Pingpong der Stile
In unserer Serie beschäftigen wir uns heute mit der Stilvielfalt eines Kunstwerks.
Eklektizismus ist legalisierte Kleptomanie. Man klaut mitVorsatz, aus unbeherrschbarem Trieb – und wird nicht zur Rechenschaft gezogen.
Man kann es auch milder formulieren: Da fließen Stile zusammen, es kommt zu Begegnungen, Verschmelzungen, Ergänzungen. Jeder große Komponist ist irgendwann mal eklektisch, Mozart lässt sich türkisch inspirieren im „Rondo alla turca“. Strawinskys Neoklassizismus ist ein generationenübergreifendes Pingpong der Stile. Bei Johann Sebastian Bach zeigen sich italienische und französische Spurenelemente. Und dem großen Claudio Monteverdi glückt in seiner „Marienvesper“jene Form von Eklektizismus, die fast schon ans Crossover reicht: Renaissance-Polyphonie, die noch aus der Gregorianik widerhallt, paart sich mit dem virtuos konzertanten Stil des Frühbarock.
In seinen besten Erscheinungsformen ist Eklektizismus eben nicht träger Stillstand, nicht wahllose Selbstbedienung, sondern Aufbruch in die Zukunft. Oder es ist eine bewusste Haltung, wie sie der Postmoderne innewohnt: als bewusstes Sammeln, Zitieren, Integrieren. Komponieren beinhaltet gerade in unserer Zeit das souveräneVerfügen über zahllose frühere, abgeschlossene Stile, es ist letztlich eine Art Schöpfen aus der Musikgeschichte wie aus einer Cloud. Man kann es auch Collage nennen.
Wer auf kleinerem Raum eklektisch verfährt, begeht auch schon mal ein Plagiat – wenn er anderswo einen Melodieschnipsel klaut und seinem neuen Song einspeist. Davon leben Rechtsanwälte und Urheberrechtsprozesse.
In Kunst und Architektur gibt es genügend Beispiele, dass das „Eklektos“(griechisch für: das Ausgewählte) eine fruchtbare Nachbarschaft von Einflüssen und Stilen, aber auch ein schrecklicher Mischmasch sein kann. Wer je im herrlichen Hauptbahnhof von Antwerpen ankam und sich auf den turmhohen Fluren und beim Verlassen reckte und umdrehte, der durfte mit ein bisschen optischem Feinsinn ins Staunen geraten – wie sich Byzantinismus, Neogotik und Jugendstil in dieser „Eisenbahn-Kathedrale“famos mischen. Und auch das römische Pantheon lässt grüßen.
Wie es sich für den Eklektizismus geziemt, gibt es keine formalen Grenzen. Zeitlich kann man ihn sowieso nicht einordnen. Zudem reihen sich andere Ismen nahtlos ein, etwas der Historismus oder der Exotismus. In jedem Fall ist Eklektizismus das Gegenteil von Purismus. Der kann bezwingend in seiner Reinheit sein – aber auch schrecklich langweilig.
Der manchmal gescholtene Eklektiker in den Künsten war und ist inWahrheit ein Bonvivant des Geistes, ein Grenzgänger, ein Schmecklecker.