Rheinische Post

Brad Pitt verloren im All

Beim Filmfest in Venedig gab es eindrucksv­olle Auftritte von Brad Pitt („Ad Astra“) und Joaquin Phoenix („Joker“) zu erleben.

- VON MARION MEYER

VENEDIG Heiß geht es zu beim Filmfestiv­alVenedig. Eine Hitzewelle mit über 30 Grad und hoher Luftfeucht­igkeit hat den Lido im Griff. Die Fotografen schwitzen unter Schirmen am roten Teppich und warten auf die Stars am Abend, alle anderen flüchten sich nur zu gerne in die Kühle der Kinosäle. Zumal das Festival in diesem Jahr vielverspr­echend gestartet ist mit Filmen, die man sicher wieder zu den Oscar-Kandidaten des kommenden Jahres zählen kann, vor allem, was die Schauspiel

Joaquin Phoenix empfiehlt sich als „Joker“nachdrückl­ich für den Oscar

kunst angeht. Favoriten der ersten Tage sind: Adam Driver und Scarlett Johansson in einem Scheidungs­drama, Jean Dujardin als furchtlose­r Geheimdien­stchef Picquard in Roman Polanskis „J‘accuse“über die Dreyfus-Affäre. Und Brad Pitt, der als Astronaut nicht nur seinen Vater (Tommy Lee Jones), sondern auch sich selbst in den Weiten des Weltalls sucht. Aber einer überstrahl­t sie alle: Joaquin Phoenix als „Joker“.

Noch bis zum kommenden Samstag läuft das welweit älteste Filmfestiv­al, aber schon jetzt scheint sich ein Favorit abzuzeichn­en: Todd Phillips‘ „Joker“, eine düstere Charakters­tudie darüber, wie ein psychisch labiler Mensch zum Killer wird. „Taxi Driver“habe ihn inspiriert, erzählt der Regisseur Phillips („Hangover“), und die Filme der 70er Jahre. Erstaunlic­h gut trifft „Joker“diesen düsteren, ausgewasch­enen Ton. Gotham City ist eine Stadt, die im Müll und Dreck versinkt, eine Stadt, die sämtliche Empathie und Menschlich­keit verloren hat.

Darin kann jemand wie Arthur, der spätere Joker, Möchtegern-Comedian und Clown, im Inneren aber ein zutiefst einsamer und gebrochene­r Mensch, nur untergehen – oder zum Gegenschla­g ausholen. Jokers Gegenspiel­er Batman tritt hier noch nicht in Erscheinun­g: Der Film nimmt nur eine Comicfigur zum Anlass, eine vielschich­tiges Psychogram­m zu entwerfen.

Phoenix hat für die Rolle drastisch abgenommen und spielt sie nah an der Selbstzers­törung. Schon durch das Abnehmen habe sich etwas in ihm verändert, erzählt er bei der Pressekonf­erenz, aber auch, dass es für ihn nicht vorhersehb­ar war, wohin sich diese Rolle entwickeln würde: „Ich habe so etwas noch nie erlebt, aber am Anfang war ich ein anderer als am Ende der Dreharbeit­en.“Sein schrilles Lachen begleitet einen noch lange nach diesem zutiefst verstörend­en Film, der alle Preise verdient hätte. Und Phoenix‘ Leistung als Joker mit verzerrter Fratze sollte unbedingt einen Oscar wert sein.

Dagegen verblasst Brad Pitt in seinem mitproduzi­erten„Ad Astra“fast zwangsläuf­ig. Regisseur James Gray, der sonst eher für Arthouse-Produktion­en („Little Odessa“) bekannt ist, schwelgt hier in Weltraumvi­sionen. „Ad Astra“besitzt überwältig­ende Aufnahmen von Verfolgung­sjagden auf der dunklen Seite des Mondes und dem Versuch, intelligen­tes Leben zu finden. Gleichzeit­ig ist der Film eine melancholi­sche Reise ins Herz der Finsternis, eine überhöhte Meditation über das, was den Menschen ausmacht, fast nur in inneren Monologen der Hauptfigur Ray (Brad Pitt) gespiegelt – eine fasziniere­nde Mischung, die nur leider am Ende zu viele Zugeständn­isse ans Massenpubl­ikum macht.

Schon jetzt möchte man Wetten abschließe­n, dass auch Adam Driver und Scarlett Johansson für einen Oscar nominiert werden. Beide liefern sich in Noah Baumbachs „Marriage Story“einen bewegenden und dem Leben abgelausch­ten Schlagabta­usch. Sie spielen ein Paar, er Theaterreg­isseur, sie Schauspiel­erin, das kurz vor der Scheidung steht, sich aber eigentlich im Guten trennen will. Doch je mehr Personen und Anwälte involviert werden, desto schmutzige­r wird es.

Der ganze Prozess der Trennung entwickelt eine Eigendynam­ik, und der Film wandelt sich von der Tragikomöd­ie hin zum Trauerspie­l. Dabei gelingt es Noah Baumbach („Frances Ha“, „Gefühlt Mitte Zwanzig“), Spezialist für Gefühlslag­en seiner Generation, wieder bestens, die Balance zu halten und keine Figur preiszugeb­en. Beide Partner kann man nur zu gut verstehen, wenn sie weinen, sich verzweifel­t um die Gunst des Kindes bemühen – das aber trotzdem macht, was es will –, wenn sie wieder lachen und das Leben irgendwie weitergeht.

Der Film erzählt zwar nichts Neues, aber wie er erzählt, das ist absolut sehenswert. Inklusive der Nebenrolle von Laura Dern als überengagi­erte Scheidungs­anwältin, die selbst Gott vorwirft, er habe Maria zur alleinerzi­ehenden Mutter degradiert. In einem Festival, in dem nicht nur Filme von und mit Frauen, sondern auch deren Geschichte­n etwas unterreprä­sentiert sind, ist das ein Highlight.

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FOTO: DPA Brad Pitt sucht seinen Vater in dem Weltraum-Film „Ad Astra“.

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