Rheinische Post

Kleine literarisc­he Weltreise am Rande der Zeltstadt

- VON KATHERINE HEMKEN

Unterm Zeltdach sind gelbe Campingstü­hle auf dem Rasen platziert. Er ist gesprenkel­t mit braunen Erdflecken. Der Wind säuselt, im Hintergrun­d dröhnt eine unverständ­liche Stimme durch einen Lautsprech­er. Man fühlt sich ein wenig abgeschott­et hier am Rande des Campfire-Festivals vor dem Landtag, aber trotzdem füllen sich allmählich die Sitze, während Sofia Magdits neben dem Tisch vorne ein melancholi­sches Stück auf dem Saxophon spielt.

Sofia Magdits ist nicht bloß Musikerin, sondern auch Schreiberi­n im Writers’ Room – so wie die anderen Autoren des Tages. Für diese Schriftste­ller ist Deutschlan­d die zweite Heimat, sie sind mit Persisch, Türkisch oder Arabisch aufgewachs­en. Für diese Veranstalt­ung schrieben sie übers Grundgeset­z.

Yasemin Doganbey aus der Türkei nahm sich des Artikels 5 in einem Essay an. Sie war Augenzeugi­n, wie nach dem Putschvers­uch 2015 Journalist­en verfolgt und in die Schatten getrieben wurden. Seit 2016 lebt sie in Deutschlan­d.„Ich fühle mich hier frei“, sagt sie und wünscht sich, dass es so bleibt.

Salah Ngab ließ in seinem Gedicht „Artikel 11: Der Ausweg“seinen Vater zu Wort kommen, der ihn in Libyen warnt: „Du gehörst nicht zu diesem Land. Du musst weg“. Seine Worte rühren, sind prägnant, obwohl Deutsch seine Zweitsprac­he ist. Nur einmal kommt er beim Vorlesen ins Holpern, „Miteo..“, Maren Jungclaus, Leiterin des Literaturb­üros NRW, sagt ein: „Meteorit!“. Er bedankt sich und gibt das Wort zurück an seinen Vater, der ihm sagt, „Das Universum, mein Sohn, besitzt keinen Pass“.

Rührend ist auch die Erzählung von Samer Al Najjar, der seit fünf Jahren Deutsch spricht und die Sprache nun studiert. In „Artikel 8: Eine Geschichte zum Syrienkrie­g.“erzählt er, wie aus einem „friedliche­n Protest ein Völkermord wurde“. Freunde verschwand­en, und niemand wollte sie mehr gekannt haben.„Klar, Angst mach alles möglich,“erzählt er. Man hört die Wut in seiner Stimme, während er sich erinnert, wie der Tod zur Alltäglich­keit wurde.

Die Texte erinnern nicht nur an die Zerbrechli­chkeit unserer Rechte, sondern auch an die Wichtigkei­t der Stimmen, die andere Blicke auf die Welt herantrage­n. Daher gibt es im Anschluss eine entspannte­re Veranstalt­ung, in der Writers’-Room-Mitglieder Bücher aus ihren Mutterspra­chen vorstellen, die sie für literarisc­h wichtig halten. Nicht alle davon sind bisher ins Deutsche übersetzt. Dazu sagte Maren Jungclaus: „Es ist schade, wie wenige ausländisc­he Klassiker in Deutschlan­d bekannt sind.“

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