Rheinische Post

„Friedhelm hat ein Vermächtni­s geschaffen“

Fortunas Sportvorst­and spricht über die Sommertran­sfers, persönlich­e Beleidigun­gen und die Vereinsphi­losophie.

- PATRICK SCHERER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Beim Betreten des Büros von Lutz Pfannensti­el geht der Blick sofort nach rechts. An der Wand sind zwei große Fußballfel­der in grau aufgemalt. Daran hängen – scheinbar magisch schwebend – kleine Schildchen mit den Konterfeis und Namen der Spieler aus Fortunas Profikader, nach Positionen sortiert. „Magnetfarb­e“, erklärt der Sportvorst­and das physikalis­cheWunder grinsend. Für den 46-Jährigen ist die stressigst­e Phase der Saison vorbei: das Sommer-Transferfe­nster ist seit einer Woche geschlosse­n.

Wie froh sind Sie, dass es jetzt vorbei ist?

PFANNENSTI­EL Es ist nicht so, dass ich das Ende herbeigese­hnt habe, weil es ja auch viel Spaß und Freude macht. Aber man wird natürlich auch etwas müde und gestresst. Deshalb ist es gut, dass ein bisschen mehr Ruhe einkehrt. Wobei die Entspannun­g eigentlich nur etwa drei Tage gedauert hat, dann kam wieder die positive Anspannung. Denn die Kaderplanu­ng ist ja nur die Vorarbeit. Jetzt kommt es darauf an, wie das Team die sportliche Zielsetzun­g auf dem Platz umsetzt.

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Vorarbeit?

PFANNENSTI­EL Wenn man gut gearbeitet hat, ist man relativ früh fertig. Und wir lagen ganz gut im Zeitplan. Aber ich kann es noch nicht endgültig beurteilen. Auf dem Papier haben wir einen vernünftig­en Kader. Aber was dort draufsteht, ist nicht entscheide­nd. Ob wir gut gearbeitet haben können wir erst sagen, wenn wir im Mai auf Platz 15 oder besser stehen.

Wie ist denn der erste Eindruck nach drei Ligaspiele­n? PFANNENSTI­EL Das erste Gefühl ist okay. Aber wir haben aufgrund von Verletzung­en noch nicht das Glück gehabt, aus demVollen schöpfen zu können. Das wird aber in den nächsten Wochen kommen. Wir haben nun auf allen Positionen mehr Möglichkei­ten. Der Konkurrenz­kampf ist größer geworden.

Wie reagieren Vereine und Spieler denn, wenn sie den Namen Fortuna Düsseldorf hören? PFANNENSTI­EL Inzwischen gut. Die Fortuna hat sich besonders auf dem Leihmarkt einen guten Namen gemacht – schon bevor ich hier war. Und Leihgeschä­fte sind für uns ein Mittel, weil wir noch nicht in der Lage sind, sämtliche Spieler permanent zu verpflicht­en. Der Erfolg von Dodi Lukebakio hat es für mich dann auch leichter gemacht. Mit dieser Referenz konnte ich schon Werbung betreiben. Aber am Ende steht dann bei jedem Klub doch die Frage: Was haben wir davon, und was bekommen wir? Und dann kommt es noch auf persönlich­e Kontakte an: Ein Zack Steffen oder ein Lewis Baker wären normalerwe­ise außerhalb unserer Reichweite. Aber auch da heißt es eine Win-Win-Situation zu kreieren.Wir bieten immerhin Spielpraxi­s in einer der besten Ligen der Welt. Und in dieser kann sich jeder Spieler weiterentw­ickeln. Sie haben zahlreiche­n Kontakte in der Fußballwel­t. Wie wichtig ist Vitamin B in dieser überhitzte­n, kommerzial­isierten Transferwe­lt? PFANNENSTI­EL Sie helfen mittelfris­tig, aber nicht langfristi­g.

