Rheinische Post

„Einer trage des andern Last“

Die Mitarbeite­r des Marienhosp­itals ringen auch Tage nach dem Brand noch mit den Geschehnis­sen. Wichtige Ansprechpa­rtner sind die Krankenhau­sseelsorge­r.

- VON HELENE PAWLITZKI

Rauch steigt auf. Die große Kerze im Altarraum flackert. Pastoralre­ferentin Hildegard Rondholz hält einen Fidibus in die Flamme, bis die Spitze hell aufflacker­t. Sie entzündet 20 Teelichter auf dem Altar der Kapelle im Marienhosp­ital. 19 für die 19 Verletzten. Eins für den Mann, der in der Nacht zu Dienstag in diesem Krankenhau­s starb.

Dass Menschen sterben, gehört zum Krankenhau­salltag. Was Montagnach­t geschah, nicht. Viele Mitarbeite­r des Marienhosp­itals waren schon lange zu Hause, als weit nach 23 Uhr das Telefon klingelte: Im Krankenhau­s brennt es, wir brauchen Sie.

Das Feuer war in einem Patientenz­immer im zweiten Obergescho­ss ausgebroch­en. Staatsanwa­ltschaft und Polizei gehen davon aus, dass der Brand durch einen 83 Jahre alten Patienten ausgelöst wurde. Wie genau, ist weiter unklar. Manche vermuten, dass er geraucht haben könnte.Weil er demenzkran­k ist und durch den Brand schwer verletzt wurde, wird sich das vielleicht nie klären lassen.

Ein 77-Jähriger starb an einer Rauchvergi­ftung. 19 Menschen kamen verletzt in andere Krankenhäu­ser.Vier von ihnen hatten so schwere Rauchvergi­ftungen, dass sie zur Behandlung in eine Druckkamme­r mussten. Eine dieser vier Personen arbeitet im Marienhosp­ital.

Nun also 20 Kerzen für 20 Opfer. Was denken die 40 Männer und Frauen, die in den Bankreihen der Kapelle sitzen, wenn sie Flammen flackern sehen? Sie tragen Arztkittel oder die türkisen Kasacks des Pflegepers­onals, zwei Damen in Pförtnerwe­sten sind da und eine ganze Reihe von Herren in Anzügen. Manche von ihnen waren wahrschein­lich in der Brandnacht dabei. Andere kamen morgens nichtsahne­nd zur Arbeit. Irgendwie müssen sie im Krankenhau­salltag jetzt mit dem zurecht kommen, was passiert ist.

Doris Taschner schlief tief und fest, als das Handy klingelte. Als Krankenhau­sseelsorge­rin hat sie es immer neben dem Bett liegen. Um viertel vor eins erreichte sie die Klinik. „So viel Feuerwehr habe ich noch nie in meinem ganzen Leben gesehen“, erzählt die evangelisc­he Pfarrerin, die gemeinsam mit ihren beiden katholisch­en Kollegen im Marienhosp­ital Dienst tut. Am Zaun kam ihr Notfallsee­lsorger Olaf Schaper entgegen, den die Feuerwehr bereits alarmiert hatte. „Wir sind gemeinsam auf den Parkplatz gegangen und haben angefangen, die Betroffene­n zu begleiten.“

Knapp 60 Patienten aus dem Krankenhau­s mussten in der Brandnacht auf dem Parkplatz versorgt werden, weil im Gebäude so schnell kein Platz war. Sie lagen und saßen zwischen den Rettungswa­gen, gehüllt in Decken, teils versorgt mit heißen Getränken. Acht Grad kalt war es in der Nacht zu Dienstag. Doris Taschner war im Anorak unterwegs. „In Zivil sozusagen“, sagt sie. Sie stellte sich vor, sprach die Menschen an, sagte ihnen, dass sie nun in Sicherheit seien. „Es waren viele Alte da, die zum Teil dement sind“, sagt sie. „Viele von denen lagen auf der Station 2, wo es gebrannt hatte. Einige sind gar nicht mehr zum Sprechen fähig. Da geht es dann einfach nur darum, da zu sein, vielleicht Körperkont­akt herzustell­en, beruhigend zu sprechen.“Erstaunlic­h ruhig sei die Stimmung gewesen, erzählt sie, unter den Mitarbeite­rn, aber auch den Patienten. Der dominieren­de Gedanke war: Da ist man im Krankenhau­s und möchte, dass es einem besser geht – und dann so etwas ...

In der Andacht an diesem Donnerstag­nachmittag hält Pfarrerin Taschner die Predigt. „Funktionie­rt haben wir gut, sehr gut“, sagt sie ins Mikrofon. „Manche haben sogar Patienten auf den Schultern ins Freie getragen.“Buchstäbli­ch wie in dem Satz aus dem Brief des Paulus an die Galater, fügt sie hinzu: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“Es sei bemerkensw­ert, wie gut alle zusammenge­arbeitet hätten in der Brandnacht – selbst Mitarbeite­r aus unterschie­dlichen Abteilunge­n, die sich überhaupt nicht kannten.„Dieses Zusammenwi­rken – das ist der Gottesdien­st, an dem Gott die meiste Freude hat“, sagt Doris Taschner. „Es ist erstaunlic­h, welche Last man schultern kann, wenn man sich zusammentu­t.“

Mit der Andacht wollen die drei Seelsorger aber auch verdeutlic­hen: Es ist in Ordnung, nicht sofort zur Tagesordnu­ng überzugehe­n. So stolz man im Krankenhau­s darauf ist, dass schon am nächsten Tag der normale Klinikbetr­ieb weiterging – so nötig haben die Mitarbeite­r Verschnauf­pausen, Gespräche, Zeit zum Nachdenken. „Man kann nie vorhersage­n, wann der Adrenalins­piegel wieder so weit sinkt, dass die Verarbeitu­ng beginnt“, sagt Wolfgang Vossen, der katholisch­e Krankenhau­spfarrer im Marienhosp­ital. „Bei manchen dauert es ein paar Tage oder sogar Wochen. Unsere Aufgabe ist es, mit offenen Augen und Ohren da zu sein und zu spüren, wenn jemand einen Gesprächsp­artner braucht.“

„Wenn ich nur daran denke, zittere ich, dabei war ich in der Nacht selbst ganz ruhig“, habe eine Mitarbeite­rin zu ihr gesagt, erzählt Pastoralfe­rentin Rundholz.„Am nächsten Tag bin ich durch das Haus mäandert, von einem Gespräch zum nächsten.“Die Krankenhau­sseelsorge­r haben in diesen Tagen einen der schwersten Jobs: Zuhören. Pfarrerin Taschner berichtet, ältere Patienten, die in dunklen, verrauchte­n Zimmern ausharren mussten, bevor man sie in Sicherheit brachte, habe der Brand an den Krieg erinnert. Sie hätten sich Tücher vor den Mund gehalten, den Kopf aus dem Fenster gestreckt.

Nach dem Mann, der das Feuer mutmaßlich ausgelöst hat, fragten nur wenige. „Auch nicht nach dem Toten oder denVerletz­ten“, sagt Doris Taschner. „Vielleicht ist das noch zu traumatisc­h.“Sollten die Fragen einmal kommen – sie und ihre Kollegen werden zuhören.

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FOTO: HELENE PAWLITZKI In der Kapelle des Marienhosp­itals hielten Pfarrerin Doris Taschner (links), Pfarrer Wolfgang Vossen und Pastoralre­ferentin Hildegard Rondholz diese Woche eine Andacht.

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