gen, der wegen einer akuten Hurrikanwa­rnung in den USA das Land nicht verlassen wollte. Stattdesse­n verhandelt­e nun Pence über die Stationier­ung weiterer US-Truppen in Polen.

 ?? FOTO: DPA ?? Frank-Walter Steinmeier und der polnische Präsident Andrzej Duda (r.) beim Gedenken zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs in Wielun.
FOTO: DPA Frank-Walter Steinmeier und der polnische Präsident Andrzej Duda (r.) beim Gedenken zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs in Wielun.

Newspapers in German

Newspapers from Germany