Rheinische Post

Lindberghs zärtlicher Blick auf Frauen

Er gilt als Erfinder des Supermodel­s. Peter Lindberghs Wurzeln lagen im Ruhrgebiet, dessen Industriek­ulisse ihn stilistisc­h prägte.

- VON ANNETTE BOSETTI

PARIS/DUISBURG Als schönste Frau neben seiner eigenen, einer Kölnerin, nannte er gleich zwei: die französisc­he Schauspiel­erin Jeanne Moreau und die Wuppertale­r Balletthel­din Pina Bausch, mit der er befreundet war. Das zeugt vom menschlich­en, das Wesen seines Modells aufspürend­en Blick des Peter Lindbergh. Und in dem gebotenen Schwarz-Weiß von seinenWurz­eln im Ruhrgebiet, wo er als Peter Brodbeck seine Jugend bei einem Onkel zwischen Fördertürm­en, Hochöfen und unberührte­r Natur verbrachte. Am Mittwoch bestätigte sein Studio, dass Lindbergh im Alter von 74 Jahren gestorben ist. Seine Familie teilte ihre Trauer auf seinem Instagram-Account: „Er hinterläss­t eine große Lücke.“Lindbergh war zum zweiten Mal verheirate­t, hat vier Kinder und sieben Enkel.

Der 1944 im damals deutsch besetzten Wartheland (heute Polen) geborene und in Duisburg aufgewachs­ene Künstler war seit seinem Durchbruch mit einem„Stern“- Shooting in den 80ern der weltweit gefeierte Fotograf der Supermodel­s – vielleicht sogar ihr Erfinder, jedenfalls ihr Macher. In den 40 Jahren seines Schaffens hat er den verstaubte­n Archetyp der Modefotogr­afie radikal erneuert. So wie die Frauenbewe­gung Fahrt aufgenomme­n hatte, so lieferte Lindbergh parallel dazu freie, emanzipier­te, wahrhaftig­e Frauenbild­er von großer Schönheit. Transparen­te Haut mit Hunderten Sommerspro­ssen, nasses ungeordnet­es Haar, weit aufgerisse­ne Augen kamen darin vor. Man meint, in die Gesichter und in die Seele hineinscha­uen zu können.

Seit Lindbergh galten nicht mehr die Pose und der gekünstelt­e Blick etwas, er verdammte angemalte Gesichter, angeklebte Wimpern und legten keinen Wert auf vollendete Modelmaße. Ihn interessie­rten Persönlich­keit und Charakter. „Ich versuche, ehrlich zu sein“, erzählte er vor zwei Jahren im Interview mit unserer Redaktion „ich bin nicht an der Architektu­r eines Gesichts interessie­rt, ich will immer zum Kern der Persönlich­keit vordringen.“Dem Wort „Beauty“könne er nichts abgewinnen, sagte er, Botox halte er für Teufelszeu­g. Mit Retusche werde die ganze Erfahrung eines Menschen überdeckt. Die Frauen, die heutzutage von Agenturen angefragt würden, so Lindbergh, seien massentaug­lich statt individuel­l.

Sein eigensinni­ges Prinzip hat ihm Erfolg gebracht: Dramatisch tönte er die Szenen ein, setzte alles in tief gesättigte Schwarz-Weiß-Töne. Störfelder, Unordnung hatten am Set durchaus Platz. Er steckte Frauen in weit aufgeknöpf­te weiße Männerober­hemden, er ließ sie melancholi­sch, aggressiv und unberechen­bar dreinblick­en. Und er verortete sie in einer dramatisch beleuchtet­en Landschaft, gerne vor Industriek­ulissen oder zersausten Dünen an seinem geliebten Meer – erst in Holland, später in Deauville und Le Touquet.

Peter Lindbergh kam den Menschen nahe, ob sie berühmt waren oder nicht. Wenn ein Model hinterher sagte, dass es sich auf dem Foto wiedererke­nne, war er glücklich. Die Beziehung zu seinen Modellen während der Aufnahmen war die treibende Kraft seiner Visionen, sein größtes Kapital das Vertrauen. Lieblingsm­odel Nadja Auermann, die er zigfach in Szene gesetzt hat, hob ihn unter allen anderen hervor mit ihrem Lob: „Ich weiß, dass er meine Seele nicht stiehlt.“

Naomi Campbell, Linda Evangelist­a, Kate Moss, Tatjana Patitz – Lindbergh hat sie alle vor der Linse gehabt. Neben Armani, Prada und Jil Sander hatte er weitere illustre Auftraggeb­er. Prominente wie Tina Turner oder Demi Moore schätzten seine Porträts. Wenn er auch einige Männer ablichtete, galt er doch als Lieblingsf­otograf der starken Frauen dieser Welt. Sogar Herzogin Meghan ließ sich von ihm porträtier­en. Als letztes Zeugnis seiner Arbeit gilt die Fotostreck­e mit Helene Fischer für die „Vogue“, die in Schwarz-Weiß und ganz im Stil der 90er Jahre gehalten war. Fischer soll dazu gesagt haben: „Oh Gott… Ich habe noch nicht mal meine Wimpern getuscht.“Jüngstes Fotomodell war Klimaaktiv­istin Greta Thunberg.

Ob diese Bilder in der für Anfang 2020 geplanten großen Düsseldorf­er Ausstellun­g zu sehen sein werden, steht noch nicht fest, wie das Museum Kunstpalas­t am Mittwoch mitteilte. Lindbergh wollte die Schau selbst aufbauen. Nun wird sie ihm zu Ehren veranstalt­et. Als Vermächtni­s des Modefotogr­afen, der die Frauen liebte.

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Topmodel Linda Evangelist­a, 1988
 ??  ?? Das deutsche Super- model Nadja Auermann, 1996
Das deutsche Super- model Nadja Auermann, 1996
 ??  ?? Schauspiel­erin Nastassja Kinski, 1995
Schauspiel­erin Nastassja Kinski, 1995
 ??  ?? Sängerin Helene Fischer posierte für Lindbergh und die deutsche Vogue. 2019 war der 74-Jährige auf der Berlinale. Das britische Topmodel Kate Moss auf dem Cover des Buchs „A Different Vision on Fashion Photograph­y“aus dem Taschen-Verlag.
Sängerin Helene Fischer posierte für Lindbergh und die deutsche Vogue. 2019 war der 74-Jährige auf der Berlinale. Das britische Topmodel Kate Moss auf dem Cover des Buchs „A Different Vision on Fashion Photograph­y“aus dem Taschen-Verlag.
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FOTOS: DPA
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