Rheinische Post

Ärztechef will Praxiswahl begrenzen

Kassenarzt-Chef Andreas Gassen fordert einen höheren Beitrag für die freie Wahl des Facharztes. So soll die Zahl der Praxisbesu­che reduziert werden. Die Kassen lehnen das ab.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Der Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, Andreas Gassen, sorgt mit der Forderung nach Extra-Zahlungen für die freie Arztwahl für Aufregung. Der Düsseldorf­er Orthopäde kritisiert­e, dass manche Patienten zu oft zum Arzt gingen und ihre Krankenkas­se zu sehr belasteten: „Die Gesundheit­skarte funktionie­rt wie eine Flatrate, und es gibt Patienten, die das gnadenlos ausnutzen“, sagte Gassen der „Neuen Osnabrücke­r Zeitung“. Es könne aber dauerhaft kaum jedem Patienten „sanktionsf­rei gestattet bleiben, jeden Arzt jeder Fachrichtu­ng beliebig oft aufzusuche­n und oft noch zwei oder drei Ärzte derselben Fachrichtu­ng“.

Als Ausweg schlägt Gassen vor, Wahltarife für Kassenpati­enten einzuführe­n: „Wer sich verpflicht­et, sich auf einen koordinier­enden Arzt zu beschränke­n, sollte von einem günstigere­n Kassentari­f profitiere­n. Wer jederzeit zu jedem Arzt gehen möchte, müsste mehr bezahlen.“Tatsächlic­h gehen die Deutschen überdurchs­chnittlich oft zum Arzt – 11,3 Mal pro Jahr, während es im Schnitt der Europäisch­en Union nur 9,6 Mal sind. In den baltischen Ländern liegt der Schnitt sogar nur bei sechs Arztbesuch­en pro Jahr.

Gassens Plan aber stieß bei Krankenkas­sen und Politik auf breite Kritik: „Ich halte den Vorschlag für vollkommen verfehlt“, sagte Günter Wältermann, Chef der AOK Rheinland/Hamburg, unserer Redaktion. Der Ärzte-Chef berücksich­tige weder das Patientenb­edürfnis nach Informatio­n in schwierige­n Lebenslage­n, noch die „unterschie­dliche Gesundheit­skompetenz“der Patienten. „Der freie Arztzugang ist ein hohes Gut, welches wir nicht aufgeben. Steuerung muss über Belohnung und nicht über Bestrafung erfolgen“, mahnte der AOK-Chef.

Auch die Techniker Krankenkas­se lehnte den Vorstoß ab: „Was Herr Gassen da vorschlägt, ist im Grunde dieWiedere­inführung der Praxisgebü­hr. Die ist 2013 aber aus gutem Grund wieder abgeschaff­t worden: Sie hat keine steuernde Wirkung entfaltet, sie hat nur Ärger für Patienten und Ärzte bedeutet“, sagte Barbara Steffens, NRW-Chefin der Techniker Krankenkas­se (TK). Die Praxisgebü­hr gab es bis Ende 2012. Kassenpati­enten mussten damals bundesweit bei Arztbesuch­en einmal pro Quartal zehn Euro zahlen. Das Geld kam zwar direkt den Kassen zugute, doch das eigentlich­e Ziel, die Patientens­tröme zu steuern, wurde verfehlt.

Gassen gebe keine adäquate Antwort auf volle Wartezimme­r, so die TK-Chefin weiter. „Bei der Steuerung der Patientens­tröme kann heute die Digitalisi­erung helfen – Telemedizi­n und Videosprec­hstunde können Praxen entlasten.“Bei guter Organisati­on und konsequent­er Umsetzung der Digitalisi­erung müsse es keine so überfüllte­n Sprechzimm­er geben. „Kassenpati­enten müssen das Recht auf freie Arztwahl und Zweitmeinu­ng behalten“, forderte Steffens.

Bei den hauptamtli­chen Ärztefunkt­ionären gehe es wie im Tollhaus zu und Gassen verunsiche­re die Bürger, sagte Patientens­chützer Eugen Brysch. Er betonte, dass dieVerwalt­ung der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen, denen Gassen vorsteht, selbst Millionen verschling­e. Das Geld fehle der Patientenv­ersorgung. Der Gesundheit­sexperte der SPD im Landtag, Josef Neumann, sprach von altem Wein in neuen Schläuchen: „Der bürokratis­che Mehraufwan­d dürfte um ein Vielfaches höher sein als der vermeintli­che Erfolg, den man sich davon verspricht.“

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