Das heißt Vitamin B stößt irgendwann an seine Grenzen? PFANNENSTI­EL Ja, also Messi können wir nicht ausleihen. (lacht) Es gibt immer eine Grenze. Wenn wir eine Kaderplanu­ngsliste aufbauen, stehen da natürlich keine Spieler mit 40 Millionen Euro Marktwert drauf. Unsere Transferzi­ele auf der A-Wunschlist­e müssen alle realistisc­h sein. Sie müssen finanzierb­ar sein und zu unserer Fortuna, wie Friedhelm Funkel sie aufgebaut hat, menschlich, persönlich und charakterl­ich passen. Das ist bei uns wirklich genauso wichtig wie die sportliche Qualität. Wenn wir einen sportliche­n Volltreffe­r haben können, der aber charakterl­iche Schwächen hat, werde ich diesen Transfer verhindern. Jeder muss in unser Fortuna-Gebilde passen. Wir haben eine Familie in der Kabine – mit Friedhelm Funkel als Papa.

Wie klopft man denn den Charakter vor einem Transfer ab? PFANNENSTI­EL Über Netzwerke. Ich will wissen, aus welchen familiären Verhältnis­sen der Spieler kommt. Welche Freunde hat er?Welche soziale Kompetenz hat er?Was treibt ihn um, wenn er nicht Fußball spielt? Diese Antworten zu finden, ist extrem zeitaufwän­dig. Nehmen wir Lewis Baker als Beispiel. Ich habe mit etwa 40 Leuten gesprochen, bevor mein Bild von ihm komplett war – obwohl ich ihn selbst 30 Mal spielen gesehen habe. Ich habe ihn wie ein Sandwich in einzelne Scheiben zerlegt. Dabei kam heraus: Er ist genau der richtige Spieler für uns.

Das heißt, Sie rufen bei Freunden und der Familie von Transferzi­elen an?

PFANNENSTI­EL Ich komme über bestimmte Leute an diese Informatio­nen heran. Bei Zack Steffen habe ich in den USA den Vater, die Mutter, die Schwester und den Onkel getroffen. Dann gab es ein Meeting mit dem Vereinstra­iner, dem Torwartrai­ner, dem Ex-Vereinstra­iner. Anschließe­nd habe ich mich eine Stunde mit dem Nationaltr­ainer der USA Gregg Berhalter unterhalte­n. Zusätzlich habe ich mit einigen Leuten bei Manchester City und mit welchen beim SC Freiburg gesprochen. Ich wusste, was Zack Stefen zum Frühstück mag, bevor ich ihm das erste Mal direkt gegenübers­aß. Man soll nichts dem Zufall überlassen. Wir müssen fleißiger sein als andere, weil wir einfach nicht die finanziell­en Möglichkei­ten haben wie andere Klubs. Es geht bei uns nicht, dass drei Leihspiele­r funktionie­ren, zwei andere aber nicht. Wir müssen die Chance minimieren, dass ein Leihgeschä­ft nicht funktionie­rt.

Sie haben eben ein schönes Bild von der Familie mit Friedhelm Funkel als Papa benutzt. Was passiert denn, wenn der Papa irgendwann mal nicht mehr da ist? PFANNENSTI­EL Friedhelm hat hier ein Vermächtni­s geschaffen. Dafür müssen wir ihm sehr dankbar sein. Aber wir wollen, dass dieses Vermächtni­s nicht personenge­bunden ist.Wenn sich eines Tages mal etwas im Trainertea­m ändert, muss dieses Erbe genauso weitergefü­hrt werden. Mein großer Wunsch ist deshalb, dass dann Personen kommen, die das nicht alles umschmeiße­n und etwas Neues aufbauen wollen, sondern diese Philosophi­e genauso weiterführ­en. Das ist mir am Wichtigste­n. Es ist egal, wer die Spieler, wer der Trainer, wer der Sportvorst­and ist. Die Fortuna steht über allem. Die Planken, die man für diesen Verein in den vergangene­n Jahren aufgebaut hat, sollten weiter eingehalte­n werden.

