Der streitbare Orthopäde
Der Chef der Kassenärzte eckt oft an – nun mit der Forderung, dass es freie Arztwahl nur gegen Geld gibt.
Ulla Schmidt ist schuld. Mit ihrer Politik hat die frühere SPD-Gesundheitsministerin Andreas Gassen in die Berufspolitik getrieben. Heute ist der 57-jährige Orthopäde und Rheumatologe der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Die mächtige Organisation handelt mit den gesetzlichen Krankenkassen die Honorare für die 170.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten aus und muss bundesweit die ärztlicheVersorgung sicherstellen. Umso erstaunlicher ist es, dass Gassen aktuell mit einer Forderung für Wirbel sorgt, die an die unpopulärste Maßnahme von Ulla Schmidt erinnert: die Praxisgebühr. Damit wollte die Ministerin einst Patienten dazu bringen, als erstes stets zu ihrem Hausarzt zu gehen und nicht immer gleich zu einem oder gar mehreren Fachärzten zu laufen. Dieses Verhalten ist auch Gassen ein Dorn
im Auge – und zur besseren Steuerung schlägt er nun vor, dass Kassenpatienten, die weiter die freie Arztwahl haben wollen, mehr bezahlen müssen.
Der Sturm der Entrüstung ist groß, doch das schreckt Gassen nicht. Er ist kampferprobt: Er forderte auch schon mal das Ende der Finanzierung von homöopathischen Mitteln durch die Krankenkassen, weil es an wissenschaftlichen Belegen für deren Wirksamkeit mangelt. Medizinisch ist das ein verständlicher Standpunkt, bei Patienten sorgte es gleichwohl für Empörung.
Auch mit dem aktuellen Gesundheitsminister legt er sich an: Eine Ausweitung der Sprechstunden für Kassenpatienten, die Jens Spahn (CDU) durchsetzen will, darf es für Gassen nur geben, wenn die Ärzte auch mehr Geld bekommen – ein Viertel mehr Sprechstunde müsse auch ein Viertel mehr Geld bedeuten. Mehr Geld in den Honorar-Topf für Kassenärzte zu bekommen - das ist Gassens Ziel, um den Arztberuf wieder attraktiver zu machen.
Um seine eigenen Finanzen dürfte sich Gassen weniger Gedanken machen: Der gebürtige Kölner, der an der Düsseldorfer Universität Medizin studiert hat, betreibt in der Landeshauptstadt, am schicken Kö-Bogen, mit drei Kollegen eine Gemeinschaftspraxis. Und auch der Manager-Job bei der KBV wird gut bezahlt. Bei seinem Vorgänger Andreas Köhler hatte es viel Streit um hohe Ruhestands-Bezüge und Dienstwagen gegeben. In Gassens Zeit fiel eine öffentlich ausgetragene Schlammschlacht desVorstands um Beraterverträge und Abrechnungsstellen.
Andreas Gassen ist aber kein ewiger Funktionär, sondern kennt auch die ärztliche Arbeit in Klinik und Praxis. Bevor er sich 1996 als Orthopäde niederließ, hatte er einige Jahre an Krankenhäusern in Duisburg und Düsseldorf gearbeitet. Bis dahin hatte er mehr als 20.000 Operationen durchgeführt, erzählt er mal im Interview. Eine Spezialität sind minimalinvasive Eingriffe. Seine öffentliche Aufschläge sind dagegen alles andere als minimalinvasiv.