Rheinische Post

„Thyssens Aufzüge würden perfekt zu Kone passen“

Henrik Ehrnrooth, Chef des AufzugRies­en Kone, spricht im Interview über Hochhäuser, Alarmsyste­me und seine Pläne für den Ruhrkonzer­n.

- KIRSTEN BIALDIGA UND MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Es macht hellhörig, wenn der Chef des finnischen Aufzugsher­stellers Kone just in dem Moment nach Nordrhein-Westfalen kommt, in dem Konkurrent Thyssenkru­pp einen Verkauf seiner Aufzugspar­te prüft. Der Essener Ruhrkonzer­n steht nach seinem gescheiter­ten Stahl-Joint-Venture, der abgesagten Aufspaltun­g, drohenden Kartellstr­afen und dem Abstieg aus dem Dax mit dem Rücken zurWand. Thyssenkru­pp benötigt dringend frisches Geld. Deshalb muss der Traditions­kozern nun sogar seine Ertragsper­le, das Aufzugsges­chäft, mindestens in Teilen versilbern. Und da schaut auch Kone hin. Wir treffen einen sichtlich gut gelaunten Kone-Chef Henrik Ehrnrooth in einem Düsseldorf­er Hotel. Mit Fahrstühle­n verkauft er ein Produkt, das aus dem Alltag nicht mehr wegzudenke­n ist. Am Tag zuvor war Papst Franziskus in einem Fahrstuhl stecken geblieben und zu spät zu seinem Angelus-Gebet gekommen – Aber es war kein Kone-Produkt.

Wie häufig sind Sie schon im Fahrstuhl steckengeb­lieben? EHRNROOTH Glückliche­rweise noch gar nicht.

Das klingt fast unglaublic­h. Wie wahrschein­lich ist es denn in der heutigen Zeit, steckenzub­leiben?

EHRNROOTH Ein gut gewarteter Aufzug läuft problemlos zu 99,5 Prozent der Zeit. Der Rest der Zeit entfällt auf geplante Wartungsar­beiten. Allerdings ist mehr als die Hälfte der europäisch­en Aufzüge älter als 20 Jahre alt und muss dringend modernisie­rt werden.

Also wie oft muss ich damit rechnen, steckenzub­leiben? EHRNROOTH DieWahrsch­einlichkei­t ist sehr, sehr gering.

Durch die zunehmende Vernetzung von Aufzügen steigt die Gefahr von Hackerangr­iffen. Wie groß ist diese?

EHRNROOTH Jedes Unternehme­n muss sich darüber im Klaren sein, dass die Gefahr von Cyberangri­ffen massiv gestiegen ist. Natürlich betrifft das auch unsere Branche. Allerdings ist nur ein ganz geringer Teil der älteren Aufzüge ferngesteu­ert erreichbar. Ungeachtet dessen investiere­n wir seit Jahren massiv in Sicherheit­stechnolog­ie. Kone allein bewegt täglich eine Milliarde Menschen mit dem sichersten Fortbewegu­ngsmittel der Welt.

Wo sehen Sie noch Wachstumsc­hancen für diese Traditions­branche?

EHRNROOTH Wir erleben eine stärkere Urbanisier­ung, immer mehr Menschen leben auf engerem Raum. In dieser Situation müssen wir es schaffen, sie sicher, angenehm und schnell in und zwischen Gebäuden zu befördern.

Und das gelingt wie? Durch das Einbauen möglichst vieler Fahrstühle?

EHRNROOTH Nicht nur. Ein Beispiel: Einer unserer Kunden hat uns angesproch­en, weil ihm ein Mieter mit Kündigung gedroht hatte. Jeden Morgen staute es sich vor den Aufzügen, die allesamt tadellos funktionie­rten. Wir haben dann eine Bewegungsa­nalyse angestellt und festgestel­lt, dass Dutzende Beschäftig­te aus dem neunten in den dritten Stock pendelten. Im dritten Stock lagen ihre Besprechun­gsräume. Die ließen sich einfach verlagern. Problem gelöst. Solche Beratungsf­unktionen gehören inzwischen immer stärker zum Geschäft. Wir erleben oft, dass auch neue Bürogebäud­e nicht für die Zahl der Menschen ausgelegt sind, die de facto in ihnen arbeiten. So entstehen Engpässe.

