Anklage nach Stoß vom S-Bahnsteig
In Freiburg wird gegen einen gebürtigen Kölner verhandelt, der im Juli 2017 einen 73-Jährigen in Unterrath auf die S-Bahn-Gleise gestoßen haben soll. Er leidet unter Wahnvorstellungen, ist in der Psychiatrie.
In Freiburg wird gegen einen Mann verhandelt, der im Juli 2017 einen 73-Jährigen in Unterrath auf die S-Bahn-Gleise gestoßen haben soll.
Werner P.* hatte Glück im Unglück, als er am 24. Juli 2017 im S-Bahnhof Unterrath vom Bahnsteig auf die Gleise gestoßen wurde. Mehrere Helfer brachten den 73-Jährigen in Sicherheit, bevor die nächste Bahn einfuhr. Ein Milzriss, Verletzungen im Gesicht und ein Beckenbruch belegten hinterher die Schwere des Angriffs auf P., der am Freitag im Freiburger Landgericht gehört werden soll. Angeklagt ist dort der Mann, der P. das angetan haben soll. Holger M.* (50) sitzt zurzeit in der forensischen Abteilung der Psychiatrie in Emmendingen. Er ist ein Mann mit einer bewegten Vergangenheit, zumindest wenn man dem Lebenslauf Glauben schenkt, den Verteidiger Björn Seelbach aus Bonn im Namen seines Mandanten beim Prozessauftakt am Mittwoch vortrug. Demnach war der geborene Kölner bereits EDV-Berater, Aufnahmeleiter beim Fernsehen und verkaufte Holzengel auf Märkten. Er hat diverse Studiengänge angefangen, galt in der Schule als hochbegabt.
Vor allem aber war und ist er ein Tulku, ein Lehrmeister im Buddhismus, der alsWiedergeburt eines früheren Lehrmeisters lebt. „Tulkus werden krank, wenn man sie nicht als solche anerkennt“, betont M., der in den 90er Jahren zum Studium nach Freiburg kam, weil es da so schön ist, wie er sagt. Holger M. ist ein kranker Tulku, er leidet an Schizophrenie, schon seit Jahren, immer wieder. Häufig war er in der Psychiatrie. In Emmendingen sei er zwangsweise behandelt und fixiert worden. Und das, so der 50-jährige auf die Frage des psychiatrischen Gutachters Wolfgang Dittmar, sei auch der Grund, dass er nicht mehr dem buddhistischen Gebot der Gewaltfreiheit habe folgen können. Er habe „das nicht mehr puffern können“, so der Mann, der aus Sicht von Staatsanwalt Matthias Rall eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt und auf unbestimmte Zeit in der Psychiatrie untergebracht werden soll.
Denn der Angriff auf Werner P. ist nicht die einzige Straftat, die Holger M. vorgeworfen wird. Rund 50 Punkte umfasst die Anklage. Die meisten davon sind Zechprellereien. Dazu kommenWiderstandsdelikte gegen Vollstreckungsbeamte, ein exhibitionistischer Auftritt vor einer Ärztin in der Psychiatrie, Betrug und Diebstahl. Aber es sind eben auch schwere Gewalttaten dabei: der Angriff in Düsseldorf, eine Attacke auf einen Mitgefangenen, den H. fast erwürgt hätte, und ein angeblicher Angriff mit dem eigenen Auto auf den Wagen zweier Männer, die ihm vor vier Jahren keine Zigarette geben wollten. Die meisten Delikte räumt Holger M. ein, vor allem die Zechprellereien. Er sei„kein Unschuldslamm“, so der Mann. Deshalb habe er sich selbst nun auch dazu verpflichtet, seine Medikamente gegen die Schizophrenie zu nehmen. Er spüre, dass ihm das helfe. Zu den schwereren Taten habe sein Mandant aber„eine andere Sicht der Dinge“, so Verteidiger Seelbach. So sei der Angriff mit dem Auto in Wirklichkeit ein Versehen gewesen, als dem Angeklagten der Fuß von der Kupplung gerutscht sei. Und auch die Attacke aufWerner P. sei „nur ein Reflex“gewesen, als dieser dem geistig verwirrten Holger M., der barfuß unterwegs gewesen sei, versehentlich fast auf den Fuß getreten sei, so Seelbach am Rand derVerhandlung. Mitte Oktober soll in dem Fall ein Urteil oder ein Beschluss ergehen.