„Ich glaube, Obamacare hat funktioniert“
In der dritten Fernsehdebatte der US-Demokraten ging Joe Biden in die Offensive – und wurde persönlich angegriffen.
WASHINGTON Es ist die neueste Eskalationsstufe der amerikanischen Waffenkontroverse: Kaum hatte Beto O’Rourke von den Schnellfeuergewehren gesprochen, die man ihren Besitzern wegnehmen müsse, antwortete Briscoe Cain mit einem gehässigen Tweet. „Meine AR ist bereit für dich, Robert Francis“, schrieb der Anwalt, der im Parlament des Bundesstaats Texas sitzt, den Präsidentschaftsbewerber aus El Paso und sprach ihn dabei mit seinen eigentlichen Vornamen an. Es dauerte nicht lange, bis Twitter den Tweet löschte, zumal er als verkappte Morddrohung verstanden werden konnte. Was bleibt, ist eine Mischung aus Entsetzen und Ernüchterung. Einmal mehr macht der Fall deutlich, in welch rabiater Sprache sich manche Bewahrer des Status quo gegen Änderungen in Sachen Waffenparagrafen wehren.
O’Rourke hat sich mit dem dritten TV-Debatte der demokratischen Anwärter fürs Weiße Haus als entschiedenste Stimme im Kampf gegen die Schusswaffenlobby profiliert. Einst Kongressabgeordneter, galt er anfangs als Geheimfavorit des Kandidatenwettlaufs, nachdem er eine Senatswahl im noch immer konservativen Texas nur knapp verloren hatte. Mit der Zeit welkte der Vorschusslorbeer, oft wirkten seine Argumente zu beliebig. In der Nacht zum Freitag, auf der Bühne der Texas Southern University in Houston, ließ er dann einen Paukenschlag dröhnen. Knapp sechs Wochen nach dem Blutbad, bei dem ein offensichtlich rassistisch motivierter Schütze in El Paso 22 Menschen erschoss, wartete der bekannteste Politiker der Stadt mit einem Vorschlag auf, der weit hinausgeht über das, worüber der Kongress in Washington zurzeit diskutiert: Wer halbautomatische Gewehre besitzt, soll verpflichtet werden, sie dem Staat zu verkaufen. „Na klar, wir werden euch eure AR-15, eure AK-47 wegnehmen“, fasst es O’Rourke zusammen. Auf die Drohung Cains erwidert er kühl: „Sie sollten gewiss keine AR-15 Ihr Eigen nennen“.
Ansonsten war die TV-Debatte vom Streit um die einzuschlagende Richtung bestimmt: die Frage, wie weit der nächste Präsident gehen soll, falls Donald Trump im Januar 2021 abgelöst wird. Zurückkehren zum pragmatischen Ansatz eines Barack Obama? Oder radikale Reformen in Angriff nehmen, weil der amerikanische Kapitalismus, so sehen es die Senatoren Bernie Sanders und Elizabeth Warren, radikaler Reformen bedarf? Joe Biden steht am eindeutigsten für die Variante Obama 2.0. Und statt wie bisher nur Angriffe zu parieren, ging er in Houston in die Offensive.
Thema: die Zukunft des Gesundheitssystems, eines der drängendsten Probleme des Landes. Sanders und Warren plädieren für eine rein staatliche Krankenkasse, wobei Sanders der erste Politiker von Rang war, der dafür stritt. Biden hingegen will bei privaten Krankenversicherungen bleiben und sie um ein staatliches Angebot erweitern. „Die Senatorin hier, die ist für Bernie. Nun, ich bin für Barack“, sagt er. „Ich glaube, Obamacare hat funktioniert.“Gemeint ist die Gesundheitsreform des
Jahres 2010. Wer ein komplett steuerfinanziertes System wolle, müsse wissen, dass dies den Steuerzahler binnen zehn Jahren 30 Billionen Dollar kosten werde. Große Träume, die Leute aber bräuchten jetzt Hilfe.
Dann meldet sich Julián Castro zu Wort, Arbeitsminister im Kabinett Obamas, und spricht Zweifel an Bidens Kandidatur an. Der ehemalige Vizepräsident ist 76 Jahre alt und wirkt bisweilen fahrig. „Haben Sie schon wieder vergessen, was Sie erst vor zwei Minuten gesagt haben?“, fragt Castro und unterstellt Biden Gedächtnisschwund. Nur dass der in dem Fall nichts behauptete hatte, was er kurz darauf vergaß. Castro erntet Buhrufe, zumal er allzu kategorisch verkündet: „Ich erfülle Barack Obamas Vermächtnis, Sie tun es nicht.“