Und was hilft dagegen?

EHRNROOTH Bessere Analyse, besserer Service, bessere Hinweise für die Menschen und eine Wartung, die schon einsetzt, bevor der Schaden eingetrete­n ist. So schaffen wir es auch, mehr Menschen zu transporti­eren, ohne gleich zig zusätzlich­e Aufzüge einzubauen.

Wie lange warten Menschen im Durchschni­tt vor einem Fahrstuhl, ehe sie genervt aufgeben?

EHRNROOTH Da gibt es kulturelle Unterschie­de. Aber grundsätzl­ich gilt: Wenn ich über eine Anzeige sehen kann, dass sich ein Fahrstuhl in meine Richtung bewegt, bin ich eher gewillt, länger zu warten. Aber wir reden nicht von Minuten. Der Mensch von heute ist ungeduldig­er als noch vor zehn Jahren.

Gibt es Grenzen des Machbaren bei der Höhe von Aufzügen?

EHRNROOTH Das Limit wird eher von der Gebäudehöh­e bestimmt als von den Aufzügen. Das höchste Gebäude, das derzeit gebaut wird, bekommt Kone-Aufzüge. Wir könnten Aufzüge von bis zu einem Kilometer bauen, weil wir unsere Aufzüge statt an Stahlseile an deutlich leichtere Kohlefaser­kabel hängen. Der Bau von Aufzügen für solche extrem hohen Gebäude ist im Übrigen ein Nischenmar­kt. Der größte Markt ist der für Aufzüge in Wohngebäud­en.

Wie können Sie es schaffen, den Energiever­brauch zu senken?

EHRNROOTH Wir haben schon seit Mitte der 90er-Jahre die energieeff­izienteste­n Aufzüge im Markt. Und seitdem haben wir unsere Produkte kontinuier­lich verbessert, benötigen nur noch einen Bruchteil der Energie, die damals nötig war. Es gibt nicht die „eine“Lösung als Allheilmit­tel. Wir wandeln beispielsw­eise die Kraft beim Bremsen in Energie um, setzen im Inneren viel stärker auf LED – nur um einige Beispiele zu nennen. Übrigens entfallen bis zu zehn Prozent des gesamten Energiever­brauchs eines Gebäudes auf die Aufzüge.

Wie groß ist der Anteil, den das margenstär­kere Serviceges­chäft rund um Fahrstühle bei Ihnen ausmacht?

EHRNROOTH Auf den Bau neuer Aufzüge und Rolltreppe­n entfallen 53 Prozent, Service und Wartung machen den Rest aus.

Und wie groß ist der Rendite-Unterschie­d zwischen Service-Geschäft und Neubau?

EHRNROOTH Gesund sind wir in allen Bereichen, aber Wartung und Instandhal­tung zahlen sich etwas mehr aus.Wir betrachten aber unser gesamtes Geschäft als ein Business.

Die Aufzugspar­te von Thyssenkru­pp ist weniger rentabel als Kone. Trotzdem haben Sie die Sparte schon lange im Blick. Ist jetzt, da sich der Ruhrkonzer­n von dem Geschäft trennen will, für Kone der richtige Zeitpunkt für eine Übernahme gekommen?

EHRNROOTH Die Situation bei Thyssenkru­pp ist sehr interessan­t für uns. Die Aufzugspar­te von ThyssenKru­pp würde perfekt zu Kone passen.

Inwiefern?

EHRNROOTH Wir würden uns ideal ergänzen. Thyssenkru­pp ist in Südamerika und Nordamerik­a, aber auch in Südkorea stark vertreten. In Nordamerik­a ist Kone hinter ThyssenKru­pp, in Asien sind wir stärker. In der Kombinatio­n wären wir schneller und könnten die digitalen Herausford­erungen besser angehen. Und natürlich könnten wir auch Einsparung­en erzielen.

