Durs Grünbein erkundet Träume
Der Schriftsteller las im Heine-Haus aus seinem neuen Essay-Band.
Für Durs Grünbein ist ein Abend in der Literaturhandlung Müller & Böhm immer auch ein Besuch zu Hause. Er selbst kann nicht mehr sagen, wie oft er bereits dort eingeladen war. Jetzt ist der 1961 in Dresden geborene Lyriker und Essayist, der an der Kunstakademie als Professor für Poetik lehrt, mit seiner Aufsatzsammlung„Aus der Traum (Kartei)“in die Bolker Straße gekommen. Und hat trotz sommerlichenWetters wieder für ein volles Haus gesorgt. Der Titel des voluminösen Bandes kann auf zweierlei Weise gelesen werden. Da ist einmal die Ernüchterung, aus einer unwirklich schönen Lebensvorstellung zurück in die Realität katapultiert zu werden. Zum anderen ganz praktisch der Rückgriff auf ordentlich gesammelte Notizen zu einem Thema, das seit Sigmund Freud mit akademischem Kultstatus behängt wird.
Für seine Lesung im Heine-Haus hatte sich Grünbein eine besondere Dramaturgie ausgedacht. Immerhin galt es, den Zuhörern Appetit auf eine Sammlung von 50 teilweise langen Texten zu machen. Spielerisch sollte das geschehen, beinahe nebensächlich sollten die präsentierten Arbeiten die ästhetische Selbstverortung ihres Autors deutlich machen. Seit seiner Lektüre von Sigmund Freud spielt der Traum für den Lyriker eine besondere Rolle. „Stellen wir uns einmal vor, die Außerirdischen würden nachts auf die Erde schauen“, begann einer der ersten Texte des Abends. Und bald staunte man mit Grünbein gemeinsam über eine Menschheit, die ein Drittel ihres Lebens schlafend, in der Haltung von Toten„verschwendet“. Dass sie aber vielleicht aus ihren Träumen unermesslichen Gewinn für den Wachzustand ziehen, kann man mit Blick aus dem Weltall nicht erkennen.
Diesem und anderen Texten zum Thema merkte man Durs Grünbeins intensive Beschäftigung mit der „Wahrheit“des Traums und der Erkundung seiner Nähe zur Lyrik an. Auch den zweiten Teil des Essay-Bandes mit autobiografischen Texten zu seinem Leben in der DDR streifte er schließlich mit einer Traum-Episode.
Dann aber musste es trotz Auftritt im Heine-Haus übergehen zu Goethe und dessen „Italienischer Reise“. Also nach Rom, wo der Dichterfürst 1786 einen „Fasanentraum“voller erotischer Anspielungen beschrieb, und wo Grünbein einen Teil des Jahres verbringt. Und wo er die Pinie als Symbol des Südens so sehr verehrt, dass er dem Anfangsbuchstaben des Baums lauter lustige Alliterationen widmet und vor Ort seit kurzem dem Verein der „Amici dei Pini“beigetreten ist.
Schöner Mitgliedsausweis inklusive.
Info Durs Grünbein: „Aus der Traum (Kartei). Aufsätze und Notate“, Suhrkamp-Verlag, 573 S., 28 Euro