Die Geschichte der Bienen
Roman Folge 29
Ich kannte viele Imker, die anderen die Schuld gaben, obwohl sie eigentlich bei ihnen lag. Zu wenig Zucker, zu viel Wärme oder Kälte. Wir betrieben ja nicht gerade Quantenphysik. Aber nach und nach häuften sich die Fälle, sie waren sich zu ähnlich, tauchten zu plötzlich auf.
„Das ist doch nur im Süden“, sagte ich.
„Ja. Da unten geht es härter zu“, erwiderte Rick.
Im selben Moment brauste Jimmys grüner Pick-up auf den Hofplatz. Breit grinsend stieg er aus dem Auto. Während Rick sich immer allzu viele Sorgen machte und zu viel grübelte, war Jimmy das schlichte, unbekümmerte Gegenteil. Er machte keine überflüssige Bewegung und dachte nie mehr nach als unbedingt notwendig. Aber abeiten konnte er, das musste man ihm lassen.
Was Jim an Grips fehlte, machte er mit seinem Aussehen wett. Er sah aus wie ein Mädchenschwarm von der Highschool. Blond, dichte
Haare, die ihm ins Gesicht fielen, ein breites Kinn mit einem Grübchen und noch dazu die richtige Statur, er hätte den ganzen Tag in einem Footballdress herumlaufen können. Zudem legte er Wert auf sein Aussehen, die Haare waren stets frisch gekämmt, die Hemden frisch gebügelt. Aber für wen er sich hübsch machte, war unklar, denn von Frauen war nie die Rede.
Er hielt eine Thermoskanne in der Hand, die er, wie ich feststellte, eigens für den heutigen Anlass gekauft hatte. Der blanke Stahl reflektierte für einen Moment die Sonne und blendete mich, ehe sie in einem anderen Winkel fiel.
Wir nahmen unsere Tassen. Jimmy hatte sie vor einigen Jahren für uns gekauft. Kleine, jagdgrüne Tassen aus der Campingabteilung des K-Mart, die man flach zusammenpressen konnte. Rick und ich falteten gleichzeitig unsere Tassen auseinander und reichten sie Jimmy, der kommentarlos die Thermoskanne aufschraubte.
„Frischgemahlene Bohnen“, sagte er und schenkte uns ein.
Ich bekam als Erster. „Colombia. Röstaromen, dunkle Würze.“
Von mir aus hätte er auch Instantpulver nehmen können. Kaffee war Kaffee. Für Jimmy aber war Kaffee eine Kunst. Er bestellte die Bohnen im Internet. Sie mussten frisch sein, meinte er, fertiggemahlener Kaffee war Teufelswerk. Außerdem musste der Kaffee bei der richtigen Temperatur gefiltert werden. Die Temperatur war das »A und O«. Deshalb hatte er in eine europäische Filterkaffeemaschine investiert, die wochenlang beim Zoll festgesteckt hatte, ehe sie ihm endlich geliefert worden war.
Wir stießen mit den Tassen an. Weiches Plastik gegen weiches Plastik – beinahe lautlos. Dann nahmen wir einen Schluck.
Jetzt kam der Moment, wo wir den Kaffee in den höchsten Tönen loben und etwas Kluges darüber sagen mussten. Das gehörte dazu. Zum Schein schloss ich die Augen, während ich den Kaffee schlürfte wie ein Weinkenner.
„… voll im Geschmack… würzig…“
„Mmh“, machte Rick. „Da kommen auch die Röstaromen.“
Jimmy nickte zufrieden und sah uns hoffnungsvoll an wie ein Junge am Nationalfeiertag. Er erwartete mehr.
„Das ist wahrlich etwas ganz anderes als dieses Pulver“, sagte ich.
„Der beste Kaffee des Jahres“, pflichtete Rick mir bei.
Jimmy nickte erneut. „Man muss sich nur eine Mühle besorgen und natürlich ordentliche Bohnen. Ihr könntet das zu Hause auch so hinkriegen.“
Das sagte er immer, obwohl er genau wusste, dass uns niemals eine Kaffeemühle ins Haus käme.
(Fortsetzung folgt)
ERPELINO