„Friedhelm hat ein Vermächtnis geschaffen“
Fortunas Sportvorstand spricht über die Sommertransfers, persönliche Beleidigungen und die Vereinsphilosophie.
Beim Betreten des Büros von Lutz Pfannenstiel geht der Blick sofort nach rechts. An der Wand sind zwei große Fußballfelder in grau aufgemalt. Daran hängen – scheinbar magisch schwebend – kleine Schildchen mit den Konterfeis und Namen der Spieler aus Fortunas Profikader, nach Positionen sortiert. „Magnetfarbe“, erklärt der Sportvorstand das physikalischeWunder grinsend. Für den 46-Jährigen ist die stressigste Phase der Saison vorbei: das Sommer-Transferfenster ist seit einer Woche geschlossen.
Wie froh sind Sie, dass es jetzt vorbei ist?
PFANNENSTIEL Es ist nicht so, dass ich das Ende herbeigesehnt habe, weil es ja auch viel Spaß und Freude macht. Aber man wird natürlich auch etwas müde und gestresst. Deshalb ist es gut, dass ein bisschen mehr Ruhe einkehrt. Wobei die Entspannung eigentlich nur etwa drei Tage gedauert hat, dann kam wieder die positive Anspannung. Denn die Kaderplanung ist ja nur die Vorarbeit. Jetzt kommt es darauf an, wie das Team die sportliche Zielsetzung auf dem Platz umsetzt.
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Vorarbeit?
PFANNENSTIEL Wenn man gut gearbeitet hat, ist man relativ früh fertig. Und wir lagen ganz gut im Zeitplan. Aber ich kann es noch nicht endgültig beurteilen. Auf dem Papier haben wir einen vernünftigen Kader. Aber was dort draufsteht, ist nicht entscheidend. Ob wir gut gearbeitet haben können wir erst sagen, wenn wir im Mai auf Platz 15 oder besser stehen.
Wie ist denn der erste Eindruck nach drei Ligaspielen? PFANNENSTIEL Das erste Gefühl ist okay. Aber wir haben aufgrund von Verletzungen noch nicht das Glück gehabt, aus demVollen schöpfen zu können. Das wird aber in den nächsten Wochen kommen. Wir haben nun auf allen Positionen mehr Möglichkeiten. Der Konkurrenzkampf ist größer geworden.
Wie reagieren Vereine und Spieler denn, wenn sie den Namen Fortuna Düsseldorf hören? PFANNENSTIEL Inzwischen gut. Die Fortuna hat sich besonders auf dem Leihmarkt einen guten Namen gemacht – schon bevor ich hier war. Und Leihgeschäfte sind für uns ein Mittel, weil wir noch nicht in der Lage sind, sämtliche Spieler permanent zu verpflichten. Der Erfolg von Dodi Lukebakio hat es für mich dann auch leichter gemacht. Mit dieser Referenz konnte ich schon Werbung betreiben. Aber am Ende steht dann bei jedem Klub doch die Frage: Was haben wir davon, und was bekommen wir? Und dann kommt es noch auf persönliche Kontakte an: Ein Zack Steffen oder ein Lewis Baker wären normalerweise außerhalb unserer Reichweite. Aber auch da heißt es eine Win-Win-Situation zu kreieren.Wir bieten immerhin Spielpraxis in einer der besten Ligen der Welt. Und in dieser kann sich jeder Spieler weiterentwickeln. Sie haben zahlreichen Kontakte in der Fußballwelt. Wie wichtig ist Vitamin B in dieser überhitzten, kommerzialisierten Transferwelt? PFANNENSTIEL Sie helfen mittelfristig, aber nicht langfristig.
Das heißt Vitamin B stößt irgendwann an seine Grenzen? PFANNENSTIEL Ja, also Messi können wir nicht ausleihen. (lacht) Es gibt immer eine Grenze. Wenn wir eine Kaderplanungsliste aufbauen, stehen da natürlich keine Spieler mit 40 Millionen Euro Marktwert drauf. Unsere Transferziele auf der A-Wunschliste müssen alle realistisch sein. Sie müssen finanzierbar sein und zu unserer Fortuna, wie Friedhelm Funkel sie aufgebaut hat, menschlich, persönlich und charakterlich passen. Das ist bei uns wirklich genauso wichtig wie die sportliche Qualität. Wenn wir einen sportlichen Volltreffer haben können, der aber charakterliche Schwächen hat, werde ich diesen Transfer verhindern. Jeder muss in unser Fortuna-Gebilde passen. Wir haben eine Familie in der Kabine – mit Friedhelm Funkel als Papa.
Wie klopft man denn den Charakter vor einem Transfer ab? PFANNENSTIEL Über Netzwerke. Ich will wissen, aus welchen familiären Verhältnissen der Spieler kommt. Welche Freunde hat er?Welche soziale Kompetenz hat er?Was treibt ihn um, wenn er nicht Fußball spielt? Diese Antworten zu finden, ist extrem zeitaufwändig. Nehmen wir Lewis Baker als Beispiel. Ich habe mit etwa 40 Leuten gesprochen, bevor mein Bild von ihm komplett war – obwohl ich ihn selbst 30 Mal spielen gesehen habe. Ich habe ihn wie ein Sandwich in einzelne Scheiben zerlegt. Dabei kam heraus: Er ist genau der richtige Spieler für uns.
Das heißt, Sie rufen bei Freunden und der Familie von Transferzielen an?
