Zu wenig Standards in der Jugendfürsorge
Der Untersuchungsausschuss Lügde nimmt seine Arbeit auf. Experten beklagen fehlende Vorgaben für Jugendarbeit.
DÜSSELDORF Im Missbrauchskandal von Lügde ist das erste Kapitel der Aufarbeitung abgeschlossen: Das Landgericht Detmold erklärte das Urteil gegen die beiden Haupttäter am Freitag für rechtskräftig – Andreas V. (56) und Mario S. (34) müssen also unwiderruflich für mehr als zehn Jahre ins Gefängnis.
Zufällig am gleichen Tag begann das zweite Kapitel: Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) „Kindesmissbrauch“kam im Düsseldorfer Landtag zu seiner ersten Sitzung zusammen, um die Hintergründe des hundertfachen Missbrauchs von mehr als 30 Kindern aufzuklären.
Das erste Kapitel war nach wenigen Wochen abgeschlossen. Das zweite wird viel mehr Zeit in Anspruch nehmen. Erst im Spätherbst werden den Parlamentariern alle notwendigen Akten vorliegen, weshalb sich die Vernehmung der ersten Zeugen bis ins kommende Jahr hinziehen wird. Im Mittelpunkt des ersten Sitzungstages standen am Freitag deshalb Experten der Jugendfürsorge, die den Parlamentariern einen Einblick vom Umgang der Behörden mit Missbrauchsverdachtsfällen gaben.
Der PUA hat gerichtsähnliche Befugnisse und soll im Kern drei Fragen beantworten:Warum haben Jugendämter und andere Behörden trotz mehrfacher Warnhinweise so lange nichts gegen den Missbrauch auf dem Campingplatz unternommen? Wie sind die zum Teil gravierenden Ermittlungspannen bei der Polizei zu erklären? Und hat die Landesregierung angemessen reagiert? Ausschuss-Vorsitzender Andreas Kossiski (SPD) sagte unserer Redaktion: „Für mich ist das Wichtigste, dass wir herausfinden, was das Land tun kann, um solche schrecklichen Taten künftig zu verhindern.“
Schon beim ersten Sitzungstag wurde solcher Handlungsbedarf deutlich. Drei Experten für Jugendfürsorge beschrieben den Alltag der nordrhein-westfälischen Jugendämter und ähnlicher Einrichtungen. Dabei wurde ein erstaunlich beliebiger Umgang mit Hinweisen auf möglichen Kindesmissbrauch oder fragwürdig untergebrachte Pflegekinder deutlich. Da die 186 Jugendämter in NRW der kommunalen Selbstverwaltung unterliegen, gibt es kaum landesweit verbindliche Standards im Umgang mit Problemsituationen. Hinzu kommt eineVielzahl von parallel verantwortlichen Gremien, die alle zusammen eine„Verantwortungsgemeinschaft“darstellen sollen, wie es Matthias Lehmkuhl vom Landesjugendamt Westfalen ausdrückte. Offenbar können einzelne Verantwortliche sich aber auch ganz gut hinter dieser „Verantwortungsgemeinschaft“verstecken.
Gleichwohl hat das Drama von Lügde auch schon positive Effekte: Laut Lehmkuhl gibt es inzwischen wesentlich früher und öfter Informationen von der Polizei in Richtung Jugendämter, die „es vorher so nicht gegeben hat“.