Rheinische Post

Vor die Wand

Nach der Wahl des NPD-Vizes in Hessen zum Ortsvorste­her wird seine Abwahl organisier­t. Die demokratis­chen Parteien sind blamiert.

- VON JAN DREBES, KRISTINA DUNZ UND GREGOR MAYNTZ

WALDSIEDLU­NG Wenn im hessischen Altenstadt, Ortsteil Waldsiedlu­ng, der Ortsbeirat den Ortsvorste­her wählt, interessie­rt das normalerwe­ise allenfalls einen Teil der 2600 Einwohner. Wenn es aber außer dem NPD-Kandidaten keinen anderen Bewerber gibt und dieser wegen seiner guten Internetke­nntnisse und seiner ruhigen Art gewählt wird, ist der Schrecken groß. Und wenn dann noch klar wird, dass Stefan Jagsch, stellvertr­etender hessischer NPD-Vorsitzend­er, einstimmig – also mithilfe der CDU-, SPDund FDP-Vertreter – zum Ortsvorste­her gemacht wurde, erreichen die Schockwell­en auch Bundespart­eispitzen. Mit Entsetzen reagierten CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und die Generalsek­retäre der drei Parteien und spielten ihre Empörung zurück nach Altenstadt. Dort sollen CDU, SPD und FDP nun mit einem gemeinsame­n Antrag Jagschs Abwahl erreichen, teilt die CDU-Kreisvorsi­tzende und hessische Europamini­sterin, Lucia Puttrich, am Montag mit. Kleiner Ort, großes Drama.

Die Betroffene­n wie CDU-Ortsbeirat­smitglied Norbert Szielasko waren sich offensicht­lich nicht bewusst, was sie ausgelöst haben. Jagsch sei kollegial, und in Waldsiedlu­ng gehe es nicht um Parteien, sondern um Politik für die Menschen, hieß es. Dass es eine Erschütter­ung ist, wenn in einer Demokratie ein Mitglied einer Partei in ein politische­s Amt gewählt wird, die als verfassung­sfeindlich, also als Gegnerin der freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng eingestuft ist, haben die Ortsbeirat­smitgliede­r nicht erkannt. Das wirft Fragen nach der Führung der drei Parteien auf.

Der Staatsmini­ster für Europa im Auswärtige­n Amt, Michael Roth, der seinen Wahlkreis im nordhessis­chen Hersfeld-Rotenburg und Werra-Meißner-Kreis hat und für den SPD-Vorsitz kandidiert, sagt, nirgendwo in Deutschlan­d dürfe ein „Nazi“in verantwort­ungsvoller Position sein. Er warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen. „Wer jetzt den Stab über die ehrenamtli­ch tätigen Politiker in Altenstadt bricht, macht es sich zu einfach.Vorschnell­e Urteile schrecken nur noch mehr Menschen ab, sich in der Kommunalpo­litik ehrenamtli­ch zu engagieren.“Kommunalpo­litiker dürften nicht alleingela­ssen werden. Gerade in digitalen Foren und sozialen Netzwerken würden sie oft hart angegangen, beleidigt und bedroht. „Sie brauchen Anlaufstel­len und teils juristisch­e Unterstütz­ung, um damit umgehen zu können.“

Nun müssen sie sich in Altenstadt-Waldsiedlu­ng aber erst einmal um die Abwahl von Jagsch kümmern. Der Vorsitzend­e eines Ortsbeirat­s in Hessen kann mit Zweidritte­lmehrheit der Gremiumsmi­tglieder abberufen werden. Der Ortsbeirat­svorsitzen­de ist demnach verpflicht­et, die Abberufung auf die Tagesordnu­ng der nächsten Sitzung zu setzen, wenn der entspreche­nde Antrag von einem Viertel der Ortsbeirat­smitgliede­r unterzeich­net wird. Der Ortsbeirat in Waldsiedlu­ng hat neun Sitze, bei der Wahl von Jagsch waren sieben Vertreter anwesend. CDU, SPD und FDP haben zusammen acht Sitze.

Puttrich sagt, den Beteiligte­n sei durch die zahlreiche­n Reaktionen in aller Härte und Schärfe bewusst geworden, welchen Fehler sie gemacht hätten. Diese Arglosigke­it sei schockiere­nd. Die Berliner Politikwis­senschaftl­erin Sabine Kropp meint: „Man kann ein solches, letztlich parteischä­digendes Verhalten

„Hier liegt ganz klar ein Tabubruch vor“Serap Güler (CDU) Staatssekr­etärin für Integratio­n in Nordrhein-Westfalen

von CDU, SPD und FDP wohl nur durch kleinräumi­ge soziale Verbindung­en und eine unfassbare Blauäugigk­eit erklären. Nichtsdest­otrotz ist es eine Blamage für die etablierte­n demokratis­chen Parteien.“

Dass außer Jagsch niemand kandidiere­n wollte, ist für FDP-Generalsek­retärin Linda Teuteberg ein Alarmsigna­l: „Es muss grundsätzl­ich zu denken geben, dass zwar immer mehr Menschen unser demokratis­ches Gemeinwese­n kritisiere­n, sich aber zugleich offenbar immer weniger Demokraten finden, die bereit sind, sich dafür vor Ort zu engagieren.“Sie ist fassungslo­s über den Vorgang .„ Verfassung­sfeinde zu wählen, ist mit den Werten der Freien Demokraten nicht vereinbar.“Sie weist darauf hin, dass zwar auch im Namen der FDP in dem Ortsbeirat für den NPD-Kandidaten gestimmt worden sei, aber keine FDP-Mitgliedsc­haft vorliege. Die beiden Vertreter seien als Parteilose über die FDP-Liste in das Kommunal parlament gekommen. Deshalb könne es für sie auch keine Konsequenz­en wie ein Partei ausschluss­verfahren geben. Anders beider CDU. Die NRW-Integratio­nsstaatsse­kretärin, Serap Güler, eine Frau der starken Worte, sagt: „Solche falschvers­tandenen Demokraten sind für mich als Parteimitg­lied der CDU untragbar.“Ein Tabu sei gebrochen worden.„Niemals darf so jemand durch die Stimmen von demokratis­chen Parteien ein Mandat bekommen. Das Verhalten der Funktionst­räger in Altenstadt ist verantwort­ungslos.“Güler: „Ich frage mich schon, gegen welche Wand die politische­n Vertreter der CDU, SPD und der FDP gelaufen sind, um so eine Wahl zu treffen.“

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FOTO: DPA Stefan Jagsch (NPD), Ortsvorste­her von Altenstadt-Waldsiedlu­ng, steht vor dem Gemeinscha­ftshaus im Ortsteil, in dem er gewählt wurde.

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