Im Windkraft-Dilemma
NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart (FDP) will einerseits die Windkraft-Kapazitäten verdoppeln. Andererseits erlässt er ein Abstandsgebot für neue Anlagen – aus Sorge vor Widerstand. Dabei ist die Akzeptanz größer als gedacht.
Er ist rot-braun, so groß wie ein Mäusebussard und inzwischen fast so etwas wie ein Symbol des Widerstands. Immer wenn es um den Bau neuer Windräder geht, schlägt irgendwann seine Stunde. Die Stunde des Rotmilans. Brütet der bedrohte Greifvogel in der Nähe, kann dies das Aus für ein neues Windkraft-Projekt bedeuten. So sehr fürchten die Betreiber von Windrädern das seltene Tier, dass sie sich mitunter allerlei einfallen lassen, um ihn fernzuhalten: Lautsprecher-Anlagen zum Beispiel, die den Vogel mit regelmäßigem Krach abschrecken sollen. Meist sehr zum Ärger der Anlieger.
An diesem Nachmittag im Landtag dauert es keine zehn Minuten, bis die Sprache auf den Rotmilan kommt.Wissenschaftler undVerbandsfunktionäre haben sich versammelt, um über die Zukunft derWindkraft in NRW zu diskutieren. Vor allem darüber, wie es um die Akzeptanz für neue Windräder im Land tatsächlich bestellt ist. Denn NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hatte kürzlich ein Gesetz durchgesetzt, wonach neue Windräder einen Mindestabstand von 1500 Metern zu Wohnsiedlungen einhalten müssen. Begründet hatte er die Novelle damit, dass der Widerstand in der Bevölkerung wachse. Die Grünen wollten dieses Argument der Landesregierung so nicht hinnehmen – und beantragten deshalb, Experten zu befragen.
Einer von ihnen ist Hubertus Nolte vom Regional-Bündnis Windvernunft aus Paderborn, einerWindkraft-Boomregion. Jeden Tag hat er mit Vorbehalten von Bürgern gegen neue Anlagen zu tun. Für unüberwindbar hält er sie nicht. Politiker hätten sich in der Vergangenheit nur oft sehr ungeschickt vor Ort verhalten: „Die Beteiligung der Bürger war oft nur eine Schein-Beteiligung“. Man müsse die Leute von Beginn an über neue Projekte genau in
formieren und sie einbeziehen, damit sie die Planungen nachvollziehen könnten. Es reiche nicht, nur eine Fachkraft abzustellen. Nolte lobte, dass Minister Pinkwart kürzlich zusammen mit lokalen Landtagsabgeordneten dem Paderborner Land einen Besuch abstattete, um mit den Bürgern in den Dialog zu treten. Eine grundsätzlich ablehnende Haltung sieht Nolte bei den meisten Betroffenen nicht. Zwar gebe es Klagen. Von 39 Verfahren in Paderborn habe aber nur in einem Fall ein Anwohner geklagt. Fast ausschließlich seien es die Investoren, die klagten, etwa weil sie bestimmte Auflagen nicht erfüllten. „Da wird ein verzerrtes Bild gemalt“, sagte Nolte.
Die Aussage deckt sich im wesentlichen mit Erkenntnissen des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung: Die weitere Umsetzung der Energiewende und damit der Ausbau derWindkraft seien von der Bevölkerung nach wie vor gewünscht, auch wenn es vor Ort zum Teil Akzeptanzprobleme gebe.„Auch weil sehr viele Standorte nötig sind, was die Zahl der Konflikte potenziert“, sagt Fraunhofer-Forscherin Elisabeth Dütschke. Geräusche und Schattenschlag zählten dabei zu den häufigsten Problemen. Und dann übt sie kaum verhohlen Kritik an Pinkwarts Abstandsgebot: „Es ist davon auszugehen, dass pauschale Reglungen, wie etwa zum Mindestabstand, zu kurz greifen und den Ausbau eher erschweren, zumal hierdurch auch aus Sicht der Bevölkerung akzeptable Standorte verhindert werden können.“Denn auch durch ein Abstandsgebot lasse sich das Problem visueller Beeinträchtigungen nicht lösen, daWindräder auch über größere Entfernungen sichtbar sein könnten. Klare Belege, mit welchen Strategien die Akzeptanz erhöht werden kann, gebe es aber bisher nicht.
Die Abstandsregelung führt die Landesregierung auch noch in anderer Hinsicht in ein Dilemma: Einerseits will Pinkwart die Windkraft-Kapazitäten in den nächsten fünf Jahren verdoppeln, um auf dieseWeise die Klimaziele zu erreichen und den wegfallenden Strom aus den Energieträgern Braun- und Steinkohle zu kompensieren. Andererseits stoppt die eingeführte Abstandsregelung weitgehend den Bau neuer Windräder. Und das, obwohl der Ausbau derWindkraft zuletzt ohnehin stark rückläufig war: Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden in Nordrhein-Westfalen nur noch 14 neue Windräder mit einer Leistung von insgesamt 42 Megawatt errichtet. Das entspricht laut Landesverband Erneuerbare Energien einem Einbruch um mehr als 80 Prozent im Vergleich zu den Vorjahreszeiträumen 2017 und 2018.
Die neue Abstandsregelung im Landesentwicklungsplan bringt zudem rechtliche Unsicherheiten für die Kommunen mit sich, da zugleich auch Bundesrecht anzuwenden ist.„Die Kommunen fühlen sich vor Ort allein gelassen und sind zum Teil mit den neuen Regelungen überfordert“, sagt Dirk Jansen vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Einige würden bereitsVersicherungen abschließen, um sich gegen etwaige finanzielle Risiken abzusichern. Auch dies fördere nicht gerade die Akzeptanz für neue Windräder. „Es braucht auf Landesebene klare Regelungen.“Anders als in anderen Bundesländern gebe es in NRW zudem keine standardisierten Verfahren für die Genehmigung vonWindenergieanlagen.
Um die Gemeinden für den Bau neuer Anlagen zu gewinnen, schlägt der Verband BDEW wie auch Wissenschaftler etwa des Agora-Instituts vor, die Kommunen als Investoren an deren Gewinnen zu beteiligen. „Sozialwissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass solche Beteiligungsstrukturen die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung erhöhen können“, urteilt das Fraunhofer-Institut. Die Forscher geben aber gleichzeitig zu bedenken, dass durch solche monetären Anreize ideelle Motive verloren gehen könnten.
Zum Beispiel das Bewusstsein, mit einemWindrad einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
„Die Beteiligung der Bürger war oft nur eine Schein-Beteiligung“ Hubertus Nolte Regional-Bündnis Windvernunft Paderborn