Krachende Niederlage für Johnson
Das britische Parlament beschließt ein Gesetz gegen den Brexit ohne Vertrag. Womöglich muss die Frist zum EU-Austritt verlängert werden. Regierungschef Johnson beantragt Neuwahlen.
LONDON (dpa/rtr/wit/qua) In einem dramatischen Showdown hat die Opposition am Mittwoch im britischen Unterhaus den ersten Schritt geschafft, einen No-Deal-Brexit zum
31. Oktober zu verhindern. Eine entsprechende Gesetzesvorlage hat das Parlament in Westminster mit 327 zu 299 Stimmen verabschiedet. Danach wird Premierminister Boris Johnson gezwungen, die EU um eine weitereVerschiebung des aktuellen Brexit-Datums vom 31. Oktober auf den 31. Januar des nächsten Jahres zu bitten, falls es zum
19. Oktober keinen Austrittsvertrag gibt. Damit das Gesetz in Kraft treten kann, muss auch das Oberhaus zustimmen. Hier werden heftige und zeitraubende Debatten erwartet.
Das neue Gesetz versperrt Johnson den Weg: Der Premierminister fordert einen Ausstieg aus der Europäischen Union zum 31. Oktober, und zwar unter allen Umständen. Im Gegenzug beantragte der britische Regierungschef noch am Abend Neuwahlen am 15. Oktober. Dafür benötigt er aber eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments. Die Opposition zeigt sich jedoch zögerlich, weil sie fürchtet, Johnson könnte den Wahltermin nachträglich auf einen Termin nach dem EU-Austritt verschieben, um doch noch einen Brexit ohne Abkommen zu erreichen. Bei einem Brexit ohne vorheriges Abkommen mit der EU werden große Schäden für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche befürchtet.
Die Briten hatten sich 2016 in einem Referendum für einen Brexit ausgesprochen. Johnsons Vorgängerin Theresa May hat mit der EU einen Brexit-Vertrag ausgehandelt. Dieses Abkommen wird allerdings wegen der Regelungen zur Gestaltung der Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland ebenso von Johnson wie zuletzt auch von einer Parlamentsmehrheit abgelehnt. Die EU will den Vertrag nicht wieder aufschnüren.
Schon am Dienstag hatte Johnson eine Niederlage kassiert. Eine Rebellen-Allianz aus Opposition und 21 Mitgliedern der Regierungsfraktion hatte das Recht erstreiten können, ein Gesetzgebungsverfahren gegen den No-Deal-Brexit einzuleiten. Johnson reagierte umgehend mit aller Härte: Er warf die Rebellen aus der Fraktion. Insgesamt 21 langjährige und verdiente Tory-Abgeordnete wurden dabei vor die Tür gesetzt, darunter zwei ehemalige Schatzkanzler und neun Ex-Minister. Mit Nicholas Soames schloss Johnson sogar den Enkel von Winston Churchill aus.
Johnson kritisierte das Unterhaus, weil es mit dem Votum seine Verhandlungsposition in Brüssel unterlaufe. Labour-Chef Jeremy Corbyn warf dem Premier vor, gar nicht wirklich zu verhandeln, sondern nur Zeit verstreichen zu lassen. Die Zeit machte Johnson zusätzlich knapp, indem er dem Parlament von kommenderWoche bis zum 14. Oktober – also nur gut zweiWochen vor dem geplanten Brexit-Datum – eine Zwangspause verordnet habe. Eine Klage dagegen wies ein Gericht in Schottland ab.
Im deutschen Parlament wurde die Entwicklung in London mit Erleichterung aufgenommen.„Ich begrüße es, dass sich ein Teil der Tory-Abgeordneten gegen Johnson gewandt hat. Es handelt sich um respektable und erfahrene Persönlichkeiten, die sich ihre Entscheidung bestimmt nicht leicht gemacht haben“, sagte der Vorsitzende der deutsch-britischen Parlamentariergruppe Andreas Lenz (CSU) unserer Redaktion. Es müsse viel passieren, dass sich eine so große Zahl der Torys gegen die Regierung stelle.