„Thyssens Aufzüge würden perfekt zu Kone passen“
Henrik Ehrnrooth, Chef des AufzugRiesen Kone, spricht im Interview über Hochhäuser, Alarmsysteme und seine Pläne für den Ruhrkonzern.
DÜSSELDORF Es macht hellhörig, wenn der Chef des finnischen Aufzugsherstellers Kone just in dem Moment nach Nordrhein-Westfalen kommt, in dem Konkurrent Thyssenkrupp einen Verkauf seiner Aufzugsparte prüft. Der Essener Ruhrkonzern steht nach seinem gescheiterten Stahl-Joint-Venture, der abgesagten Aufspaltung, drohenden Kartellstrafen und dem Abstieg aus dem Dax mit dem Rücken zurWand. Thyssenkrupp benötigt dringend frisches Geld. Deshalb muss der Traditionskozern nun sogar seine Ertragsperle, das Aufzugsgeschäft, mindestens in Teilen versilbern. Und da schaut auch Kone hin. Wir treffen einen sichtlich gut gelaunten Kone-Chef Henrik Ehrnrooth in einem Düsseldorfer Hotel. Mit Fahrstühlen verkauft er ein Produkt, das aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Am Tag zuvor war Papst Franziskus in einem Fahrstuhl stecken geblieben und zu spät zu seinem Angelus-Gebet gekommen – Aber es war kein Kone-Produkt.
Wie häufig sind Sie schon im Fahrstuhl steckengeblieben? EHRNROOTH Glücklicherweise noch gar nicht.
Das klingt fast unglaublich. Wie wahrscheinlich ist es denn in der heutigen Zeit, steckenzubleiben?
EHRNROOTH Ein gut gewarteter Aufzug läuft problemlos zu 99,5 Prozent der Zeit. Der Rest der Zeit entfällt auf geplante Wartungsarbeiten. Allerdings ist mehr als die Hälfte der europäischen Aufzüge älter als 20 Jahre alt und muss dringend modernisiert werden.
Also wie oft muss ich damit rechnen, steckenzubleiben? EHRNROOTH DieWahrscheinlichkeit ist sehr, sehr gering.
Durch die zunehmende Vernetzung von Aufzügen steigt die Gefahr von Hackerangriffen. Wie groß ist diese?
EHRNROOTH Jedes Unternehmen muss sich darüber im Klaren sein, dass die Gefahr von Cyberangriffen massiv gestiegen ist. Natürlich betrifft das auch unsere Branche. Allerdings ist nur ein ganz geringer Teil der älteren Aufzüge ferngesteuert erreichbar. Ungeachtet dessen investieren wir seit Jahren massiv in Sicherheitstechnologie. Kone allein bewegt täglich eine Milliarde Menschen mit dem sichersten Fortbewegungsmittel der Welt.
Wo sehen Sie noch Wachstumschancen für diese Traditionsbranche?
EHRNROOTH Wir erleben eine stärkere Urbanisierung, immer mehr Menschen leben auf engerem Raum. In dieser Situation müssen wir es schaffen, sie sicher, angenehm und schnell in und zwischen Gebäuden zu befördern.
Und das gelingt wie? Durch das Einbauen möglichst vieler Fahrstühle?
EHRNROOTH Nicht nur. Ein Beispiel: Einer unserer Kunden hat uns angesprochen, weil ihm ein Mieter mit Kündigung gedroht hatte. Jeden Morgen staute es sich vor den Aufzügen, die allesamt tadellos funktionierten. Wir haben dann eine Bewegungsanalyse angestellt und festgestellt, dass Dutzende Beschäftigte aus dem neunten in den dritten Stock pendelten. Im dritten Stock lagen ihre Besprechungsräume. Die ließen sich einfach verlagern. Problem gelöst. Solche Beratungsfunktionen gehören inzwischen immer stärker zum Geschäft. Wir erleben oft, dass auch neue Bürogebäude nicht für die Zahl der Menschen ausgelegt sind, die de facto in ihnen arbeiten. So entstehen Engpässe.
Und was hilft dagegen?
EHRNROOTH Bessere Analyse, besserer Service, bessere Hinweise für die Menschen und eine Wartung, die schon einsetzt, bevor der Schaden eingetreten ist. So schaffen wir es auch, mehr Menschen zu transportieren, ohne gleich zig zusätzliche Aufzüge einzubauen.
Wie lange warten Menschen im Durchschnitt vor einem Fahrstuhl, ehe sie genervt aufgeben?
EHRNROOTH Da gibt es kulturelle Unterschiede. Aber grundsätzlich gilt: Wenn ich über eine Anzeige sehen kann, dass sich ein Fahrstuhl in meine Richtung bewegt, bin ich eher gewillt, länger zu warten. Aber wir reden nicht von Minuten. Der Mensch von heute ist ungeduldiger als noch vor zehn Jahren.
Gibt es Grenzen des Machbaren bei der Höhe von Aufzügen?
EHRNROOTH Das Limit wird eher von der Gebäudehöhe bestimmt als von den Aufzügen. Das höchste Gebäude, das derzeit gebaut wird, bekommt Kone-Aufzüge. Wir könnten Aufzüge von bis zu einem Kilometer bauen, weil wir unsere Aufzüge statt an Stahlseile an deutlich leichtere Kohlefaserkabel hängen. Der Bau von Aufzügen für solche extrem hohen Gebäude ist im Übrigen ein Nischenmarkt. Der größte Markt ist der für Aufzüge in Wohngebäuden.
Wie können Sie es schaffen, den Energieverbrauch zu senken?
