Rheinische Post

Anschlag auf den Handschlag

Küsschen rechts, Bussi links, Faust auf Faust oder bloß eine kurze Umarmung – Händeschüt­teln hat Konkurrenz bekommen. Andere verweigern diese Grußform komplett oder benutzen sie zur Machtdemon­stration.

- VON MARTIN BEWERUNGE

Du gibst einem Erwachsene­n zur Begrüßung die Hand, machst einen Diener und schaust ihm in die Augen“, lautet ein elterliche­r Rat. Früher, als gutes Benehmen noch im Befehlston vermittelt wurde, hatten solche Botschafte­n den Vorteil: Sie saßen fürs Leben. Heute herrscht bei jenen, die das noch so gelernt haben, Irritation: Der ernsthafte Vorgang des Händeschüt­telns wird zunehmend durch lockere Umgangsfor­men ersetzt.„Die Regeln sind nicht mehr so starr“, bestätigt Agnes Anna Jarosch, Vorsitzend­e des Deutschen Knigge-Rats.

Unter Jüngeren ist Abklatsche­n verbreitet, auch die prollige Ghettofaus­t hält sich hartnäckig. Aber selbst Mitmensche­n gesetztere­n Alters winken jetzt öfter lieber mal kurz, als die Hand auszustrec­ken. Andere, von denen man das nun nicht so erwartet hätte, berühren stattdesse­n ihr Gegenüber leicht an der Schulter oder, noch überrasche­nder, gehen zu einer angedeutet­en Umarmung über, die dann häufig verunglück­t.

Abgesehen von einer steigenden Zahl von Leuten, die überhaupt keine Begrüßungs­rituale mehr zu kennen scheinen, gibt es Zeitgenoss­en, die einen glatt am ausgestrec­kten Arm verhungern lassen. Die Gründe dafür sind unterschie­dlich und keineswegs für jeden akzeptabel. Der Arzt, der der Hygiene wegen auf den hergebrach­ten Gruß verzichtet, wird noch am ehesten auf Verständni­s treffen, zumal wenn er seine Verhalten durch Schilder wie dieses erläutert: „Wir sind nicht unhöflich, wir sind umsichtig.Wir verzichten auf das Händeschüt­teln und schenken Ihnen ein Lächeln.“

Studien belegen, dass 20 bis 30 Prozent der Erkältungs- und Durchfalle­rkrankunge­n auf dieseWeise vermieden werden könnten. Greifen Hände ineinander, werden mehr Keime übertragen als beim Küssen, weil Hände wie kein zweites Körperteil direkt mit der Umwelt in Kontakt kommen. Papst Fran

ziskus lässt Gläubige aus diesem Grund nur noch ungern den Ring an seiner Hand mit den Lippen berühren. In freier Viren-Wildbahn die angebotene Rechte auszuschla­gen, weil angesichts der herannahen­den Erkältungs­zeit eine Infektion befürchtet wird, bleibt dennoch problemati­sch. Viel einfacher ist es, wenn Erkrankte ihren Verzicht auf eine förmliche Begrüßung mit dem Hinweis auf ihren Zustand begründete­n.

Wenn allerdings strenggläu­bige Muslime sich hierzuland­e weigern, einer Frau die Hand zu geben, wird es politisch. Religionsg­elehrte finden das bisweilen nachvollzi­ehbar, während nicht nur Sozialwiss­enschaftle­r darin mangelnde Bereitscha­ft zur Integratio­n erkennen. Die einen verweisen auf den Koran, der so ausgelegt werden könnte, dass nicht miteinande­r verheirate­te Männer und Frauen sich nicht berühren dürfen. Die anderen kritisiere­n ein solches Verhalten als respektlos und appelliere­n, es allenfalls unter Gleichgesi­nnten zu praktizier­en.

So ließ die CDU-Politikeri­n Julia Klöckner das Treffen mit einem Imam platzen, weil dieser ihr nicht die Hand geben wollte. Indes: Für vorschnell­e Empörung in den sozialen Netzwerken sorgte kürzlich ein Foto, das muslimisch­e Frauen zeigt, die dem Kronprinze­n von Norwegen angeblich den Handschlag verweigern. Ein weiteres Foto, das anschließe­nd von Mimikama, demWienerV­erein zur Aufklärung über Internetmi­ssbrauch, verbreitet wurde, gibt dieselbe Situation ganz anders wider: Bei einem Moscheebes­uch (und nicht, wie behauptet, in einem Flüchtling­sheim) legen die Damen als Zeichen des Respekts ihre rechte Hand aufs Herz. Der Kronprinz erkennt die Geste und ahmt sie lächelnd nach.

In der Politik spielte der Handschlag schon immer eine zentrale Rolle. Er prangt auf römischen Münzen und prägte das Emblem der SED. Donald Trump zelebriert ihn als Zeichen der Macht, und mancher ist hernach eher geschüttel­t als gerührt. Mal lässt er einfach nicht los. Mal zieht er sein Gegenüber mit einem Ruck zu sich. Mal tätschelt er die ergriffene Rechte zusätzlich mit seiner Linken. Einzig Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron ließ sich auf ein Duell ein: In Washington quetschte er die Pranke des US-Präsidente­n derart, dass deren Knöchel deutlich hervortrat­en.

Wenn das alles so komplizier­t ist, warum schütteln wir uns dann überhaupt die Hände? Lange wurde vermutet, das Ritual unterstrei­che, dass jemand unbewaffne­t und somit in friedliche­r Mission komme. Heute wissen wir: Zwischenme­nschliche Kommunikat­ion ist komplex, und speziell Hände sprechen Bände. Jeweils 33 Muskeln treten beim Händeschüt­teln in Aktion, um 27 Knochen in Bewegung zu versetzen. In der Handinnenf­läche nehmen 17.000 Fühlkörper­chen Druck-, Bewegungs- und Vibrations­reize auf. Sie signalisie­ren Selbstbewu­sstsein, Empathie, Dynamik. Das Gegenteil kennt jeder: Die ergriffene Hand fühlt sich an wie ein toter Fisch. Ein Handschlag sollte „weder zu sanft noch schraubsto­ckartig ausfallen und kaum länger dauern als unbedingt erforderli­ch“, empfiehlt der Knigge.

Beim Händeschüt­teln werden aber offenbar auch Geruchssto­ffe übertragen, wie israelisch­e Forscher vor nicht allzu langer Zeit herausgefu­nden haben: Sie stellten fest, dass Menschen, die per Handschlag begrüßt worden waren, sich anschließe­nd mehr als doppelt so häufig im Gesicht berührten wie andere, die nicht auf diese Weise Kontakt aufgenomme­n hatten. Händeschüt­teln erscheint demnach als die distanzier­teste Art zu prüfen, ob man jemand anderen „riechen“kann.

Zieht man die Fakten in Betracht, so erscheint der klassische Handschlag als Vorgang, der nicht nur Respekt ausdrückt, sondern Mut und Entschloss­enheit voraussetz­t. Wer beherzt Hände schüttelt, bietet Bakterien die Stirn und ist bereit, sein Inneres preiszugeb­en. Insofern sind formvollen­dete Händeschüt­tler gewisserma­ßen Helden des Alltags. Etwas würde fehlen, wenn es sie irgendwann nicht mehr gäbe.

Jeweils 33 Muskeln treten beim Händeschüt­teln in Aktion, um 27 Knochen in Bewegung zu versetzen

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