Waren Sie sich dieses Bildes von Fortuna schon am ersten Tag im Dezember bewusst, oder hat sich das nach und nach aufgebaut? PFANNENSTI­EL Das war mein Wunschgeda­nke. Und der hat sich mehr und mehr herauskris­tallisiert. Ich habe einige Dinge angepasst, aber nicht jeden Stein umgedreht. Wir sind sportlich in Leitplanke­n unterwegs, wo es mal links mal etwas rechts gehen kann, aber wir wissen genau, wo es hingeht. Wichtig ist: Wir dürfen niemals zufrieden sein. Wir brauchen diese positive Unruhe, immer etwas verbessern zu wollen. An dem Tag, an dem wir uns zurücklehn­en, kommt der Hammer und zieht uns die Schuhe aus.

Fortuna gilt als Traditions­vereins und Ihr Ex-Arbeitgebe­r Hoffenheim als Retortenkl­ub. Wie sehr unterschei­den sich denn die Klubs tatsächlic­h im Innenleben? PFANNENSTI­EL Die Fortuna ist zunächst ein eingetrage­ner Verein. DasVereins­bild ist mit das wichtigste. Dafür steht die Fortuna. Der e.V. steht über allem. Bei vielen anderen Klubs – wie in Hoffenheim – ist die Spielbetri­ebs-GmbH ausgeglied­ert. Transfers müssen aber bei beiden gemacht werden, Gehälter bei beiden bezahlt werden. Also ist das operative Tagesgesch­äft für mich gleich. Aber man sieht ja an meiner Spieler-Vita, dass ich im Herzen Fußball-Romantiker bin. Daher finde ich die Vereinsstr­uktur bei Fortuna sehr postiv. Sie ist tiefer und weit

greifender.

Und die emotionale Komponente? PFANNENSTI­EL Die Fans braucht man nicht miteinande­r vergleiche­n. Die Verbundenh­eit der Fans in Düsseldorf mit der Stadt und dem Klub ist einfach Weltklasse. Du gehst zum Zahnarzt, da hängt ein Fortuna-Wimpel. Du kaufst dir einen Mett-Igel, der nach Fortuna benannt ist. Überall werden dir Fortuna-Brötchen angeboten. Die Fortuna ist in dieser Region vollumfäng­lich ins öffentlich­e Leben eingebette­t. Das ist bei vielen anderen Klubs völlig anders. Diese Emotionali­sierung hat natürlich aber auch Schattense­iten. Jeder Sieg und jede Verpflicht­ung entfacht Euphorie. Aber nach einer Niederlage machen sich die Anhänger sofort große Sorgen. Es ist ein ständiges Auf und Ab. Es gibt selten Ruhephasen.

Wie gehen Sie damit um? PFANNENSTI­EL Ich würde lügen, wenn ich sage, das prallt alles an mir ab. Ich bin sehr emotional, von daher versuche ich so etwas dann richtig einzuordne­n.

Entsteht dadurch Druck? PFANNENSTI­EL Jeder Mensch muss für sich entscheide­n, was Druck ist. Das liegt an der Genetik und an dem, was er erlebt hat. Ich war in den ärmsten Gegenden derWelt, da habe ich Leid und Druck gesehen. Da stehen jeden Morgen Menschen auf, die Sorge tragen, ob es ihren Kindern und sich selbst am nächsten Tag noch halbwegs gut geht. Das ist Druck. Wenn wir gegen Gladbach oder Wolfsburg spielen und jemand sagt, wir konnten mit dem Druck nicht umgehen, dann schüttele ich den Kopf. Wir müssen alle dem lieben Gott danken, dass wir in dieser Nische des Lebens arbeiten dürfen. Das ist ein Privileg. Da kommen mehrere Zehntausen­de in die Stadien, um uns zu sehen, wie wir Fußball spielen – den Sport, den wir lieben, und den wir auch ausüben würden, wenn wir dafür kein Geld kriegen würden. Also braucht man deshalb wirklich nicht dasWort Druck dafür zu benutzen. Allerdings muss jeder Mensch das Wort Druck für sich selbst definieren.

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FOTO: FREDERIC SCHEIDEMAN­N Gut drauf: Sportvorst­and Lutz Pfannensti­el vor Fortunas Spiel gegen Bremen im April.

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