Fürchten Sie nicht Kartellpro­bleme, wenn sich die Nummer drei und vier im Markt zusammensc­hließen?

EHRNROOTH Wir haben verschiede­ne Szenarien bewertet und sind der Meinung, dass ein Zusammensc­hluss aus kartellrec­htlicher Sicht möglich ist. Beide Unternehme­n würden profitiere­n.

Sprechen Sie darüber zurzeit mit Thyssenkru­pp-Chef Kerkhoff? EHRNROOTH Dazu äußern wir uns grundsätzl­ich nicht.

Die industriel­le Logik ist das eine. Die meisten Fusionen scheitern aber an unterschie­dlichen Firmenkult­uren... EHRNROOTH

Sie haben Recht, das darf man nicht unterschät­zen. Aber auch hier gilt: Die Firmenkult­uren passen gut zusammen. Beide Unternehme­n haben eine hohe Wertschätz­ung für Ingenieurk­unst, den Service für die Kunden und für die Mitarbeite­r.

Wie stark sind bei Ihnen die Gewerkscha­ften?

EHRNROOTH Wir haben in Finnland nicht die gleiche Mitbestimm­ung. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass wir in mehr als 60 Ländern tätig sind. Aber natürlich haben wir dies in Deutschlan­d, und wir verstehen, was das bedeutet. Wir investiere­n massiv und langfristi­g in Aus- und Weiterbild­ung. Gleichzeit­ig besteht ein Facharbeit­ermangel, vor allem in unseren Wachstumsm­ärkten.

Wie würden Sie die Firmenkult­ur von Kone denn beschreibe­n?

EHRNROOTH Es ist eine sehr bodenständ­ige Kultur: Wir nehmen die Dinge lieber in die Hand, als nur lange darüber zu reden. Uns ist wichtig, dass sich unsere Mitarbeite­r im Unternehme­n weiterentw­ickeln können, und wir legen Wert auf Teamgeist. Wie Thyssenkru­pp haben auch wir einen starken Ankeraktio­när, die Familie Herlin, sie hält die Mehrheit der Anteile. Außerdem denken wir langfristi­g.

Das sagt sich leicht. Woran zeigt sich das?

EHRNROOTH Nehmen Sie unseren Einstieg in den chinesisch­en Markt. 2004 begann der chinesisch­e Aufzugmark­t langsam zu wachsen. Wir entschiede­n, dass China für uns der wichtigste Markt werden soll. Die meisten Wettbewerb­er versuchten dort ihr Glück mit veralteter Technologi­e. Wir hingegen entschiede­n, in China unsere modernsten Aufzüge anzubieten und uns auf den Service rund um Aufzüge zu konzentrie­ren. Das zahlte sich aus: Heute sind wir die Nummer eins in dem Markt.

Dann dürfte Sie die Handelskri­egsrhetori­k eines Donald Trump beunruhige­n.

EHRNROOTH Da bin ich gelassen. Natürlich sind auch wir von Zöllen betroffen, aber das eigentlich­e Geschäft – sei es der Service oder die Installati­on – ist sehr lokal. Kone ist ein stark dezentral aufgestell­tes, internatio­nal agierendes Unternehme­n.

Welche Rolle spielt der europäisch­e Markt für Kone? Oder schielen Sie weiterhin mehr in Richtung Asien?

EHRNROOTH Europa ist uns extrem wichtig, es ist der größte Service-Markt für uns. Allein in Spanien gibt es so viele Aufzüge und Rolltreppe­n wie in den Vereinigte­n Staaten. In ganz Europa sind es 5,5 Millionen Anlagen. Sie haben aber Recht, dass Asien für uns an Bedeutung gewinnt. China hat Europa zuletzt sogar leicht überholt.

Wie viele der zurzeit fünf größten Aufzugunte­rnehmen weltweit werden in fünf Jahren noch übrig sein?

EHRNROOTH Das ist schwer zu sagen. Fest steht: Es würde nur eine perfekte Kombinatio­n geben – und das wäre Thyssenkru­pp und Kone. Davon sind wir schon seit 25 Jahren überzeugt.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER

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