EHRNROOTH Wir haben schon seit Mitte der 90er-Jahre die energieeffizientesten Aufzüge im Markt. Und seitdem haben wir unsere Produkte kontinuierlich verbessert, benötigen nur noch einen Bruchteil der Energie, die damals nötig war. Es gibt nicht die „eine“Lösung als Allheilmittel. Wir wandeln beispielsweise die Kraft beim Bremsen in Energie um, setzen im Inneren viel stärker auf LED – nur um einige Beispiele zu nennen. Übrigens entfallen bis zu zehn Prozent des gesamten Energieverbrauchs eines Gebäudes auf die Aufzüge.
Wie groß ist der Anteil, den das margenstärkere Servicegeschäft rund um Fahrstühle bei Ihnen ausmacht?
EHRNROOTH Auf den Bau neuer Aufzüge und Rolltreppen entfallen 53 Prozent, Service und Wartung machen den Rest aus.
Und wie groß ist der Rendite-Unterschied zwischen Service-Geschäft und Neubau?
EHRNROOTH Gesund sind wir in allen Bereichen, aber Wartung und Instandhaltung zahlen sich etwas mehr aus.Wir betrachten aber unser gesamtes Geschäft als ein Business.
Die Aufzugsparte von Thyssenkrupp ist weniger rentabel als Kone. Trotzdem haben Sie die Sparte schon lange im Blick. Ist jetzt, da sich der Ruhrkonzern von dem Geschäft trennen will, für Kone der richtige Zeitpunkt für eine Übernahme gekommen?
EHRNROOTH Die Situation bei Thyssenkrupp ist sehr interessant für uns. Die Aufzugsparte von ThyssenKrupp würde perfekt zu Kone passen.
Inwiefern?
EHRNROOTH Wir würden uns ideal ergänzen. Thyssenkrupp ist in Südamerika und Nordamerika, aber auch in Südkorea stark vertreten. In Nordamerika ist Kone hinter ThyssenKrupp, in Asien sind wir stärker. In der Kombination wären wir schneller und könnten die digitalen Herausforderungen besser angehen. Und natürlich könnten wir auch Einsparungen erzielen.
Fürchten Sie nicht Kartellprobleme, wenn sich die Nummer drei und vier im Markt zusammenschließen?
EHRNROOTH Wir haben verschiedene Szenarien bewertet und sind der Meinung, dass ein Zusammenschluss aus kartellrechtlicher Sicht möglich ist. Beide Unternehmen würden profitieren.
Sprechen Sie darüber zurzeit mit Thyssenkrupp-Chef Kerkhoff? EHRNROOTH Dazu äußern wir uns grundsätzlich nicht.
Die industrielle Logik ist das eine. Die meisten Fusionen scheitern aber an unterschiedlichen Firmenkulturen... EHRNROOTH
Sie haben Recht, das darf man nicht unterschätzen. Aber auch hier gilt: Die Firmenkulturen passen gut zusammen. Beide Unternehmen haben eine hohe Wertschätzung für Ingenieurkunst, den Service für die Kunden und für die Mitarbeiter.
Wie stark sind bei Ihnen die Gewerkschaften?
EHRNROOTH Wir haben in Finnland nicht die gleiche Mitbestimmung. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass wir in mehr als 60 Ländern tätig sind. Aber natürlich haben wir dies in Deutschland, und wir verstehen, was das bedeutet. Wir investieren massiv und langfristig in Aus- und Weiterbildung. Gleichzeitig besteht ein Facharbeitermangel, vor allem in unseren Wachstumsmärkten.
Wie würden Sie die Firmenkultur von Kone denn beschreiben?
EHRNROOTH Es ist eine sehr bodenständige Kultur: Wir nehmen die Dinge lieber in die Hand, als nur lange darüber zu reden. Uns ist wichtig, dass sich unsere Mitarbeiter im Unternehmen weiterentwickeln können, und wir legen Wert auf Teamgeist. Wie Thyssenkrupp haben auch wir einen starken Ankeraktionär, die Familie Herlin, sie hält die Mehrheit der Anteile. Außerdem denken wir langfristig.
Das sagt sich leicht. Woran zeigt sich das?
EHRNROOTH Nehmen Sie unseren Einstieg in den chinesischen Markt. 2004 begann der chinesische Aufzugmarkt langsam zu wachsen. Wir entschieden, dass China für uns der wichtigste Markt werden soll. Die meisten Wettbewerber versuchten dort ihr Glück mit veralteter Technologie. Wir hingegen entschieden, in China unsere modernsten Aufzüge anzubieten und uns auf den Service rund um Aufzüge zu konzentrieren. Das zahlte sich aus: Heute sind wir die Nummer eins in dem Markt.
Dann dürfte Sie die Handelskriegsrhetorik eines Donald Trump beunruhigen.
EHRNROOTH Da bin ich gelassen. Natürlich sind auch wir von Zöllen betroffen, aber das eigentliche Geschäft – sei es der Service oder die Installation – ist sehr lokal. Kone ist ein stark dezentral aufgestelltes, international agierendes Unternehmen.
Welche Rolle spielt der europäische Markt für Kone? Oder schielen Sie weiterhin mehr in Richtung Asien?
EHRNROOTH Europa ist uns extrem wichtig, es ist der größte Service-Markt für uns. Allein in Spanien gibt es so viele Aufzüge und Rolltreppen wie in den Vereinigten Staaten. In ganz Europa sind es 5,5 Millionen Anlagen. Sie haben aber Recht, dass Asien für uns an Bedeutung gewinnt. China hat Europa zuletzt sogar leicht überholt.
Wie viele der zurzeit fünf größten Aufzugunternehmen weltweit werden in fünf Jahren noch übrig sein?
EHRNROOTH Das ist schwer zu sagen. Fest steht: Es würde nur eine perfekte Kombination geben – und das wäre Thyssenkrupp und Kone. Davon sind wir schon seit 25 Jahren überzeugt.