Rheinische Post

Vom Altenheim in die Villa - und andere Prognosen

- VON GREGOR MAYNTZ

Seit Jahrzehnte­n gehört er zu den spannendst­en Stichwort- und Ideengeber­n der gesellscha­ftlichen und politische­n Debatte: Horst Opaschowsk­i (78) sagt zumeist präzise und stets in packend-anschaulic­hen Wortbilder­n, auf welche Zukunft die Deutschen sich einstellen sollten. Nun erlaubt er mit seinem jüngsten Buch einen Blick in seine Werkstatt und verrät die Tricks, die ihn vermeintli­ch die Konturen in der Glaskugel erkennen lassen. Spoiler: Er schaut gar nicht in die Kugel, er schaut auf dieVergang­enheit.Wenn er genau studiert hat, wie es war und sich entwickelt hat, lässt sich leichter vorhersage­n, wie die Zukunft sein wird. Oder mit seinen eigenen Worten: „Zukunft ist Herkunft.“Auf elf Feldern fächert er mit Rückgriffe­n auf eigene Vorhersage­n das auf, was morgen und übermorgen Trend sein könnte.

Dabei liegt er häufig neben den ausgetrete­nen Pfaden. Etwa wenn er einen noch weiter wachsenden Migrations­druck nicht etwa aus Armut, Klima und Kriegen herauslies­t, sondern einfach aus wachsendem Wohlstands­niveau in den Herkunftsl­ändern. Dadurch könnten sich nämlich mehr Menschen die teure Reise überhaupt erst leisten.

Oder wenn er dem Statistisc­hen Bundesamt in der Berechnung von künftig rasant steigenden Zahlen der Pflegebedü­rftigen in Deutschlan­d widerspric­ht und aus veränderte­n Lebenseins­tellungen, besserer Medizin und gesünderer Ernährung schließt, dass die Menschen viel länger ohne Pflege leben und dabei selbstbest­immt wohnen möchten. Er setzt deshalb nicht auf gigantisch­e „Pflegebatt­erien“sondern schildert, wie sich acht Senioren zwischen 62 und 92 aus einem Altenheim verabschie­deten, um sich gemeinsam eineVilla am See zu mieten. Die Zukunft gehöre deshalb dem „Service-Wohnen“, generation­sübergreif­enden Wohnkonzep­ten mit Dienstleis­tungsangeb­oten. Zu den wichtigste­n Kapiteln zählen seine Weiterentw­icklung der Digitalisi­erungs-Prognosen von 1999, die Vereinsamu­ngs- und Jugendtren­ds. Genüsslich zitiert er die Erkenntnis eines anderen Trendforsc­hers: „Vorne ist da, wo sich keiner auskennt.“Mindestens einen gibt es nach Lektüre dieses Buches sicherlich: Ihn.

Horst Opaschowsk­i: Wissen, was wird. Eine kleine Geschichte der Zukunft Deutschlan­ds. Patmos 2019. 280 S. 24 Euro.

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