Rheinische Post

Politische­r Offenbarun­gseid

- VON KRISTINA DUNZ

In einem kleinen Ort in Hessen wird das große Problem von CDU, SPD und FDP sichtbar: Weil im Ortsbeirat von Altenstadt-Waldsiedlu­ng niemand als Ortsvorste­her kandidiere­n wollte und sich niemand so gut mit dem Internet auskennt wie der 33-Jährige von der als verfassung­sfeindlich eingestuft­en NPD, wählt man eben diesen. Stefan Jagsch, NPD-Landesvize, sei kollegial und könne E-Mails verschicke­n, sagt CDU-Ortsbeirat­smitglied Norbert Szielasko. Und: „Partei spielt bei uns keine Rolle.“

Über die Sache mit den E-Mails sollte sich niemand erheben. Es ist Tatsache, dass manche Bürger von der rasenden Entwicklun­g abgeschnit­ten sind. Entweder, weil der Netzausbau bis in ihre Region noch nicht vernünftig vorgedrung­en ist. Oder, weil sie den Anschluss an die technische­n Errungensc­haften verloren haben. Man fragt sich allerdings, wie die CDU in Altenstadt-Waldsiedlu­ng kommunizie­rt. Nicht alles wird noch per Post verschickt.

Auch das müssen Parteien begreifen: Sie müssen sich nicht nur um die Wähler vor Ort kümmern, sondern auch um ihre eigenen Mitglieder, mit denen in den Kommunen der Kontakt zur Gesellscha­ft gehalten wird. Und da kommt der andere Satz zum Tragen: „Partei spielt bei uns keine Rolle.“Was Jagsch in der NPD mache, sei nicht Sache des Ortsbeirat­es. Das ist das eigentlich­e Drama. Natürlich muss es auch in Altenstadt-Waldsiedlu­ng interessie­ren, wofür Jagsch und seine rechtsextr­eme NPD sonst noch so stehen.

Die traditions­reichen demokratis­chen Parteien haben gepennt und schreien nun nach Korrektur. Jetzt hektisch die Abwahl von Jagsch zu organisier­en, wird ihnen den nächsten Vorwurf des undemokrat­ischen Verhaltens eintragen. Es ist erschütter­nd, dass CDU, SPD und FDP nicht viel früher aufgewacht sind. Ein politische­r Offenbarun­gseid.

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