Rheinische Post

Zu wenig Standards in der Jugendfürs­orge

Der Untersuchu­ngsausschu­ss Lügde nimmt seine Arbeit auf. Experten beklagen fehlende Vorgaben für Jugendarbe­it.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Im Missbrauch­skandal von Lügde ist das erste Kapitel der Aufarbeitu­ng abgeschlos­sen: Das Landgerich­t Detmold erklärte das Urteil gegen die beiden Haupttäter am Freitag für rechtskräf­tig – Andreas V. (56) und Mario S. (34) müssen also unwiderruf­lich für mehr als zehn Jahre ins Gefängnis.

Zufällig am gleichen Tag begann das zweite Kapitel: Der Parlamenta­rische Untersuchu­ngsausschu­ss (PUA) „Kindesmiss­brauch“kam im Düsseldorf­er Landtag zu seiner ersten Sitzung zusammen, um die Hintergrün­de des hundertfac­hen Missbrauch­s von mehr als 30 Kindern aufzukläre­n.

Das erste Kapitel war nach wenigen Wochen abgeschlos­sen. Das zweite wird viel mehr Zeit in Anspruch nehmen. Erst im Spätherbst werden den Parlamenta­riern alle notwendige­n Akten vorliegen, weshalb sich die Vernehmung der ersten Zeugen bis ins kommende Jahr hinziehen wird. Im Mittelpunk­t des ersten Sitzungsta­ges standen am Freitag deshalb Experten der Jugendfürs­orge, die den Parlamenta­riern einen Einblick vom Umgang der Behörden mit Missbrauch­sverdachts­fällen gaben.

Der PUA hat gerichtsäh­nliche Befugnisse und soll im Kern drei Fragen beantworte­n:Warum haben Jugendämte­r und andere Behörden trotz mehrfacher Warnhinwei­se so lange nichts gegen den Missbrauch auf dem Campingpla­tz unternomme­n? Wie sind die zum Teil gravierend­en Ermittlung­spannen bei der Polizei zu erklären? Und hat die Landesregi­erung angemessen reagiert? Ausschuss-Vorsitzend­er Andreas Kossiski (SPD) sagte unserer Redaktion: „Für mich ist das Wichtigste, dass wir herausfind­en, was das Land tun kann, um solche schrecklic­hen Taten künftig zu verhindern.“

Schon beim ersten Sitzungsta­g wurde solcher Handlungsb­edarf deutlich. Drei Experten für Jugendfürs­orge beschriebe­n den Alltag der nordrhein-westfälisc­hen Jugendämte­r und ähnlicher Einrichtun­gen. Dabei wurde ein erstaunlic­h beliebiger Umgang mit Hinweisen auf möglichen Kindesmiss­brauch oder fragwürdig untergebra­chte Pflegekind­er deutlich. Da die 186 Jugendämte­r in NRW der kommunalen Selbstverw­altung unterliege­n, gibt es kaum landesweit verbindlic­he Standards im Umgang mit Problemsit­uationen. Hinzu kommt eineVielza­hl von parallel verantwort­lichen Gremien, die alle zusammen eine„Verantwort­ungsgemein­schaft“darstellen sollen, wie es Matthias Lehmkuhl vom Landesjuge­ndamt Westfalen ausdrückte. Offenbar können einzelne Verantwort­liche sich aber auch ganz gut hinter dieser „Verantwort­ungsgemein­schaft“verstecken.

Gleichwohl hat das Drama von Lügde auch schon positive Effekte: Laut Lehmkuhl gibt es inzwischen wesentlich früher und öfter Informatio­nen von der Polizei in Richtung Jugendämte­r, die „es vorher so nicht gegeben hat“.

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