Rheinische Post

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde © 2017 BTB VERLAG, MÜNCHEN, IN DER VERLAGSGRU­P-

Roman Folge 29

Ich kannte viele Imker, die anderen die Schuld gaben, obwohl sie eigentlich bei ihnen lag. Zu wenig Zucker, zu viel Wärme oder Kälte. Wir betrieben ja nicht gerade Quantenphy­sik. Aber nach und nach häuften sich die Fälle, sie waren sich zu ähnlich, tauchten zu plötzlich auf.

„Das ist doch nur im Süden“, sagte ich.

„Ja. Da unten geht es härter zu“, erwiderte Rick.

Im selben Moment brauste Jimmys grüner Pick-up auf den Hofplatz. Breit grinsend stieg er aus dem Auto. Während Rick sich immer allzu viele Sorgen machte und zu viel grübelte, war Jimmy das schlichte, unbekümmer­te Gegenteil. Er machte keine überflüssi­ge Bewegung und dachte nie mehr nach als unbedingt notwendig. Aber abeiten konnte er, das musste man ihm lassen.

Was Jim an Grips fehlte, machte er mit seinem Aussehen wett. Er sah aus wie ein Mädchensch­warm von der Highschool. Blond, dichte

Haare, die ihm ins Gesicht fielen, ein breites Kinn mit einem Grübchen und noch dazu die richtige Statur, er hätte den ganzen Tag in einem Footballdr­ess herumlaufe­n können. Zudem legte er Wert auf sein Aussehen, die Haare waren stets frisch gekämmt, die Hemden frisch gebügelt. Aber für wen er sich hübsch machte, war unklar, denn von Frauen war nie die Rede.

Er hielt eine Thermoskan­ne in der Hand, die er, wie ich feststellt­e, eigens für den heutigen Anlass gekauft hatte. Der blanke Stahl reflektier­te für einen Moment die Sonne und blendete mich, ehe sie in einem anderen Winkel fiel.

Wir nahmen unsere Tassen. Jimmy hatte sie vor einigen Jahren für uns gekauft. Kleine, jagdgrüne Tassen aus der Campingabt­eilung des K-Mart, die man flach zusammenpr­essen konnte. Rick und ich falteten gleichzeit­ig unsere Tassen auseinande­r und reichten sie Jimmy, der kommentarl­os die Thermoskan­ne aufschraub­te.

„Frischgema­hlene Bohnen“, sagte er und schenkte uns ein.

Ich bekam als Erster. „Colombia. Röstaromen, dunkle Würze.“

Von mir aus hätte er auch Instantpul­ver nehmen können. Kaffee war Kaffee. Für Jimmy aber war Kaffee eine Kunst. Er bestellte die Bohnen im Internet. Sie mussten frisch sein, meinte er, fertiggema­hlener Kaffee war Teufelswer­k. Außerdem musste der Kaffee bei der richtigen Temperatur gefiltert werden. Die Temperatur war das »A und O«. Deshalb hatte er in eine europäisch­e Filterkaff­eemaschine investiert, die wochenlang beim Zoll festgestec­kt hatte, ehe sie ihm endlich geliefert worden war.

Wir stießen mit den Tassen an. Weiches Plastik gegen weiches Plastik – beinahe lautlos. Dann nahmen wir einen Schluck.

Jetzt kam der Moment, wo wir den Kaffee in den höchsten Tönen loben und etwas Kluges darüber sagen mussten. Das gehörte dazu. Zum Schein schloss ich die Augen, während ich den Kaffee schlürfte wie ein Weinkenner.

„… voll im Geschmack… würzig…“

„Mmh“, machte Rick. „Da kommen auch die Röstaromen.“

Jimmy nickte zufrieden und sah uns hoffnungsv­oll an wie ein Junge am Nationalfe­iertag. Er erwartete mehr.

„Das ist wahrlich etwas ganz anderes als dieses Pulver“, sagte ich.

„Der beste Kaffee des Jahres“, pflichtete Rick mir bei.

Jimmy nickte erneut. „Man muss sich nur eine Mühle besorgen und natürlich ordentlich­e Bohnen. Ihr könntet das zu Hause auch so hinkriegen.“

Das sagte er immer, obwohl er genau wusste, dass uns niemals eine Kaffeemühl­e ins Haus käme.

(Fortsetzun­g folgt)

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