PFANNENSTIEL Ich komme über bestimmte Leute an diese Informationen heran. Bei Zack Steffen habe ich in den USA den Vater, die Mutter, die Schwester und den Onkel getroffen. Dann gab es ein Meeting mit dem Vereinstrainer, dem Torwartrainer, dem Ex-Vereinstrainer. Anschließend habe ich mich eine Stunde mit dem Nationaltrainer der USA Gregg Berhalter unterhalten. Zusätzlich habe ich mit einigen Leuten bei Manchester City und mit welchen beim SC Freiburg gesprochen. Ich wusste, was Zack Stefen zum Frühstück mag, bevor ich ihm das erste Mal direkt gegenübersaß. Man soll nichts dem Zufall überlassen. Wir müssen fleißiger sein als andere, weil wir einfach nicht die finanziellen Möglichkeiten haben wie andere Klubs. Es geht bei uns nicht, dass drei Leihspieler funktionieren, zwei andere aber nicht. Wir müssen die Chance minimieren, dass ein Leihgeschäft nicht funktioniert.
Sie haben eben ein schönes Bild von der Familie mit Friedhelm Funkel als Papa benutzt. Was passiert denn, wenn der Papa irgendwann mal nicht mehr da ist? PFANNENSTIEL Friedhelm hat hier ein Vermächtnis geschaffen. Dafür müssen wir ihm sehr dankbar sein. Aber wir wollen, dass dieses Vermächtnis nicht personengebunden ist.Wenn sich eines Tages mal etwas im Trainerteam ändert, muss dieses Erbe genauso weitergeführt werden. Mein großer Wunsch ist deshalb, dass dann Personen kommen, die das nicht alles umschmeißen und etwas Neues aufbauen wollen, sondern diese Philosophie genauso weiterführen. Das ist mir am Wichtigsten. Es ist egal, wer die Spieler, wer der Trainer, wer der Sportvorstand ist. Die Fortuna steht über allem. Die Planken, die man für diesen Verein in den vergangenen Jahren aufgebaut hat, sollten weiter eingehalten werden.
Waren Sie sich dieses Bildes von Fortuna schon am ersten Tag im Dezember bewusst, oder hat sich das nach und nach aufgebaut? PFANNENSTIEL Das war mein Wunschgedanke. Und der hat sich mehr und mehr herauskristallisiert. Ich habe einige Dinge angepasst, aber nicht jeden Stein umgedreht. Wir sind sportlich in Leitplanken unterwegs, wo es mal links mal etwas rechts gehen kann, aber wir wissen genau, wo es hingeht. Wichtig ist: Wir dürfen niemals zufrieden sein. Wir brauchen diese positive Unruhe, immer etwas verbessern zu wollen. An dem Tag, an dem wir uns zurücklehnen, kommt der Hammer und zieht uns die Schuhe aus.
Fortuna gilt als Traditionsvereins und Ihr Ex-Arbeitgeber Hoffenheim als Retortenklub. Wie sehr unterscheiden sich denn die Klubs tatsächlich im Innenleben? PFANNENSTIEL Die Fortuna ist zunächst ein eingetragener Verein. DasVereinsbild ist mit das wichtigste. Dafür steht die Fortuna. Der e.V. steht über allem. Bei vielen anderen Klubs – wie in Hoffenheim – ist die Spielbetriebs-GmbH ausgegliedert. Transfers müssen aber bei beiden gemacht werden, Gehälter bei beiden bezahlt werden. Also ist das operative Tagesgeschäft für mich gleich. Aber man sieht ja an meiner Spieler-Vita, dass ich im Herzen Fußball-Romantiker bin. Daher finde ich die Vereinsstruktur bei Fortuna sehr postiv. Sie ist tiefer und weit
greifender.
Und die emotionale Komponente? PFANNENSTIEL Die Fans braucht man nicht miteinander vergleichen. Die Verbundenheit der Fans in Düsseldorf mit der Stadt und dem Klub ist einfach Weltklasse. Du gehst zum Zahnarzt, da hängt ein Fortuna-Wimpel. Du kaufst dir einen Mett-Igel, der nach Fortuna benannt ist. Überall werden dir Fortuna-Brötchen angeboten. Die Fortuna ist in dieser Region vollumfänglich ins öffentliche Leben eingebettet. Das ist bei vielen anderen Klubs völlig anders. Diese Emotionalisierung hat natürlich aber auch Schattenseiten. Jeder Sieg und jede Verpflichtung entfacht Euphorie. Aber nach einer Niederlage machen sich die Anhänger sofort große Sorgen. Es ist ein ständiges Auf und Ab. Es gibt selten Ruhephasen.
Wie gehen Sie damit um? PFANNENSTIEL Ich würde lügen, wenn ich sage, das prallt alles an mir ab. Ich bin sehr emotional, von daher versuche ich so etwas dann richtig einzuordnen.
Entsteht dadurch Druck? PFANNENSTIEL Jeder Mensch muss für sich entscheiden, was Druck ist. Das liegt an der Genetik und an dem, was er erlebt hat. Ich war in den ärmsten Gegenden derWelt, da habe ich Leid und Druck gesehen. Da stehen jeden Morgen Menschen auf, die Sorge tragen, ob es ihren Kindern und sich selbst am nächsten Tag noch halbwegs gut geht. Das ist Druck. Wenn wir gegen Gladbach oder Wolfsburg spielen und jemand sagt, wir konnten mit dem Druck nicht umgehen, dann schüttele ich den Kopf. Wir müssen alle dem lieben Gott danken, dass wir in dieser Nische des Lebens arbeiten dürfen. Das ist ein Privileg. Da kommen mehrere Zehntausende in die Stadien, um uns zu sehen, wie wir Fußball spielen – den Sport, den wir lieben, und den wir auch ausüben würden, wenn wir dafür kein Geld kriegen würden. Also braucht man deshalb wirklich nicht dasWort Druck dafür zu benutzen. Allerdings muss jeder Mensch das Wort Druck für sich selbst definieren.